Anna Ternheim und Martin Hederos haben beim New-Fall-Festival im Neuen Schloss feinsten skandinavischen Singer-Songwriter-Pop geboten.

Manteldesk: Mirko Weber (miw)

Stuttgart - Kunstvoll gegipste Wände, viele Fensterscheiben und Kronleuchter unter der Decke: Anna Ternheim hatte ihre Ende des Jahres nach Schweden, also heim führende Tournee vor dem Stuttgarter Auftritt gerade erst in der Schweiz begonnen – im Berner Bierhübeli und im Winterthurer Salzhaus, zwei eher rustikal verbauten Institutionen – und deswegen im Neuen Schloss einen echten Paradigmenwechsel vor Augen.

 

Aber es dauerte nur ein wunderbares Violinenintro von Martin Hederos und ein paar schwebende Gitarrenakkorde von Anna Ternheim selbst – schon waren sie daheim, nämlich mitten drin in teilweise völlig neu arrangierten Songs von den Alben „Somebody outside“, „Leaving on a Mayday“„The Night Visitor“und „For the Young“ – und in der Musik. Schnell verblasste die Umgebung. Die Welt ging auf in ein paar Harmonien und einer Zeile „ . . . Music, my Father told me“ („Off the Road“): melancholischer Grundton, aber auch viele kleine Glücksmomente.

Anna Ternheim, mittlerweile knapp vierzig Jahre alt, hat, wie schon öfter in ihrem Musikerinnenleben, ein leichtes Auf und Ab hinter sich: Sie war eine Weile in Ipanema und in Brasilien am Strand, kam mit einem ganzen Rucksack Material zurück, setzte sich zusammen mit den besten Musikern Stockholms hin und spielte Musik ein, um festzustellen, dass sie lange noch nicht am Ziel sei. Suchen freilich hat von Anfang an dazugehört in ihrem Leben als sehr eigenständige Musikerin, die sich das Finden des jeweils angemessenen Ausdrucks niemals leicht gemacht hat, sonst wäre sie artistisch ein Verschnitt geblieben, als den sie anfangs manche ansahen: eine skandinavische Norah Jones, wie es hieß. „Antworten sind schwer zu finden, wenn man Träume verkauft“, hieß es dagegen schon in Ternheims „Caroline“.

Songs, die vage an Leonard Cohen erinnern

Am Schluss der Überlegungen für das neue Album hat sich Anna Ternheim an Bildern ihres Landmanns Jacob Felländer orientiert und die Musik, die einen entschieden dramatischeren Zug hat als noch auf „For the Young“, in der Rolle der Produzentin selbst neu zusammengesetzt: „All the Way to Rio“ erscheint am Freitag dieser Woche. Im Stuttgarter Konzert hört man vorweg davon eine kunstvoll reduzierte Fassung von „4 in the Morning“. Wie bei einigen Liedern von Anna Ternheim (das ältere Pendant in Stuttgart ist „Still a beautiful Day“) der Fall, erinnert es vage an Songs von Leonard Cohen, nur ist die Perspektive eine andere. Wo der eine in der Zeit um vier Uhr morgens schon in der Dunkelheit verschwunden war, will die andere den Gesprächsfaden noch einmal aufnehmen: „If you walk away/stay with me stay“.

Der große Reiz der Musik von Anna Ternheim liegt in der Natürlichkeit der Ansprache und im Selbstverständlichkeitsgestus der Inhalte. Es kann, wer mag, hier alles teilen, aber auch nur Teile mitnehmen. Als sie ein wenig in Gefahr war, diese Kommunikationsebene zu verlieren, arbeitete Ternheim vor Jahren in Nashville mit Dave Ferguson zusammen, der lange Zeit Johnny Cash produziert hatte. Ihr damaliges Duett „The longer the Waiting (the sweeter the Kiss)“ singt sie nun in Stuttgart, sehr beseelt, alleine, während Martin Hederos obendrüber nur ein paar Perlen aus dem E-Piano fallen lässt.

Überhaupt ist er, später am Akkordeon, einmal – leider nur einmal! – solo am Flügel und immer wieder am Harmonium an der Veredelung des Materials stark beteiligt: Jedes Lied bekommt hier seinen Feinschliff, und so stört es überhaupt nicht, dass die meisten die Mid-Tempo-Ebene nicht verlassen. Es steckt immer zu viel drin, als dass man etwas vermisste, es bleibt alles im Fluss, und ein Duo kann sich eben auch schon alles sagen. Feiner Abend beim New-Fall-Festival.