Die Schauspielerin Annalisa Weyel ist als Tochter gehörloser Eltern aufgewachsen und klärt in den sozialen Netzwerken darüber auf. Weil sie in einem ARD-Krimi eine Gehörlose spielt, steht sie nun in der Kritik.

Als Jennifer am Ufer der Donau eine Leiche findet, steht ihr das Entsetzen ins Gesicht geschrieben. Verzweifelt versucht sie, ihre Mutter darauf aufmerksam zu machen, doch das gelingt ihr erst nach einer Weile. Denn Jennifer ist gehörlos und ihre Sprache ist meist tonlos. Schon in einer dieser ersten Szenen aus dem ARD-Krimi „Tod an der Donau“ aus der Reihe „Blind ermittelt“ fällt auf, wie ausdrucksstark die Schauspielerin Annalisa Weyel die gehörlose Jennifer darstellt. Ohne sich der Worte bedienen zu können, nimmt sie eine besondere Rolle im Film ein.

 

Annalisa Weyel, die in Stuttgart Schauspiel studiert, hat gehörlose Eltern. Für die 22-Jährige hatte die Rolle deshalb eine besondere Bedeutung: „Ich mochte die Rolle sehr – besonders die enge Beziehung zwischen Mutter und Tochter fand ich schön.“ Dennoch sei ihr bewusst gewesen, dass mit der Rolle auch eine große Verantwortung einhergehe. „Es gibt viele gehörlose Schauspieler und Schauspielerinnen, die aber leider nicht gesehen werden. Die Strukturen in der Filmbranche sind kaum darauf ausgerichtet, dass Gehörlose daran teilnehmen können“, kritisiert sie.

Annalisa Weyel wehrt sich gegen die Kritik in den sozialen Netzwerken

Deshalb setzt sie sich auf ihrem Instagram-Kanal oder bei Tiktok dafür ein, dass Rollen von Gehörlosen auch mit Gehörlosen besetzt werden. Als sogenannte Coda (Children of Deaf Adults, auf deutsch: Kinder gehörloser Eltern) nutzt sie die sozialen Netzwerke, um „eine Brücke zwischen den beiden Welten“ zu schlagen. „Als Coda ist es generell schwierig, weil man zwischen den Fronten steht“, sagt sie. Und genau das bekommt sie zu spüren, seit bekannt wurde, dass sie die Rolle einer gehörlosen Frau spielt. Scharfe Kritik schlägt ihr seitdem in den sozialen Netzwerken entgegen. Sie hätte die Rolle ablehnen müssen, wird gefordert.

Kritik, die sehr verletzend für die junge Frau ist. „Ich versuche gegen diese Missstände in der Filmindustrie anzukämpfen. Es ist aber nicht alles immer nur schwarz-weiß. Manche Situationen sind komplexer“, sagt sie bedrückt. Sie reagiert auf die Vorwürfe mit einem Video auf Instagram in Gebärdensprache, in dem sie erklärt, dass sie die Rolle zunächst ablehnte. „Ich bekomme öfters Rollen von Gehörlosen angeboten und verweise dann immer auf gehörlose Schauspielerinnen. Sie zu vermitteln, hat bisher oft geklappt.“ Nicht jedoch in diesem Fall, weil die Filmcrew bestimmte Vorgaben für die Besetzung der Rolle machte, die die gehörlosen Schauspielerinnen nicht erfüllen konnten, wie Annalisa Weyel in ihrem Instagram-Video erklärt. Sie wurde vor die Wahl gestellt, ob entweder sie die Rolle übernimmt oder eine Schauspielerin, die die Gebärdensprache nicht muttersprachlich beherrscht. Und entschied sich, lieber selbst zu spielen. Auf ihrem Instagram-Kanal klärt sie ihre rund 31 000 Followerinnen und Follower und generell über die Welt der Gehörlosen auf, aber auch über die der Codas. „Ich hatte von Anfang an immer das Gefühl, anders zu sein, als alle anderen“, sagt sie. Erst im Kindergartenalter lernte sie die deutsche Lautsprache, da sie zuvor fast nur Kontakt mit Gehörlosen oder Codas hatte. Zunächst habe sie für sich die Bezeichnung Coda abgelehnt. „Ich dachte, wenn es für dieses anders sein auch noch ein Wort gibt, dann steigert sich das. Dann bin ich abgestempelt.“ Dabei habe sie lieber dazugehören wollen und sich angepasst. Darüber sei jedoch ihre Identität verloren gegangen.

Codas leben zwischen zwei Welten

Als sie sich schließlich doch mit dem Begriff Coda auseinandersetzte, merkte sie: „In dieser Bezeichnung kann ich mich zu Hause fühlen und mit anderen in Kontakt treten, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben.“ Erfahrungen wie die, dass man ständig als Dolmetscher für die Eltern wahrgenommen wird. „Von klein auf wurden mir Fragen gestellt, die sich eigentlich an meine Eltern richteten. Es wird von Hörenden und teilweise auch von Gehörlosen vorausgesetzt, dass Codas da sind, um zu dolmetschen. Dadurch musste ich sehr früh erwachsen werden und Verantwortung übernehmen.“ Auf der anderen Seite nimmt sie ihre Rolle auch als bereichernd wahr: „Ich finde den Zusammenhalt in der gehörlosen Community sehr schön und auch die enge Beziehung, die ich zu meiner Familie habe.“

Die Idee, ihre eigenen Erfahrungen in den sozialen Netzwerken öffentlich zu machen, entstand, weil sie immer wieder mit Fragen zu ihren Eltern konfrontiert wurde, wie beispielsweise ob Gehörlose Auto fahren können oder ob es nur eine Gebärdensprache auf der Welt gibt. Sie stellte fest, wie viel Unverständnis auf beiden Seiten herrscht: „Es gibt einfach kaum Berührungspunkte zwischen den Welten der Gehörlosen und der Hörenden. Da ich von klein auf als Vermittlerin aufgewachsen bin, wollte ich das auch in einem Rahmen tun, den ich bestimmen kann.“

Der Wien-Krimi: Blind ermittelt – Tod an der Donau: ARD, an diesem Donnerstag, 11. Mai, um 20.15 Uhr

Annalisa Weyel

Schauspielerfahrung
Annalisa Weyel spielte bei der Jugendserie „Schloss Einstein“ des Kinderkanals KiKa von 2013 bis 2015 die Internatsschülerin Alva Rehbein. Im Jahr 2022 übernahm sie kleinere Rollen bei „Notruf Hafenkante“ oder einer Folge des „Masuren-Krimi“. Außerdem tritt sie als Theaterschauspielerin auf, etwa in dem Stück „Unter uns. Unsichtbar?“ als Teil des Projekts Junges Schauspiel im Frankfurter Schauspiel.

Ausbildung
Seit dem Sommersemester studiert Annalisa Weyel Schauspiel in Stuttgart an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst.