Alles wie gehabt: Bei Anne Will eiert Gesundheitsminister Lauterbach herum, während die FDP Lockdowns, Schulschließungen und Ausgangssperren kategorisch ausschließt.

Politik/Baden-Württemberg : Bärbel Krauß (luß)

Die Absicht der Wissenschaftler war es sicher nicht, der FDP ein Gefälligkeitsgutachten zur besseren Abwehr von Corona-Maßnahmen in der deutschen Politik zu liefern. Aber wer den sonntäglichen Fernsehtalk mit Anne Will verfolgt hat, kann zu dem Schluss kommen, dass ihnen genau das im Ergebnis unterlaufen ist. Wegen akuter Datenmangellage im Blick auf alles, was mit Corona zusammenhängt, hat der Sachverständigenausschuss am vergangenen Freitag zwar nur äußerst vage Aussagen zur Wirksamkeit einzelner Schutzmaßnahmen von der Maskenpflicht bis zum Lockdown getroffen. Aber was entschiedener politischer Wille daraus machen kann, hat die liberale Gesundheitspolitikerin Christine Aschenberg-Dugnus am Sonntagabend bei „Anne Will“ mit eiserner Geradlinigkeit vorgeführt.

 

Gutachter liefern Honig für die FDP

„Ich ziehe viel Nektar daraus“, erwiderte sie auf die Einschätzung der Journalistin Christina Berndt (Süddeutsche Zeitung), dass wir nach dem Gutachten nicht schlauer sind als vorher. „Es hat nichts gebracht, auf den Bericht zu warten“, sagte Berndt gleich zum Start der Sendung. Wegen der fehlenden Datengrundlage sei die Evaluierung wissenschaftlich dünn ausgefallen. Einen echten Erkenntnisgewinn im Blick auf die Wirksamkeit einzelner Corona-Maßnahmen gebe es deshalb nicht. Mit diesen beiden Einlassungen ist die politische Grundkonstellation beschrieben, die die Corona-Politik der Bundesregierung in den vergangenen Monaten geprägt und gehemmt hat, und, wie wir nach dem Wochenende wissen, weiter prägen und hemmen wird.

Die FDP-Politikerin Aschenberg-Dugnus begründet mit den vagen Aussagen des Gutachtens, dass Lockdowns und Schulschließungen ab jetzt komplett ausgeschlossen seien, weil Lockdowns nach Einschätzung der Gutachter nur am Anfang einer Pandemie wirkten und Schulschließungen immense psychosoziale Folgen für die Kinder hätten.

Doch so einfach ist die Sache nicht, was man dem vor laufender Kamera herumeiernden Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) aus der unglücklichen Miene lesen konnte. Er schätzt die „Immunitätslage in der Bevölkerung“ zwar so ein, dass die Politik nicht mehr zu Lockdowns und Schulschließungen zurückgreifen muss. „Aber wir müssen auch auf die schweren Szenarien vorbereitet sein. Wir wissen nicht welche Varianten kommen“, ergänzte er. Deshalb will Lauterbach diese Maßnahmen „nicht kategorisch ausschließen“. Das hält Christina Berndt, die Corona-Expertin der Süddeutschen Zeitung, für richtig. „Ich finde es ganz schwierig, zum jetzigen Zeitpunkt Maßnahmen auszuschließen. Denn niemand weiß, wie sich dieses Virus weiterentwickelt.“ Deshalb müssten diese Maßnahmen als Handlungsmöglichkeit für extrem schwierige Coronalagen ins neue Infektionsschutzgesetz. Konter Aschenbach-Dugnus: „Das Gutachten hat klar gesagt, dass so eine Maßnahme nur am Anfang einer Pandemie Wirkung zeigt. Dann kann man doch jetzt nicht sagen, im Notfall machen wir das wieder“. Wegen möglicher schwerer Varianten des Virus habe die Bundesregierung jetzt ein Abwassermonitoring auf den Weg gebracht. Dass dass nur den Nachweis lokal stark steigender Infektionszahlen erbringt aber noch keine Handhabe zu ihrer Eindämmung, lässt die FDP-Politikerin unter den Tisch fallen.

Gratwanderung zwischen Wissenschaft und Politik

„Bilanz der Corona-Politik – Ist Deutschland auf die nächste Welle besser vorbereitet?“ Diese Leitfrage hat Anne Will mit ihrer Redaktion zum Thema des Abends gemacht. Am Ende der Sendung ist die Antwort klar: Nicht wirklich. Die Konflikte in der Bundesregierung sind nicht ausgeräumt. Grünen und SPD kommt es vorrangig auf effektiven Gesundheitsschutz an. Die FDP sieht ihr Heil darin, sich in der Pandemie vor allem als Hüterin der Bürger vor freiheitsentziehenden Coronamaßnahmen zu positionieren. Ob sie dabei genau den Grat zwischen Freiheits- und Gesundheitsschutz trifft, scheint den Liberalen dabei nicht so wichtig.

Neu ist das nicht. Umso mehr müssen die Wissenschaftler in dem von der Bundesregierung bestellten Gutachterausschuss damit leben, dass sie mit ihren auf unsicherer Datenbasis gründenden halbgaren Aussagen der FDP einen ganzen Honigtopf geliefert haben, aus dem die Liberalen sich für ihre Argumentation bedienen. Nun ist Politikberatung durch die Wissenschaft per se ein schwieriges Geschäft, weil Politik vereinfacht und auf klare Positionen zuspitzt, während Differenzierung und Exaktheit Lebenselixiere von Wissenschaft sind. Damit müssen Expertengremien, die von der Politik bestellt werden, umgehen: Sie müssen vereinfachen, sonst ist ihre Expertise für die Politik nicht verständlich und nutzlos. Sie dürfen dabei aber die wissenschaftlichen Positionen nicht verraten und nicht über Gebühr vereinfachen. Bei diesem Gutachten ist es dem Gremium nicht gelungen, diese feine Linie zu treffen. Im Nachhinein gebührt Deutschlands bekanntestem Virologen Christian Drosten Respekt dafür, dass er diese Expertenrunde verlassen hat, weil weder genügend Daten noch ausreichend Zeit vorhanden seien, die gestellten Fragen solide zu beantworten.