Annett Louisan unterhält in der Liederhalle mit ihren bekannten Erfolgstiteln. Aber sie überzeugt mit neuen Songs aus fremden Federn. So hat sie noch nicht gehört, wer nur ihre alten Alben kennt.

Stuttgart - Sich ein bisschen neu zu erfinden kann manchmal nicht schaden. Und ab und an zwingt einen das Leben ja quasi dazu, dann kommen so Typen wie „Thorsten Schmidt“ oder ein Lied wie „Das Spiel“, und alles rollt in eine andere Richtung, wie nach dem Zusammenstoß mit einer Billardkugel. Zehn, fast 15 Jahre alt sind solche Songs inzwischen, und natürlich spielt Annett Louisan sie noch immer, die Erfolgsnummern von einst. Aber sie singt sie anders, und sie singt andere dazu. Früher hatte man den Eindruck, die Welt der in Hamburg lebenden Sängerin bestehe nur aus Männern, Müttern und anderen Katastrophen, ihre Musik aus einem kabarettnah inszenierten Mix aus Chanson, Pop und leichter Muse, kalkuliert verführerisch vorgetragen in der Rolle einer femme fatale mit einem Faible für die amour fou.

 

Bei ihrem Konzert in der Liederhalle ist dieses typische „Chanson Louisan“ nun nur noch ein Teil des Ganzen. Eine neue, klangfarbenprächtige Band, ein Album wie „Berlin – Kapstadt – Prag“ mit gecoverten Songs von David Bowie, Tokio Hotel oder Kraftwerk, eine glückliche Ehe inklusive momentaner „Schwangerschaftsdemenz“, wie die gelegentlich sichtbar nervöse Mutter in spe ihre momentanen Befindlichkeitsindifferenzen nennt – und man begegnet einer gewandelten Annett Louisan, die zumindest teilweise der Niedlichkeitsfalle vergangener Jahre entkommen ist. Und der inzwischen das sorgsame Nachempfinden von Gefühlen wichtiger ist als eine adrette Pose oder ein mit Ansage getexteter Kalauer Marke „erst schnappt sie ein und dann schnappt sie nach Luft“.

Wut auf die Perfekten

Im mit 2000 Zuschauern gut gefüllten Beethovensaal, der dank sparsam beleuchteter sowie mit Recamiere und Barhocker ausstaffierter Bühne fast ein wenig Wohnzimmeratmosphäre atmet, zeigt ihre neue Band um Gitarrist Martin Gallop zunächst, wie gut sie sich auf die leisen Töne versteht. Sanft shuffelt sich dieses schottisch-argentinisch-kanadisch-deutsche Quintett durch Piano-Pop, Gypsy-Swing, Walzer und etwas Southern Music und bereitet den Boden für Louisans Reflexionen über die Liebe und das Leben, über weibliche Paradoxien oder die Wut auf die andere, die immer perfekter ist als man selbst („Eve“).

Bei all dem weiß man manchmal nicht, welchen Momenten die Melancholie in ihren Liedern eher gehört: den gelebten oder den ungelebten. Neue Töne dann nach dem obligatorischen Liederhallen-Päuschen: Ist das tatsächlich der Rammstein-Hit „Engel“, der Teil zwei eröffnet? Gespielt nicht als sägender Technorock, sondern als schwebender Psychedelic-Pop mit leichtem Pink-Floyd-Flair, das Highlight des Abends. Auch „Bye bye Love“, der Evergreen der Everly Brothers, geht Sängerin und Band mit Leichtigkeit und Spielfreude von der Hand. Udo Jürgens’ „Merci Cherie“? Mais oui: ein leises Chanson ohne ein Wort zu viel – ebenso wie die neue Ballade „Die schönsten Wege sind aus Holz“, mit der diese wohltemperierten 100 Minuten angenehm bedächtig zu Ende gehen.