Ein vermeintlicher Hacker-Angriff von Anonymus auf das Computersystem des Bundestags hat für Aufregung gesorgt - die nun wieder abgeflacht ist.    

Berlin - Ein vermeintlicher Hacker-Angriff sorgt für Öffentlichkeit und wird nur wenig später entdramatisiert: Anonymous hat in der Nacht zu Mittwoch auf einst geheime Dokumente zur sogenannten Kundus-Affäre hingewiesen - darunter das Funkprotokoll des Luftangriffs auf von Taliban entführte Tanklaster im September 2009 in der Nähe des deutschen Feldlagers Kundus. Doch anders als die Aktivisten angaben, standen die Dateien bereits seit dem vergangenen Herbst frei im Netz. Sie waren nur kein Thema.

 

Anonymous wies auf knapp zehn Dokumente hin und bewarb diese in einer Mitteilung als „Leaks“. Die Hacker, die mit ihren Attacken auf Behörden- und Konzernsystemen gemeinhin auf Sicherheitslücken aufmerksam machen, mahnten: „Wenn der Deutsche Bundestag schon so mit eigenen Daten und Dokumenten umgeht, was passiert mit den Daten der Bürger?“ Der Bundestag widersprach dieser Darstellung umgehend.

Brisante Dokumente über Fußnoten erreichbar

„Meldungen, dass Seiten des Bundestages gehackt wurden, treffen nicht zu“, hieß es in einer Erklärung der Verwaltung. Die Dokumente, die in Gänze in der breiten Öffentlichkeit bisher unbekannt waren, hätten hingegen schon seit Oktober 2011 frei im Netz gestanden - ganz regulär. Sie wurden in den Fußnoten des 550 Seiten umfassenden Abschlussberichts des Kundus-Untersuchungsausschusses verlinkt, „im Dokumentenverzeichnis ab Seite 460“, wie der Bundestag mitteilte.

Damit lagen die vermeintlichen Enthüllungen schon länger bewusst auf den Seiten des Bundestags. Ein Sprecher erklärte zudem, die einst als „geheim“ oder „Verschlusssache“ markierten Papiere seien in Abstimmung mit dem Verteidigungsministerium teilweise geschwärzt worden. Sowohl Hinweise auf Sicherheitslücken als auch auf Mängel in der Zugangskontrolle, die Anonymous streute, bestätigten sich nicht.

Anonymous verteidigte unterdessen seine Hinweise. Zwar seien die Papiere nicht geheim. Sie seien jedoch von der Öffentlichkeit bisher nicht entdeckt worden. „Wenn alle Dokumente wirklich schon seit Oktober 2011 offen liegen, warum hat man hinterher in Nachrichten und Reporten nie diese Zahlen gehört und gelesen?“, fragte Anonymous.

Geheimnistuerei der Regierung in der Kritik

Der verteidigungspolitische Sprecher der Grünen, Omid Nouripour, nahm den Vorfall zum Anlass, die Geheimnistuerei der Bundesregierung zu kritisieren. Diese habe sich die Aufregung selbst zuzuschreiben. Sie neige dazu, jedes Dokument erst einmal als „geheim“ zu stempeln.

Dem Wirbel etwa um das Funkprotokoll des vom deutschen Oberst Georg Klein befohlenen Angriffs, bei dem bis zu 100 Zivilisten starben, konnte Nouripour allerdings auch etwas Positives abgewinnen. „Jetzt wird der Öffentlichkeit deutlich, wie sehr die Piloten gemahnt haben“, sagte der Grünen-Politiker der dapd.

In den Funkprotokollen kann nun jeder nachlesen, wie groß die Bedenken der Besatzungen der US-Jagdflugzeuge F-15 gegen einen Luftschlag waren. Mehrfach plädierten sie für einen sogenannten Show-of-Force, einen Überflug in geringer Höhe, um „sie auseinanderzutreiben“ und die Lastwagen erst anschließend zu zerstören. Zudem geht aus den Cockpitgesprächen hervor, dass die Piloten die Regeln für einen Bombeneinsatz nicht gegeben sahen.

„Wir versuchen die Personen auszuschalten“

Wie der Untersuchungsausschuss des Bundestages im vergangenen Oktober feststellte, ging der Oberst von einer unmittelbaren Gefahr aus - durch die Taliban am Ort und die Tanklaster, die als Bombe hätten genutzt werden können.

Die Opposition kritisierte seine Entscheidung, weil die nötigen Informationen für eine Gefährdung durch die Laster gefehlt haben. Außerdem wäre eine Tötung von Aufständischen nur bei gleichzeitiger Vermeidung unverhältnismäßig vieler ziviler Opfer legitim gewesen.

Der Einsatz diente aber eindeutig der Tötung von Kämpfern. In dem Protokoll taucht die Frage auf: „Versucht ihr, die Lastwagen oder die Personen auszuschalten?“ Die Antwort lautet: „Wir versuchen die Personen auszuschalten.“

Auch Guttenberg Thema der Dokumente

In der Anlage des Berichts zum Untersuchungsausschuss finden sich auch militärische Originaldokumente, die kurz nach dem Luftangriff zu dessen Einschätzung erstellt wurden. Der Vorwurf, Informationen daraus seien angeblich dem damaligen Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) vorenthalten worden, hatte Ende November 2009 bei der Entlassung von Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan und Staatssekretär Peter Wichert eine Rolle gespielt.

Der sogenannte Feldjägerbericht, der die Affäre ins Rollen brachte und der noch immer als Verschlusssache gestempelt ist, wie auch die erste Stellungnahme Oberst Kleins sind per Verlinkung einsehbar. Darunter ist auch ein handschriftlicher Vermerk des Ex-Ministers.