Die Verhandlungen um das iranische Atomabkommen in Wien werden am Montag fortgesetzt. Der Westen zeigt sich pessimistisch, was den Ausgang angeht.

Istanbul - Vor der neuen Runde der iranischen Atomgespräche mit dem Westen sieht der Teheraner Präsident Ebrahim Raisi sein Land am längeren Hebel. Die iranische Anreicherung von Uran läuft auf Hochtouren und könnte dem Regime nach US-Schätzungen innerhalb weniger Wochen genug Material für eine Atombombe liefern. Aus Sicht des Hardliners Raisi gibt es für den Iran also keinen Grund für Kompromisse. Auf westlicher Seite herrscht vor den neuen Verhandlungen in Wien an diesem Montag deshalb Pessimismus. Allerdings könnte sich Raisi verrechnet haben, denn der Iran hat viel zu verlieren: Die Wirtschaft des Landes steuert auf einen Abgrund zu. Eine beginnende Wiederannäherung an die arabischen Staaten könnte helfen – doch dafür müsste Raisi auf eine Beton-Haltung in Wien verzichten.

 

Ziel der Wiener Gespräche ist die Wiederbelebung des Atomvertrages von 2015, der den Bau einer iranischen Atombombe verhindern sollte und dem Iran im Gegenzug für strikte Kontrollen einen Abbau internationaler Wirtschaftssanktionen versprach. Seit der damalige US-Präsident Donald Trump das Abkommen im Jahr 2018 aufkündigte, treibt der Iran die Urananreicherung voran. Der Vertrag gestand dem Land eine Anreicherung von weniger als vier Prozent zu, derzeit liegt das Niveau jedoch schon bei 60 Prozent. Von dieser Schwelle ist es technisch nur ein kleiner Schritt zur 90-prozentigen Anreicherung, die für eine Bombe gebraucht wird.

Wiederbelebung des Atomvertrages

Trumps Nachfolger Joe Biden bietet dem Iran eine Rückkehr der USA in den Vertragsrahmen an, verlangt aber, dass Teheran die hohe Anreicherung einstellt und der IAEA vollen Zugang zu seinen Atomanlagen gewährt. Sechs Verhandlungsrunden mit Raisis Vorgänger-Regierung im Frühjahr brachten Annäherungen, aber kein Ergebnis. Raisi, der einer Einigung mit dem Westen skeptisch gegenübersteht, ließ sich nach seinem Wahlsieg im Juni viel Zeit, bis er den neuen Verhandlungen zustimmte – und dann ernannte er Ali Bagheri-Kani, einen erklärten Gegner des Atomabkommens, zum Verhandlungsführer in Wien. Auch Raisis Mentor, Revolutionsführer Ali Khamenei, traut dem Westen nicht über den Weg.

Die Urananreicherung läuft für den Iran so gut, dass Teheran offenbar glaubt, damit auf den Westen Druck ausüben zu können. Raisi werde mit dieser Haltung jedoch möglicherweise das Gegenteil erreichen, sagte Henry Rome von der Eurasia Group der Nachrichtenagentur AP: Der iranische Präsident könnte zu hoch pokern – und verlieren.

Der Iran gibt sich selbstbewusst

Die Biden-Regierung, die wegen der iranischen Urananreicherung in den USA innenpolitisch unter Druck gerät, verschärft ihre Tonart und warnt den Iran vor einem Scheitern der Gespräche in Wien. Anders als unter Trump handeln die USA im Einklang mit ihren europäischen Verbündeten. Sollte es in Wien keine Ergebnisse geben, könnten die Strafmaßnahmen des Westens von verschärften Sanktionen über Sabotageaktionen im Iran bis zu Militärschlägen reichen.

Eine solche Eskalation könnte die Islamische Republik ins Wanken bringen. Schon jetzt kämpft der Iran mit der höchsten Inflation seit fast 30 Jahren, die bei Nahrungsmitteln inzwischen 60 Prozent erreicht hat. Auch die Pandemie, Umweltzerstörungen und Misswirtschaft lassen die Unzufriedenheit in der Bevölkerung steigen.

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