Anrufbetrug in Stuttgart Falscher Bankmitarbeiter flüchtet auf Balkon – und erschreckt Kind

Mit der erbeuteten EC-Karte holen sich die Anrufbetrüger am Ende noch weiteres Bargeld. Foto: IMAGO/Gottfried Czepluch

Ein 30-Jähriger soll älteren Opfern die EC-Karten abgenommen haben, nachdem sie von Anrufbetrügern reingelegt wurden. Ihm drohen vier bis fünf Jahre Haft.

Lokales: Wolf-Dieter Obst (wdo)

Der Beutezug des falschen Bankmitarbeiters endet an der S-Bahn-Station Schwabstraße. Polizeibeamte nehmen den 30-Jährigen fest, und noch am selben Tag erlässt ein Richter Haftbefehl. Der Vorwurf: gewerbsmäßiger Bandenbetrug. Der Mann aus Syrien soll zu einer Gruppierung gehören, die arbeitsteilig ältere Menschen mit einer speziellen Masche hereinlegt: Falsche Bankmitarbeiter rufen an, versetzen ihre Opfer am Telefon in Aufregung, und Komplizen – dazu soll der 30-Jährige gehören – holen deren EC-Karten ab. Der Schaden allein in seinem Fall soll bei 32 000 Euro liegen.

 

Seit Mittwoch muss sich der Beschuldigte vor der 5. Strafkammer des Stuttgarter Landgerichts verantworten. Die Liste der Vorwürfe ist lang – und die Tatorte ziehen sich von Ende 2024 bis zur Festnahme im April 2025 quer durchs Stadtgebiet. Genannt werden Tatorte in den Innenstadtbezirken West, Mitte, Ost, in Degerloch, Vaihingen und Hedelfingen, außerdem Böblingen.

In Botnang beispielsweise wurde am 17. Dezember 2024 eine 85-Jährige von einer angeblichen Bankmitarbeiterin angerufen, die ihr mitteilte, dass es wohl fehlerhafte Abbuchungen gebe und ihre EC-Karte dringend kontrolliert werden müsse. Die Anruferin bot laut Polizeibericht der verunsicherten Seniorin an, alles wieder ins Reine zu bringen und einen Mitarbeiter vorbeizuschicken. Ein Mann, ein „Herr Pedro“, dunkle Haare, dunkel gekleidet, nahm ihr die Karte und 900 Euro ab.

Dramatische Flucht vor der Polizei

Dramatisch wurde es am 24. Februar 2025 in Degerloch, wo „Herr Pedro“ laut Anklage einer 94-Jährigen die Karte abgenommen hatte, um dann am Abend in der Epplestraße versuchte, an Bankomaten Geld abzuheben. Vor einer Bankfiliale geriet er zufällig in eine Polizeikontrolle und flüchtete Hals über Kopf. Dabei kletterte er in der Albstraße auf einen Balkon, gestikulierte durch die Glasscheibe der Bewohnerin, dass er Hilfe brauche, um dann weiter zu flüchten. „Der siebenjährige Sohn hat bis heute große Probleme“, sagt der Staatsanwalt, „weil er immer Angst vor einem Mann auf dem Balkon hat.“ Selbst die Mutter hatte aus Angst vor dem Unbekannten zunächst keine Anzeige erstattet.

Der 30-Jährige aus Aleppo, Ältester von fünf weiteren Geschwistern, berichtet selbst von Traumatisierungen durch den Bürgerkrieg in Syrien und von seiner Drogensucht. Der Vorsitzende Richter der 5. Strafkammer, Volker Peterke, hat zum Auftakt schon mal das mögliche Strafmaß skizziert: Ohne Geständnis mehr als fünf Jahre, mit Geständnis vier Jahre. Ein Täter-Opfer-Ausgleich, für den seine Familie aber nicht die nötigen 16 000 Euro aufbringen kann, könnte womöglich noch etwas Rabatt bringen.

Die Geschichten am Telefon treffen bei der Masche des falschen Bankmitarbeiters stets ins Mark: Mal sollen Tausende Euro unberechtigt abgebucht worden sein, mal sei die EC-Karte wegen offener Rechnungen gesperrt, mal sei sie defekt, mal sei wohl noch Falschgeld abgehoben worden. In diesen Fällen fragte zumeist eine „Sabine Maier“ am Telefon: „Haben Sie bei Zalando Waren für 4200 Euro bestellt?“ Wenn die überrumpelten Opfer dann auch noch die Geheimzahl ihrer angeblich defekten oder manipulierten EC-Karte am Telefon verraten, haben die Täter leichtes Spiel.

Schaden im Südwesten: Mehr als 18 Millionen Euro

Die Betrugsmasche mit den falschen Bankmitarbeitern ist vergleichsweise neu. Im Januar 2014 warnte etwa das Polizeipräsidium Ludwigsburg vor einer ersten Welle dieser Variante. Immer öfter landen nun aber auch Tatverdächtige vor Gericht. Parallel zu dem 30-Jährigen sitzen drei weitere Beschuldigte auf der Anklagebank – in einem anderen Verfahren, das von der 3. Jugendstrafkammer geführt wird. Den Beschuldigten im Alter von 20, 21 und 28 Jahren wird vorgeworfen, bei ihrem Beutezug im Namen falscher Banker 45 000 Euro Schaden angerichtet zu haben. Die Tatorte bei dieser Serie reichen von Leonberg, Renningen, Möglingen, Hemmingen, Korntal und Kornwestheim über Backnang und Schorndorf bis nach Karlsruhe und Neu-Ulm

Falsche Polizeibeamte (45 Prozent) und der Schockanruf mit angeblichen Angehörigen in einer Notlage (44 Prozent) zählen zu den häufigsten Anrufstraftaten in Baden-Württemberg. Die Polizei registrierte im vergangenen Jahr im Südwesten 18,4 Millionen Euro Schaden. Dabei werden viele Straftaten nicht einmal angezeigt. Aus dem Sicherheitsbericht des Innenministeriums geht hervor, dass bei einer Befragung die Opfer bei vollendeten Taten zu 33 Prozent und bei Versuchen zu 39 Prozent von einer Anzeige abgesehen hatten, weil sie glaubten, die Polizei könne da ohnehin nichts mehr machen.

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