Anschlag auf Trump Droht die Eskalation im US-Wahlkampf?
In Pennsylvania passiert das Unfassbare: Ein Schütze feuert auf den Präsidentschaftsanwärter Donald Trump. Dies gibt dem Wahljahr eine dramatische Wende.
In Pennsylvania passiert das Unfassbare: Ein Schütze feuert auf den Präsidentschaftsanwärter Donald Trump. Dies gibt dem Wahljahr eine dramatische Wende.
Donald Trump reckt die geballte Faust während Blut über sein grimmiges Gesicht strömt. „Kämpft! Kämpft! Kämpft!“, ruft er seinen Anhängern zu. Kurz zuvor hatte ihn während einer Kundgebung im ländlichen Pennsylvania eine Kugel am rechten Ohr getroffen. Abgefeuert von einem 20-jährigen Mann, der Trump sechs Minuten nach Beginn der Kundgebung vor Tausenden seiner Fans vom Flachdach eines Gebäudes ins Visier genommen hatte.
Beamte des Secret Service stürzten sich schützend über den Ex-Präsidenten. „Pop“-Geräusche sind zu hören. Die acht Kugeln töten einen Trump-Anhänger und verletzen zwei weitere. Panik bricht aus. Kurz darauf ruft ein Agent „Shooter down“ (dt. Schütze ausgeschaltet). Der 78-jährige Trump rappelt sich aus eigener Kraft auf. Er steht, er lebt.
„Wartet“, wehrt sich der Kandidat gegen das Drängen der Personenschützer, die Bühne schnell zu verlassen. Und macht dann die Geste, die auf Fotos verewigt, eines Tages in Geschichtsbüchern zu sehen sein wird. Zu „USA, USA“-Rufen der Menge wird Trump zu einem schwarzen SUV gebracht. Noch einmal streckt er die Faust nach oben, bevor ihn der Secret Service in Sicherheit bringt.
Ob diese im Fernsehen in Endlosschleife laufenden Aufnahmen den dramatischen Anfang des Comebacks eines politischen Überlebenskünstlers markieren oder das Ende der Demokratie in Amerika einläuten, werden die kommenden Wochen zeigen.
Sicher ist nach Ansicht von Analysten wie Douglas Brinkley, dass sie die Dynamik des Wahlkampfs verändern werden. „Ein Attentat zu überleben, macht ihn zum Märtyrer“, sagt der Präsidentschafts-Historiker an der Rice Universität in Houston. „Und löst eine Welle an öffentlicher Sympathie aus.“
Wie einst nach dem Attentat auf Ronald Reagan im Jahr 1981, der in den Wochen darauf acht Prozent in den Umfragen zulegte. Das wäre mehr als genug, um Trump im November einen Erdrutsch-Sieg zu bereiten. Seit der Selbstdemontage Joe Bidens vor 51 Millionen Zuschauern in der Debatte gegen den Ex-Präsidenten Ende Juni lag dieser ohnehin schon in allen Umfragen vorn. Meinungsforscher Frank Luntz ist sich sicher, dass dieses Attentat Einfluss auf die Wahlentscheidung haben wird: „Jeder Trump-Wähler geht nun wählen.“
Das vermutet auch Historiker Douglas Brinkley. „Trumps nach oben gestreckte Faust wird jetzt zum neuen Symbol.“ Es stehe für Stärke unter Beschuss und kontrastiert mit der Schwäche, die der gebrechliche Amtsinhaber Biden (81) projiziert. Dessen mentale und körperliche Fitness stand über die vergangenen Wochen im Zentrum wachsender Zweifel und Rückzugsforderungen aus seiner eigenen Partei.
Unter massivem Druck gelobte Biden in einer Telefonkonferenz mit Geldgebern vergangene Woche, „dass es Zeit wird, Trump ins Visier zu nehmen“. Ein unglückliches Zitat, das die Republikaner bereits Stunden nach dem Attentatsversuch gegen den Präsidenten richten. „Joe Biden hat den Befehl gegeben“, schiebt der Abgeordnete Mike Collins ihm die Verantwortung für den Mordanschlag in die Schuhe. Tatsächlich ist bisher nichts von den Motiven des Schützen bekannt. Und gewiss hat Biden nicht den Auftrag zu dem von den Ermittlern des FBI, Secret Service und „Bureau of Alcohol, Tabacco, Firearms and Explosives“ als „Attentatsversuch“ eingestuften Verbrechen erteilt.
Staatsmännisch rief Biden seinen Gegner nach dem Anschlag an, um ihm seine Anteilnahme zu versichern. Er zog alle TV-Spots zurück, die parallel zu dem an diesem Montag in Milwaukee beginnenden Parteitag der Republikaner daran erinnern wollten, dass diese einen verurteilten Straftäter, Vergewaltiger und Betrüger für das Weiße Haus nominieren wollen.
In einer kurzen Ansprache nannte Biden den Angriff „krank“. So etwas dürfe „keinen Platz in Amerika“ haben. „Jeder muss das verurteilen“. Ähnlich äußerten sich auch andere prominente Demokraten wie Ex-Präsident Barack Obama sowie die Kongressführer Chuck Schumer und Hakeem Jeffries. Gemessen an den Reaktionen aus der Trump-Welt sieht wenig danach aus, dass es nach dieser Eskalation der Gewalt zu einer Beruhigung kommt. Im Gegenteil.
Senator JD Vance, der als Vizepräsidentschaftskandidat Trumps im Gespräch ist, gab mit seiner Reaktion einen Ausblick auf das Narrativ, das die Republikaner über die kommenden vier Tage in Milwaukee im Swing State Wisconsin Millionen Fernsehzuschauern einhämmern werden. Biden habe den Kandidaten der Republikaner zu „einem autoritären Faschisten gemacht, der unter allen Umständen gestoppt werden muss“. Dies habe direkt zu dem Attentat geführt.
Trump kündigte nach einem kurzen Aufenthalt im Krankenhaus an, der Parteitag werde wie geplant stattfinden. Und selbstverständlich werde er dort auch sprechen.
Nach Ansicht von Beobachtern könnte seine Inszenierung als Märtyrer und Opfer einer Hexenjagd aufgehen. „Erst haben sie ihn mit Prozessen überzogen. Dann haben sie versucht, ihn von den Wahlscheinen zu verbannen. Und jetzt das“, verknüpft der Trump-Verbündete Vivek Ramaswamy Dinge, die eigentlich nichts miteinander zu tun haben.
Der republikanische Senator Mike Lee forderte Biden auf, als Geste der politischen Versöhnungsbereitschaft das Justizministerium anzuweisen, „alle Anklagen in den Strafprozessen nach Bundesrecht gegen Präsident fallen zu lassen“. Das könne dazu beitragen, die Wunden heilen zu lassen. Trump muss sich für seine Rolle beim Sturm auf das Kapitol und wegen der Aneignung von Dokumenten mit höchsten Staatsgeheimnissen verantworten.
Viele Trump-Anhänger sind sich sicher, dass es „göttliche Vorsehung“ war, dass Trump überlebte. Wie ein Beleg für dessen Auserwähltheit zirkuliert in den sozialen Medien ein Bild des „New York Times“-Fotografen Doug Mills, das dieser mit einer Kamera mit superschnellem Verschluss eingefangen hat. Es zeigt eine der auf Trump abgefeuerten Kugeln, die haarscharf an seinem Kopf vorbeifliegt.
Ob göttliche Intervention oder bloßes Glück – sicher ist, dass die Schüsse von Butler das ohnehin chaotische Rennen zwischen den beiden ältesten Kandidaten für das Weiße Haus weiter durcheinanderbringen.