Ein Unternehmenschef wird enthauptet, vor einer Fabrik kommt es zu einer Explosion. In einer Stadt bei Grenoble haben islamistischen Terroristen zugeschlagen.

Saint-Quentin-Fallavier - Es fällt nicht schwer, sich hier ein flammendes Inferno auszumalen. Schwerlasttransporter ziehen Gastanks hinter sich her, deren Fracht, explosiv und komprimiert, auf jeweils zwölf Reifen ruht. Ein paar Schritte dahinter ragen mit Industriegasen gefüllte Silos in den Sommerhimmel. Freitag kurz vor zehn Uhr ist es, als hier im Industriegebiet von Saint-Quentin-Fallavier auf dem Gelände der amerikanischen Firma Air Products ein Auto mit hoher Geschwindigkeit auf eine Reihe von Gasflaschen zufährt und sie rammt. Es folgt eine Explosion, ausgelöst durch den Zusammenprall oder aber durch die Hand eines Eindringlings.

 

Als die Sicherheitskräfte und Sanitäter am Explosionsort eintreffen, stockt ihnen der Atem. Auf dem das Firmenareal umgebenden Gitter steckt der Kopf eines Enthaupteten, bemalt mit arabischen Schriftzeichen. Rechts und links davon ragt eine Flagge empor: das Banner der Terrorgruppe Islamischer Staat (IS). Das Opfer ist kein Mitarbeiter von Air Products, sondern der Leiter eines Unternehmens aus der Umgebung. Haben der oder die Täter bereits vor der Amokfahrt gemordet? Haben sie den Leichnam mitgebracht? Die Explosion ist vergleichsweise glimpflich abgegangen. Zwei Leichtverletzte sind zu beklagen. Bereits am frühen Nachmittag kann Frankreichs Innenminister Bernard Cazeneuve Festnahmen vermelden. Als tatverdächtig ist der von einem Feuerwehrmann überwältigte Yassin Salhi verhaftet worden sowie mehrere mögliche Komplizen. Das Opfer soll Salhis Chef gewesen sein.

Der etwa 30 Jahre alte Salhi ist für die auf Terrordelikte spezialisierte Pariser Sonderstaatsanwaltschaft kein Unbekannter. 2006 war der nicht weit von Lyon wohnende Mann als radikal auftretender Salafist ins Visier des Inlandsgeheimdienstes geraten. Zwei Jahre später freilich galt Salhi noch als strenggläubig, aber nicht mehr als potenziell gefährlich. Dass er sich strafrechtlich in der Folgezeit nichts zuschulden kommen ließ, schien die Einschätzung des Geheimdienstes zu bestätigen.

Angst vor weiterem Blutvergießen

Noch am Freitagnachmittag erkundigen sich Schulleiter aus der Umgebung, ob es ratsam sei, Kinder ins Freie oder nach Hause gehen zu lassen. Das am Freitag 40 Mitarbeiter zählende Personal ist zu diesem Zeitpunkt in Sicherheit gebracht, der Tatort weiträumig abgesperrt worden. Zu Wort melden sich mit den Sicherheitskräften in Kontakt stehende Politiker. „Der oder die Täter wollten eine möglichst zerstörerische Explosion auslösen, möglichst viele Menschen umbringen, möglichst großen Schrecken stiften“, sagt Jean-Jacques Queyranne, Präsident des Parlaments der Region Rhône-Alpes. Das sei das Kalkül der Attentäter gewesen, die sich mit dem Industriegebiet von Saint-Quentin-Fallavier einen Anschlagsort gesucht hätten, wo Tausende von Menschen ihrer Arbeit nachgehen.

Aus Brüssel meldet sich Frankreichs Staatspräsident zu Wort. Mit schwerer Stimme, nach Worten ringend, kündigt der Präsident an, dass man nun tun müsse, was die Franzosen erwarteten, nämlich sie beschützen. Es seien alle Sicherheitsvorkehrungen getroffen worden, versichert Hollande. Wie schon nach dem knapp ein halbes Jahr zurückliegenden Massaker in den Pariser Redaktionsräumen des Satireblattes „Charlie Hebdo“, dem weitere Anschläge folgten, geht die Angst um, die Detonation bei Air Products sei womöglich nur der Auftakt zu weiterem Blutvergießen. Es gelte im Angesicht des Terrors „niemals der Angst nachzugeben“, fügt Hollande hinzu. Er bricht seine Brüssel-Reise ab.

Am Nachmittag tritt der Verteidigungsausschuss zusammen. Innenminister Cazeneuve erinnert daran, was schon geschehen ist, um dem Terror die Stirn zu bieten. Von 1500 neuen Posten und Investitionen in Höhe von 233 Millionen Euro spricht Cazeneuve. Auf dem gesamten französischen Staatsgebiet sorge ein großes Aufgebot der Sicherheitskräfte für den Schutz gefährdeter Personen. Den Anschlag von Saint-Quentin-Fallavier konnte die Streitmacht freilich nicht verhindern. „Das ist nun eine neuerliche Prüfung für unser Land“, sagt Cazeneuve.