Im Elsass formiert sich der Widerstand gegen die Atomkraft. Die Aktivisten wollen, dass das AKW Fessenheim sofort abgestellt wird.

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Stuttgart - Bernard Ruotmann überlegt nicht lange. "Wir haben hier in Fessenheim vier Ärzte, eine Apotheke, ein Schwimmbad, einen Supermarkt", zählt der Restaurantbesitzer auf und könnte die Liste wohl noch verlängern, würde ihm nicht ein vorbeidonnernder Lastwagen das Wort abschneiden. Auf der Durchgangsstraße wird gerade der Fahrbahnbelag erneuert. Ruotmann ist überzeugt: "Das alles haben wir dem Atomkraftwerk zu verdanken." Weswegen sollte er angesichts dieser vielen Segnungen gegen das Atomkraftwerk sein, fragt der 53-Jährige leutselig, zumal er wisse, dass die meisten Leute in Fessenheim so dächten.

 

Auch dass das Atomkraftwerk mitten in einer Erdbebenzone liegt, beunruhigt den Gastronomen kaum. Es werde so viel in die Sicherheit des Kraftwerkes investiert, sagt Ruotmann, gerade jetzt haben sie doch wieder mit einem Check begonnen. Tatsächlich haben vergangenen Montag mehr als 1600 Techniker und Experten am Reaktorblock 2 mit der regelmäßigen Zehnjahreskontrolle begonnen. Von deren Ergebnis hängt ab, ob der Reaktor für weitere zehn Jahre betrieben werden kann. Die Inspektion soll nach Angaben der französischen Atomaufsichtsbehörde ASN in Straßburg fast sieben Monate dauern. Gleichzeitig wird auch geprüft, ob die Anlage den neuesten Sicherheitsanforderungen entspricht - besonders was die Gefahr von Erdbeben und Überschwemmungen angeht.

Atomkraft ist eine Staatsangelegenheit

Jean-Jacques Reutti hält diese Inspektionen für bloße Augenwischerei. Der pensionierte Lehrer ist ein Urgestein der Anti-Atomkraft-Bewegung im Elsass. Er war schon dabei, als Anfang der 70er Jahre die Leute gegen den Bau des AKW Fessenheim auf die Straße gegangen sind. Aufhalten konnten er und seine Mitstreiter den Bau der beiden 900-Megawatt-Reaktoren und den Ausbau der Atomenergie in Frankreich allerdings nicht. Inzwischen werden westlich des Rheins 58 Reaktoren in 19 Atomkraftwerken betrieben.

"Atomkraft ist in Frankreich seit der Zeit von General de Gaulle eine Staatsangelegenheit", sagt Jean-Jacques Reutti. Dieses Denken sei tief in den Köpfen der Herrschenden verankert. Aktuelles Beispiel sei Präsident Nicolas Sarkom, erklärt Reutti. Dieser reise auch nach dem Unglück in Fukushima durch die Welt und versuche, französische Atomkraftwerke zu verkaufen. Dennoch wittert der alte Kämpfer nach Jahren des vergeblichen Mühen nun Morgenluft. "Wenn Deutschland, diese Wirtschaftsmacht, auf einen Schlag sieben Atommeiler abstellen kann, muss doch auch in Frankreich etwas gehen", sagt er. Aus diesem Grund versuchen Reutti und seine Mitstreiter in diesen Wochen ihre Kräfte wieder zu bündeln. Ihr Ziel ist, dass zumindest die beiden alten Reaktoren in Fessenheim vom Netz gehen.

Proteste für Ostermontag geplant

Immer wieder rufen sie zu Demonstrationen auf und Reutti fährt in seinem Kleinwagen quer durch die Region und plakatiert die grellgelben Anti-Fessenheim-Plakate. Vor der Präfektur in Colmar haben eine Handvoll Aktivisten einen "Fastenstreik" begonnen. Sie wollen so lange nur Kräutertee und Wasser zu sich nehmen, bis die Laufzeitverlängerung für das Kraftwerk vom Tisch ist. Für Ostermontag haben zudem Atomkraftgegner aus dem Dreiländereck zu großen Kundgebungen an der deutsch-französischen Grenze bei Champagne aufgerufen. Auch auf der Europabrücke Kehl/Straßburg wollen sich deutsche und französische Demonstranten mittags zu einer Kundgebung treffen.

Im fernen Paris dürfte man diese Aktionen allenfalls beiläufig zur Kenntnis nehmen. Mehr beunruhigen wird in diesem Zusammenhang, dass zum ersten Mal in der Geschichte Frankreichs eine Großstadt gegen die Atompläne Widerstand leistet. Die Elsass-Metropole Straßburg hat dem alten Meiler in Fessenheim den Kampf angesagt. "Wir sind erstaunt von den Parallelen zu Fukushima", sagt Roland Ries, Bürgermeister von Straßburg. "Die Reaktoren in Fukushima sind seit 30 Jahren am Netz, gerade erst wurde die Laufzeit um 10 Jahre verlängert. Bei uns ist Fessenheim auch seit rund 30 Jahren am Netz. Und auch bei uns soll die Laufzeit um 10 Jahre verlängert werden. Wir sind für die Schließung."

Wer sich unsicher fühlt, soll gehen

Hinter dem Bürgermeister steht der gesamte Straßburger Stadtrat. Quer durch alle Fraktionen stimmten die Politiker für den Schließungsantrag der örtlichen Grünen. Fessenheim sei nicht nur alt, sondern habe auch viermal so viele Störfälle erlebt wie der Durchschnitt der französischen Atomkraftwerke, heißt es im Beschluss.

Der Gastronom Bernard Ruotmann kann angesichts dieser Aufregung nur die Schultern zucken. "Die Leute im Atomkraftwerk wissen doch, was sie tun", sagt er, schließlich seien die französischen Meiler die sichersten der Welt. Und für die Kritiker hat der Fessenheimer einen ebenso einfachen wie radikalen Rat: "Wer sich hier nicht sicher fühlt, der kann doch gehen."