Misstrauisches Publikum, verschärfte IAAF-Regeln: die Leichtathletik will zum Vorkämpfer im Kampf gegen Doping werden. ARD-Dopingexperte Hajo Seppelt sieht jedoch noch eine Menge Arbeit.

Berlin - Die Ehrenrunde von Ramil Guliyev (28) war nicht besonders stimmungsvoll. Eher dezenten Beifall gab es im Berliner Olympiastadion, nachdem der für die Türkei startende Aserbaidschaner in 19,76 Sekunden Europameister über 200 Meter geworden war. Einzig der Italiener Pietro Mennea (19,72 im Jahr 1979) war in Europa jemals noch schneller gewesen als der Mann mit der Sonnenbrille und den volltätowierten Armen, um den sich seit Jahren Dopinggerüchte ranken. Überführt wurde er noch nie.

 

Publikum ist misstrauischer

Das Publikum ist nach den vielen Skandalen misstrauisch geworden und bejubelt nicht mehr unbeschwert jede Weltklasseleistung. Für den ARD-Dopingexperten Hajo Seppelt eine positive Entwicklung: „Weil man heutzutage manche Hintergründe sportlicher Leistungen besser kennt, ist das Publikum kritischer – in Stadien, in Redaktionen, ja sogar an den Stammtischen.“

Knapp 1600 Athleten waren in Berlin am Start, rund 600 von ihnen sind während der EM kontrolliert worden. Neun Räume waren im Olympiastadion dafür reserviert, die Proben vorzunehmen. Positiv war keine einzige. Was Seppelt nicht überrascht: „Man müsste schon besonders bekloppt sein, wenn man während solcher Titelkämpfe in die Falle tappt. Nur die Dummen lassen sich erwischen.“ Viel mehr würde ihn interessieren, was in den Monaten vor großen Meisterschaften war.

Der Kampf gegen Doping ist fast nicht zu gewinnen

Eine Binsenweisheit ist es, dass der Kampf gegen Doping nicht zu gewinnen ist. Es wird immer Athleten geben, die mit unerlaubten Mitteln nachzuhelfen versuchen. Doch erkennt auch Seppelt an, dass neben dem Radsport auch in der Leichtathletik Fortschritte erzielt wurden. Nicht ganz freiwillig zwar, aber immerhin. „Der Weltverband musste zum Jagen getragen werden, der Druck auf dem Kessel war gewaltig“, sagt der Dopingexperte und betrachtet es als „alternativlos“, dass IAAF-Präsident Sebastian Coe Dopingsündern mittlerweile den Krieg erklärt hat.

Kurz vor der EM beschloss das IAAF-Council in Buenos Aires die nächste Offensive. Erstmals veröffentlichte die AIU, eine unabhängige Integritätskommission des Weltverbandes, Namen und Einzelheiten in mehr als hundert derzeit laufenden Dopingverfahren. Darunter auch EM-Starter wie die schwedische 10 000-Meter-Bronzegewinnerin Meraf Bahta. Zwar melden Datenschützer große Bedenken an dieser Vorgehensweise an – doch gilt sie als wichtiges Instrument der Abschreckung und als großer Schritt zu mehr Glaubwürdigkeit und Transparenz.

„Hochrisikoländer“ müssen Nachweise liefern

Zu den verschärften Antidopingregeln gehört auch, dass Verbände aus „Hochrisikoländern“ der Kategorie A wie Kenia und Äthiopien künftig sicherstellen müssen, dass ihre Athleten in den zehn Monaten vor großen Meisterschaften mindestens dreimal außerhalb von Wettkämpfen getestet werden. Zur Kategorie B zählen Verbände, die als „international wettbewerbsfähig“ zählen, also auch der DLV. Sie müssen fortan vor Titelkämpfen Dopingtestpläne ihrer Athleten vorlegen.

In Berlin war es noch so, dass auch deutsche Starter ins Rennen gingen, die in dieser Saison nicht kontrolliert wurden. Es waren jene Athleten, die der DLV aus dem Kader und damit dem Kontrollpool gestrichen hatte: die 5000-Meter-Läufer Florian Orth und Marcel Fehr etwa oder Marathonmann Philipp Pflieger. Vergeblich hatten sie den Verband darum gebeten, kontrolliert zu werden.

Sonderfall Russland

Ein Sonderfall bleibt Russland. Vorerst bis Dezember bleibt der Leichtathletikverband suspendiert. Hajo Seppelt, der das systematische Doping Ende 2014 ans Tageslicht gebracht hatte, wird genau hinschauen, wie es danach weitergeht. Zwar will der IAAF auf die Erfüllung der Bedingungen bestehen. Doch spürt Seppelt „massiven Druck interessierter IOC-Kreise um Präsident Thomas Bach“, die nichts unversucht ließen, um die Kriterien der Welt-Antidopingagentur (Wada) zu unterlaufen. „Ich fürchte, es wird nicht lange dauern, bis die Wada die weiße Fahne hisst. Ich bin gespannt, ob der IAAF auch dann noch so standhaft bleiben kann.“