Es gibt eine Razzia, die Parteizentrale wird verwüstet, und 17 Politiker werden festgenommen. Die Maßnahmen gegen die prokurdische Partei in der Türkei werden immer härter.

Istanbul - Ein Bild der Verwüstung bot sich den Mitarbeitern der Istanbuler Zentrale der prokurdischen Linkspartei HDP am Donnerstagmorgen. Um drei Uhr morgens hatte die Polizei die Büros im zentralen Stadtteil Beyoglu durchsucht und dabei keinen Stein auf dem anderen gelassen. Die Aktion erfolgte im Zusammenhang mit weiteren Razzien in der Metropole, die sich gegen mutmaßliche Mitglieder der kurdischen Arbeiterpartei PKK richteten; dabei wurden 17 Personen festgenommen. Bei der Aktion gegen die prokurdische Partei kamen der Agentur Dogan zufolge in der Nacht ein Hubschrauber und Anti-Terror-Einheiten zum Einsatz.

 

Politiker der HDP kritisierten das Vorgehen der Polizei und beklagten, dass Mitglieder ihrer Partei seit dem gescheiterten Militärputsch vom 15. Juli zunehmend polizeilichen Übergriffen ausgesetzt seien. Die HDP stellt die drittstärkste Fraktion im türkischen Parlament. Die Operation der Antiterrorpolizei war eine Reaktion auf Bombenanschläge vom Mittwochabend in den Städten Diyarbakir und Mardin in Südostanatolien, bei denen laut Agenturberichten neun Zivilisten ums Leben kamen. Die Regierung macht die PKK für die Attacken verantwortlich und vermutet offenbar Mittäter in Istanbul. Laut Anadolu richtete sich die Polizeioperation gegen die „städtische Struktur“ der PKK in zehn Istanbuler Bezirken, den Festgenommenen werde Mitgliedschaft in einer Terrororganisation vorgeworfen.

Die HDP hat die Anschläge scharf verurteilt

Der PKK-Militärchef Cemil Bayik hatte am Wochenende Anschläge in türkischen Metropolen angekündigt und erklärt, dass der „Krieg in Zukunft überall stattfindet, ohne zwischen Bergen, Tälern und Städten zu unterscheiden“. Ein zweieinhalbjähriger Waffenstillstand zwischen der Türkei und der PKK endete im vergangenen Jahr, gefolgt von heftigen Kämpfen. Die PKK wird in der Türkei, den USA und der EU als Terrororganisation aufgeführt. Die parlamentarische Kurdenpartei HDP hatte die Anschläge vom Mittwoch scharf verurteilt und eine Rückkehr an den Verhandlungstisch gefordert. Gleichwohl wurde ihre Istanbuler Zentrale gleichzeitig mit der Anti-PKK-Operation, wenn auch offiziell aus anderen Gründen, durchsucht.

Der Partei wird demnach vorgeworfen, dass in ihren Räumen „Treffen von Verdächtigen stattfinden, die illegale Demonstrationen organisieren“. Auf ihrem Twitter-Account erklärte die HDP, dass die Beamten die Tür aufgebrochen und die Räume „illegalerweise“ betreten hätten, da kein Parteifunktionär anwesend war. Es war schon die dritte Durchsuchung der Büros seit Januar. Laut der kurdischen Nachrichtenagentur Dicle fanden HDP-Mitglieder rassistische Parolen an den Wänden, die Bildern an den Wänden und Bücher in den Regalen seien auf den Boden geworfen worden, Möbel zertrümmert und sämtliche Festplatten der Computer beschlagnahmt worden.

Die Aktionen werden häufiger

„Solche Aktionen kommen immer öfter vor, sie folgen keinen rechtsstaatlichen Regeln mehr, und wir können nichts dagegen tun“, erklärte der HDP-Abgeordnete Ziya Pir gegenüber dieser Zeitung. Seit dem Putschversuch werde die HDP noch stärker kriminalisiert als zuvor, die Polizei habe offenbar „eine Art Freibrief für illegale Aktionen“ gegen seine Partei, die bei der vorerst letzten Parlamentswahl 5,2 Millionen Stimmen bekommen habe.

„Es ist offensichtlich, dass man uns ausgrenzen und in die Terrorismusecke stellen will, obwohl wir uns immer klar von Terrorakten distanziert haben“, meint Ziya Pir. Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan beschuldigt die HDP, der politische Arm der PKK zu sein. Während er mit den anderen „türkischen“ Oppositionsparteien seit dem Putschversuch einen Versöhnungskurs steuert, lädt er die HDP weder zu gemeinsamen Gesprächen noch zu Demokratiekundgebungen wie am vergangenen Sonntag in Istanbul ein - obwohl sie wohl die einzige Parlamentspartei ist, die nie Verbindungen zur islamischen Gülen-Bewegung unterhielt, welche den Putsch laut der türkischen Regierung organisiert haben soll.