Wer mit der Pille verhütet, sollte sich auch über unerwünschte Nebenwirkungen Gedanken machen.

Stuttgart Seit Jahren sind die Antibabypillen Yasmin, Yasminelle und Yaz ein Gewinngarant für Bayer. Jetzt gibt es Ärger im Konzern: Kürzlich musste Bayer in den USA die Warnhinweise in den Pillen-Packungen verschärfen. Mehr als 10 000 Frauen hatten in den USA Klage gegen Bayer eingereicht, unter anderem auch wegen der Annahme einer erhöhten Thrombosegefahr. In einigen Fällen soll die Pille tödlich gewirkt haben. Der Konzern muss nun eine Entschädigung von 107 Millionen Euro an amerikanische Frauen zahlen. In Europa ist der Thrombose-Hinweis auf dem Beipackzettel bereits seit 2010 Pflicht. Wie groß das Risiko einer Thrombose bei der Verhütung mit der Pille ist, darüber gibt Diethelm Wallwiener, Ärztlicher Direktor an der Frauenklinik Tübingen, Auskunft.
Herr Wallwiener, ist das Risiko bei modernen Pillen höher?
Dass es unter der Pille ein erhöhtes Risiko für Thrombosen gibt, ist seit Einführung der ersten Pille bekannt. Seit Mitte der neunziger Jahre gibt es die Diskussion, ob sich diesbezüglich die Pillen unterscheiden, damals ausgelöst durch die Einführung von Pillen, die Gestagene der sogenannten 3. Generation enthalten. Gestagene sind künstliche Hormone, die unter anderem dadurch vor Schwangerschaften schützen können, dass sie den Eisprung verhindern. Aufgrund von vier neuen Studien gehe ich davon aus, dass das Thromboserisiko unter Pillen mit Gestagenen der 3. Generation sowie auch für Dospirenon, das in den Pillen besagter Yasmin-Gruppe enthalten ist, tatsächlich etwas höher liegt im Vergleich zu den alten Präparaten mit Gestagenen der 1. und 2. Generation. Bezüglich Drospirenon wird von Seiten der Behörden in den Beipackzetteln darauf aufmerksam gemacht, dass das Risiko „möglicherweise“ etwa vergleichbar mit den genannten Pillen der 3. Generation sein könnte.

Sollten wir jetzt also lieber auf Pillen aus den 60er Jahren zurückgreifen?
Diese Frage muss man unbedingt verneinen, da diese Pillen viel zu viel von dem synthetischen Östrogen enthielten, dem sogenannten Äthinylöstradiol. Und dies ist die entscheidende Komponente, die zum Thromboserisiko unter Pillen führt! Demgegenüber sind die Risikounterschiede bezüglich der Gestagenkomponenten sehr gering; viele Experten bezweifeln bis heute, ob sie überhaupt klinisch relevant sind. Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt Frauen mit hohem Risiko, die unter Gerinnungsstörungen leiden oder familiär vorbelastet sind, mit Gestagenen zu verhüten, das heißt Präparate ohne Äthinylöstradiol zu verwenden.

Was empfehlen Sie?
Da wie gesagt im Vergleich zu den 60er Jahren die Östrogendosis stark reduziert wurde, ist auch das Thromboserisiko geringer. Für Frauen ohne erhöhte Risiken ist somit das Thromboserisiko unter allen Pillen relativ gering. Falls also keine primär erhöhten Risiken vorliegen, empfehlen wir kombinierte Pillen mit dem Äthinylöstradiol, da weniger Schmierblutungen erfolgen und auch das Risiko für Eierstock- oder Gebärmutterkrebs gesenkt werden kann.

Wo liegt das Problem bei den Pillen der Yasmin-Gruppe? Was sind ihre Vorteile?
Die Pillen mit dem Gestagen „Dospirenon“ können am Anfang den Stoffwechsel in eine Richtung verändern, so dass eine leichte Gewichtsabnahme erfolgen kann. Es wurde auch gezeigt, dass unter diesen Pillen der Blutdruck sehr stabil gehalten oder sogar gesenkt werden kann. Auch eine Akne kann sich unter diesen Pillen gut verbessern, besser als mit anderen Pillen. Die meisten Frauen fühlen sich unter diesen Medikamenten auffallend wohl. Andrerseits scheint es eben auch ein etwas höheres Risiko für Thrombosen zu geben. Woran das genau liegen könnte, ist noch nicht bekannt. Das Risiko betrifft aber wirklich nur sehr wenige Frauen, falls sie nicht besonders vorbelastet sind. In den Studien wurden Drospirenon-haltige Pillen häufiger als sonst bei Frauen mit Übergewicht verwendet, weil man sich eine Gewichtsabnahme versprach. Das könnte ein Grund dafür gewesen sein, dass man häufiger Thrombosen gesehen hat.

Aber ein Risiko bleibt.
Falls ein erhöhtes Risiko besteht, gibt es Alternativen, dieses zu vermeiden oder zu senken, zum Beispiel mit reinen Gestagenpillen, durch Anwendung von Spiralen oder Spritzen, die nur Gestagene enthalten. Frauen sollten sich über zwei Konsequenzen im Klaren sein, wenn keine sichere Verhütung erfolgt: im Falle einer Schwangerschaft ist das Thromboserisiko mindestens doppelt so hoch, nach einigen Studien sogar vielfach höher im Gegensatz zu allen heute gebräuchlichen Pillen. Und zweitens ist das Risiko in den ersten drei bis sechs Monaten sicher deutlich höher als vor dem Absetzen der Pille.

Was sollten Übergewichtige oder Raucherinnen wissen?
Starkes Übergewicht, etwa 15 bis 20 Kilo zu viel, oder starkes Rauchen von mehr als 10 Zigaretten am Tag führen zu einem stark erhöhten primären Risiko. Zudem steigt das Risiko steil mit dem Alter an. Deshalb werden für starke Raucherinnen, die älter als 35 Jahre alt sind, keine üblichen Kombinationspillen mehr empfohlen. Sie sollten sich unbedingt vom Frauenarzt beraten lassen. Häufig ist die Spirale eine Lösung.

Wie hoch ist das Thrombosenrisiko für Frauen denn konkret?
Ohne Pille, ohne hormonelle Verhütung und ohne vorbestehende Risiken liegt das Risiko für 20-jährige Frauen etwa bei ein bis zwei Thrombosen pro 10 000 Anwen-derinnen. Durch Pillen mit den Gestagenen der 1. oder 2. Generation kann es eventuell bei vier bis fünf Thrombosen liegen, also doppelt bis dreifach so hoch, absolut aber eher gering. Mit Pillen der 3. Generation oder auch mit den genannten Drospirenon-Pillen kann es eventuell noch mal verdoppelt werden, aber acht bis 10 Fälle pro 10 000 Anwenderinnen bleibt ein geringes Risiko. Vergleichsweise liegt das Thromboserisiko in einer Schwangerschaft bei 20 bis 30 pro 10 000. Die Risiken unter den Pillen erhöhen sich deutlich mit dem Alter, das gilt für alle Pillen. Für 30- bis 40-jährige Patientinnen liegt es 1,5 bis doppelt so hoch im Vergleich zu den 20-jährigen.

Sind die jüngsten Vorfälle in den USA also noch im Normbereich? Verschreiben Sie Pillen aus der Yasmin-Gruppe bedenkenlos?
Wie immer auch Arzneimittel heißen: bedenkenlos dürfen sie nie verschrieben werden. Vor Verschreibung jeder Pille muss eine gründliche Anamnese erhoben werden. Wichtig ist abzuklären, ob es in der Familie vorher schon häufiger Thrombosen gab. Was die Pillen mit Dospirenon betrifft, ist die Studienlage kontrovers. Zwei sehr große Studien, die bisher zu dieser Thematik größten überhaupt, haben kein erhöhtes Risiko gezeigt. Wir erwarten von den Behörden aber noch weitere Stellungnahmen. Die amerikanische Gesundheitsbehörde hat kürzlich eine weitere Stellungnahme angekündigt, nachdem die Experten die Daten gerade auch zu den Pillen mit Dospirenon so kontrovers beurteilen.

Wenn die Dospirenon-Debatte noch nicht ganz geklärt ist: sollten verunsicherte Frauen dann lieber die Pille wechseln?
Nach meiner Ansicht sollten Frauen, die derzeit diese Pillen schon längere Zeit nehmen, nicht wechseln, es sei denn, man entdeckt zufällig ein erhöhtes Thromboserisiko, zum Beispiel durch erst spät festgestellte Gerinnungsstörungen. Falls ein Risiko besteht, wäre es beim Wechsel und neuem Beginn anfangs eher höher. Besonders auffällig ist die Diskussion im Moment übrigens nicht. Die gleiche Diskussion haben wir schon in den 90er Jahren geführt, und wir verwenden bis heute Pillen der 2. und 3. Generation. Vor- und Nachteile müssen individuell abgewogen werden. Todesfälle durch Thrombosen sind sicher sehr selten, man schätzt höchstens ein bis zwei Prozent. Das heißt in absoluten Zahlen einige wenige Fälle pro eine Million Frauen, die Pillen einnehmen.