Bei den zweiten Antidiskriminierungstagen am Friedrich-Schiller-Gymnasium geht die Schülerschaft überaus engagiert mit. 2000 Mädchen und Jungen waren dabei. Was sind ihre Erfahrungen?

Um Mathe, Physik & Co. geht es am FSG mal nicht in diesen Tagen. Kein Unterricht heißt aber nicht schulfrei, denn die Teilnahme ist Pflicht. Jedenfalls bei denen, die dran sind. Denn bei mehr als 2000 Schülerinnen und Schülern findet die Sache in zwei Blöcken statt: Am ersten Tag von Klasse neun an aufwärts, weshalb die Jüngeren da zuhause bleiben dürfen. Am zweiten Tag läuft es dann umgekehrt. Zum Start am ersten Tag haben sie die Anwesenheitskontrolle also schon hinter sich. Entsprechend dicht ist das Gewimmel im Foyer, wo am großen Aushang schnell noch mal justiert wird, welche Themen im Durchlauf der vier „Sessions“ im Laufe des Morgens belegt werden könnten. Bei 70 verschiedenen Themen ist das eine gewisse Herausforderung.

 

Worum geht es am Antidiskriminierungstag?

Zur Begrüßung macht Schulleiter Volker Müller nochmals kurz deutlich, um was es beim Thema Diskriminierung insgesamt geht: „Um euch und um uns selbst. Eure Erfahrungen und Probleme stehen im Mittelpunkt.“ Und er betont: „Es ist wichtig, dass wir den heutigen Tag als Privileg sehen, das es an keiner anderen Schule gibt.“ Das bedeute, „dass wir mit dem nötigen Respekt und Ernsthaftigkeit in die Sessions gehen, abweichende Meinungen akzeptieren und offen sind, neue und vielleicht auch unbequeme Erfahrungen zu machen“. Damit ist auch die doppelte Perspektive gesetzt: Was Schülern widerfahren kann, woran sie aber auch selbst aktiv Anteil haben könnten.

FSG-Direktor Volker Müller Foto: Werner Kuhnle

Weshalb aber treibt die Schule nach zwei Jahren noch einmal diesen Aufwand? „Es geht um Sensibilisierung, und wir wollen das möglichst nachhaltig machen“, erklärt Müller. Nach der ersten Auflage habe es tatsächlich „mehr Meldungen zu Mobbing, Beleidigungen und Diskriminierung im Schulalltag“ gegeben, auch zu Hate Speech in Klassenchats. Stoff auch fürs „Nacharbeiten in den Klassenlehrerstunden“. Grundsätzlich gehe es „um ein offenes Schulklima, sodass Betroffene sich nicht alleingelassen fühlen und die Dinge nicht tabuisiert und unter den Teppich gekehrt werden“.

Der Andrang in die 70 Themen-Gruppen war riesig. Foto: Werner Kuhnle

Dann also nichts wie rein in die Tour, um live mitzubekommen, wie die Schülerschaft die Themenkreise aufnimmt. „Sprache und Gewalt“ ist schon voll, also schnell rüber zu „Antisemitismus“, wo auch zwei spanische Austauschschüler die Ohren spitzen. Überaus beredt erklärt Avaneesh, 15, weshalb er hier ist: „Ich begreife nicht, dass Antisemitismus bei uns wieder so ein großes Thema ist. Trotz unserer Geschichte mit dem Holocaust, und obwohl so viel dagegen getan wurde.“

Die Geschichte des Judenhasses wurde auch thematisiert

Deutschlehrer Andreas Dold geht fragend vor, lässt die Gruppe zunächst ergänzen: „Fußballfans sind…“, was Attribute wie emotional, aggressiv, treu, alkoholisiert zeitigt. Es folgen Gruppen wie Deutsche, Marbacher, Vegetarier, Homosexuelle, Muslime oder Juden. Die jungen Leute tun sich ein bisschen schwer mit Zuschreibungen, bis Talia, 17, schlicht sagt: „Menschen“. Das löst großes Nachdenken aus, die Stille im Raum ist mit Händen zu greifen.

Nach einem Schnellkurs zur Geschichte des Judenhasses bis in die Gegenwart hinein sind die jungen Leute kurz geplättet. Linus thematisiert das „Sündenbock-Phänomen“, und dann schließt sich der Kreis mit dem ikonischen Wort der Holocaust-Überlebenden Margot Friedländer: „Wir sind alle gleich, wir haben dasselbe Blut. Seid Menschen!“ Auf einer Skala von eins bis zehn sollen sich Schüler nun bei „Sprache und Gewalt“ auf der fünf Meter langen gelben Linie im Raum bewegen, je nachdem, „wie krass“ sie die Zurufe finden: Sei still, halt die Fresse, Hurensohn, Versager oder „Sei kein Mädchen“. Bei letzterem bleibt die reine Jungs-Gruppe an der Startlinie stehen, bei der vorherigen Gruppe mit Mädchen hätten sich diese „fast am anderen Ende platziert“, berichtet Lehrer Maximilian Traber.

Das Gespräch ist sehr lebhaft, als Bewegungskriterium nennt Philip, „wie schlimm es ist, wenn es mich treffen würde“. Maxi erzählt, wie „hart Beleidigungen beim Online-Spielen“ seien.

„Fresse, Hurensohn, Versager“

Schule ist auch Spiegel der Gesellschaft

Zwischen Tür und Angel sagt eine kirchliche Referentin, dass sie es eben „mit handfester Homophobie“ zu tun bekam. Man dürfe nicht naiv sein, „die Kids bringen ihre Sachen und Prägungen mit“, die Schule sei „eben auch ein Spiegel der Gesellschaft“. Luisa, Martha und Helena waren bei „Feminismus und Sexismus“ und wollen jetzt unbedingt in die Session „Toxische Freundschaften“, das sei auf TikTok ein „ganz heißes Thema“. Bei „Mobbing“ werden Szenen aus dem Alltag entwickelt, auch „Hinterm Rücken reden“: „Der stinkt!“

Der Tag zum Thema Antidiskriminierung fand zum zweiten Mal statt. Foto: Werner Kuhnle

Grandios, wie kritisch und blitzgescheit die mehr als 40 Kids in der Schluss-Session bei „KI und Diskriminierung“ mit Harmeet Dawan mitdenken. Und eigene Positionen entwickeln hinsichtlich KI-generierter und reproduzierter Vorurteile und Diskriminierung: „Ich bin unfassbar stolz auf euch, ihr seid eine brutal krasse Gruppe“, stellt Deutschlands „Lehrer des Jahres 2024“ fest. Das Schlusswort insgesamt hat Schülersprecherin Josephin Berger, die der im Innenhof versammelten Schülerschaft zuruft: „Nehmt was mit, akzeptiert die Leute um Euch rum. Vielen Dank.“