Als Samuel seinen Mitschülern sagte,dass er jüdisch ist, begannen sie ihn zu quälen. Die Schule konnte sie nicht stoppen. Die Geschichte eines Versagens.
Berlin - Eigentlich müsste Rachel Berger jetzt los, eine Lammkeule kaufen. Zu Pessach ist die ganze Familie zusammengekommen, alle sind da, die Schwester aus New York mit drei Kindern, die Großeltern aus London, der Schwager. Im großen Esszimmer ihrer Charlottenburger Wohnung haben die Bergers zwei lange Tische zusammengeschoben.
Es wäre schön, jetzt einfach die Tafel zu decken wie immer. Nach vorne blicken, das Erlebte hinter sich lassen. Aber das klappt nicht so ohne Weiteres. „Ich weiß nicht, wie wir jetzt weitermachen sollen“, sagt Rachel Berger (die Namen aller Beteiligten sind aus Gründen des Schutzes geändert). Sie sitzt vor einer Tasse Tee im Café um die Ecke, hier ist es ruhiger. Die eine Hand umklammert die Tasse, mit der anderen bedeckt sie immer mal wieder ihre Augen, wenn die Lider trotz aller Beherrschung zu flattern beginnen, während sie erzählt. Es tut weh. „Bisher haben wir uns alle darauf konzentriert, durchzuhalten. Wir wurden ja völlig überrascht. Ich habe doch nicht ahnen können, dass mein Junge auf seiner Schule gequält wird, weil er Jude ist. Und dass niemand das verhindert.“
Ahmad schreit: „Palästina fickt Israel!“
Der Junge, das ist Samuel, 14 Jahre, ein hibbeliger Teenager, dessen Hände sich im Rapperstyle bewegen, wenn er erzählt. Zum Beispiel, wie Ahmad ihn im Klassenzimmer anschrie: „Palästina fickt Israel.“ Das war, bevor Samuel so harte Schläge in die Nieren bekam, dass ein riesiger Bluterguss blieb. Oder wie Mahmoud ihm die Pistole an den Kopf hielt und Samuel sich zu Tode erschreckte, weil er dachte, sie sei echt. Wie alle lachten, als er wegrannte, getroffen von der Plastikmunition aus dem Lauf.
Das war das letzte Mal, dass Samuel in die Schule ging. Es ist jetzt einen Monat her. Mittlerweile kennen viele Menschen seine Geschichte – sie hat Schlagzeilen gemacht, nicht nur in Deutschland, auch in England, den USA, Israel: ein jüdischer Junge wird in Berlin antisemitisch beleidigt, gedemütigt und gequält. An der Schule, im Klassenzimmer, unter den Augen aller. Die Täter sind junge Muslime. Die Lehrer wissen Bescheid, die Sozialarbeiterin, der Schulleiter. Und das System versagt: Der Schule gelingt es nicht, die Gewalt zu unterbinden, die Polizei wird wochenlang nicht eingeschaltet, keiner holt externe Hilfe, der Fall bleibt unter der Decke. Am Ende beschließt die Familie, Samuel von der Schule zu nehmen. Aus Angst vor noch Schlimmerem.