Am Wochenende steigt das Youth Against Antisemitism-Festival im Esslinger Komma. Mit Live-Musik und Vorträgen soll darauf aufmerksam gemacht werden, dass Judenhass in unserer Mitte frei wuchert und gedeiht.

Stuttgart – Frühling 2017 auf dem Stuttgarter Schlossplatz. Die jüdische Gemeinde Baden-Württemberg begeht mit anderen Verbänden den 69. Geburtstag Israels. Mehr und mehr Menschen sammeln sich in Form einer Gegenveranstaltung, stören die Veranstaltung erst mit Zwischenrufen, dann mit zunehmend feindseligem Verhalten. „Die Sicherheit der Gäste und Redner konnte nur dank eines massiven Polizeiaufgebots gewährleistet werden“, weiß Laura Luise Hammel, Sprecherin des Jungen Forums der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Region Stuttgart. Antisemitismus, so wird bei Vorfällen wie diesem deutlich, ist kein Problem der Vergangenheit, sondern ein Scheusal, das sich auch in der Gegenwart bester Gesundheit erfreut.

 

Dennoch hat man das Gefühl: Dieses Problem wird gern totgeschwiegen. In die Vergangenheit, in der Verbrecher dieses Land regierten, verbannt. Die Realität sieht anders aus: Regelmäßig werden die sogenannten Stolpersteine, Gedenktafeln für ermordete oder deportierte Juden, aus dem Asphalt gerissen, AfD-Politiker schüren den Judenhass ganz bewusst. „Aber auch in vielen muslimischen Milieus ist der Judenhass virulent“, betont Hammel. „Dort tritt er dann häufig in seinem modernen Gewand, dem Hass auf Israel, auf.“ Nicht vergessen sollte man ihrer Meinung nach aber auch linken Antisemitismus, „der sich meist kultivierter gibt, aber die gleichen ideologischen Vorstellungen hegt. In dieser Variante ruft man dann zu Boykotten gegen Israel auf und schafft es durchaus ab und zu auch in deutsche Tageszeitungen, etwa in Form von Kommentaren oder Karikaturen.“

Antisemitisches Mobbing

Es ist ein komplexes, ein schwieriges Thema – und birgt eine vollkommen andere Problematik als Fremdenhass. Hammel nickt. „Im Fremdenhass werden etwa Migranten, Muslime oder Roma als unkultiviert und auf der Tasche liegend vorverurteilt. Da blickt man sozusagen verächtlich nach unten. Der Antisemitismus funktioniert anders herum: Man hasst nach oben.“ Das alte, schrecklich falsche Bild des Juden als macht- und geldhungrigen Strippenziehers und Weltbeherrschers, es existiert schockierenderweise immer noch. Und das besonders gern an den Schulen. „Immer häufiger werden jüdische Kinder und Jugendliche von ihren Mitschülern geschlagen oder gemobbt. Dabei sind diese aggressiven Ausdrucksformen ja nur die Spitze des Eisbergs. Darunter verbirgt sich ein riesiges Geflecht aus antisemitischen Verschwörungstheorien, Witzen und Schimpfworten im Alltag. 'Du Jude' gehört heute wieder zu den häufigsten Schmähungen unter Jugendlichen“, legt Hammel dar.

Der Deutschrap hat ein Problem

Auch im deutschen Hip-Hop ist Antisemitismus ein großes Problem. Konstantin Nowotny, der zu eben diesem Thema einen Vortrag beim Youth Against Antisemitism-Festival in Esslingen halten wird, sieht das so: „Es ist auffällig, dass antisemitische Tendenzen vor allem im Milieu des Gangster-Rap zu finden sind, der in Deutschland seit einigen Jahren vor allem von Einwanderern oder Kindern von Einwanderern dominiert wird. Exemplarisch sei hier der Rapper Haftbefehl genannt, der mal in einem Interview meinte, er sei unter Türken und Arabern groß geworden, wo Juden nicht eben gemocht werden. Das lässt sich selbstverständlich so einfach nicht auf alle übertragen, aber es gibt da Auffälligkeiten.“

Für ihn ist Antisemisitmus im Rap nichts anderes als Antisemitismus im Mittelalter: „Er macht eine homogene Gruppe von Menschen ganz klar verantwortlich für Unrecht in der Welt. Straßenrap ist schon immer Musik, die sich auch gegen „die da oben“, gegen irgendwelche moralischen oder autoritären Instanzen gerichtet hat, die als ungerecht oder illegitim wahrgenommen wurden. Antisemitismus ist da nur ein Vehikel, weil er schon fertig ausbuchstabiert ist.“ Ein zweites Problem ist für ihn, dass zu wenige Rapper offen Stellung beziehen und dagegen vorgehen. „Natürlich gibt es Rapper, die sich ganz klar vom Antisemitismus abgrenzen. Es wäre mir nur lieber“, betont er, „wenn das in Zukunft auch bei den ganz Großen und Erfolgreichen deutlich geschehen würde. Hip-Hop hat einen unglaublich hohen Einfluss auf Jugendliche, und zur Zeit ist das Verhältnis zwischen Rappern, die in diesen Einfluss antisemitische Tendenzen einfließen lassen, und solchen, die sich klar dagegen positionieren, meiner Meinung nach noch unausgeglichen.“

Ein Lichtblick

Auch deswegen gibt es ein Festival wie das Youth Against Antisemitism im Esslinger Komma. „Mit dieser Veranstaltung möchten wir die unterschiedlichen Formen von Antisemitismus ins Bewusstsein rufen“, erklärt Veranstalter Jörg Freitag. „Antisemitismus findet sich in Verschwörungstheorien, in einer Kritik an Israel, die auf falschen Tatsachen beruht, und in verzerrten Vorstellungen und Zuschreibungen an jüdische Menschen. Die an dem Abend auftretenden Bands und DJs haben sich bewusst dafür entschieden und bieten einen Rahmen für politischen Input.“

Deutlich wird: Antisemitismus ist kein Problem unter Rechten oder unter sozial Schwachen. Er findet sich überall, in jeder Altersgruppe, in jedem Milieu. Und wird viel zu oft toleriert. „Es fehlt zunächst an Zivilcourage“, findet auch Hammel. „Wenn antisemitische Musiker auftreten wollen oder wir im Alltag judenfeindlich Sprüche und Witze hören, dann müssen wir entschlossen dagegen halten und sagen: Das geht nicht! Es ist aber auch wichtig, dass jeder sich mit seinen eigenen Weltbildern auseinander setzt. Denn sehr häufig werden antisemitische Ansichten von Menschen gehegt, die das eigentlich gar nicht wollen. Die Bereitschaft sich selbst zu reflektieren kann da helfen und auch ein Zeichen von Größe sein.“ Beim Youth Against Antisemitism kann man das im Beisein von guter Musik und spannenden Vorträgen. „Das“, so sagt sie ganz offen, „ist ein kleiner Beitrag, aber wir wissen, dass es solche Initiativen bundesweit gibt. Für mich ist das ein Lichtblick.“

Youth Against Antisemitism: Am 9. Dezember im Komma, Esslingen, mehr Infos gibt's hier >>> www.komma.info