Feministin und vierfache Mutter: Antje von Dewitz hat den Tettnanger Outdoor-Spezialisten Vaude zum Vorbild in puncto Nachhaltigkeit und Diversität gemacht. Die 49-jährige hat erreicht, dass bei Vaude die Hälfte der Führungskräfte Frauen sind.

Geld/Arbeit: Daniel Gräfe (dag)

Tettnang - Die Kinderwunde ist bei Antje von Dewitz auf schöne Art geheilt. Manche Mitschüler im ländlichen Bodenseeraum seien misstrauisch gewesen, ob sie nicht als Unternehmerkind Teil von „diesen Ausbeutern“ sei, erzählt sie, sie habe sogar einmal Prügel eingesteckt. Zumal ihr, aus Norddeutschland zugezogen, adlig und protestantisch, ohnehin zuweilen mit Skepsis begegnet worden sei. „Bei mir hat das bewirkt, dass man Vertrauen und Überzeugung verdienen muss“, sagt von Dewitz, inzwischen 49 Jahre alt. „Das schafft man über Transparenz.“

 

Eine Pionierin bei der Mitarbeiterkultur

Es ist nur eine Anekdote, aber in diesem Fall erzählt sie viel über das Selbstverständnis einer Frau, die seit 2009 als Geschäftsführerin den Tettnanger Outdoor-Spezialisten Vaude so konsequent auf Nachhaltigkeit und Transparenz ausgerichtet hat wie kaum ein anderes Unternehmen in der Textilbranche. Und die vor allem bei dem Aufbau einer möglichst diversen und familienfreundlichen Mitarbeiterkultur zu den Pionierinnen zählte.

Lesen Sie aus unserem Plus-Angebot: Diese fünf Firmen ragen in Baden-Württemberg heraus

„Früher waren die Führungskräfte bei Vaude überwiegend Männer, die ihr Lebensziel auf den Beruf ausgerichtet hatten“, erzählt sie. Lange Arbeitszeiten. Späte Meetings. Fordernd, aber auch motivierend. Inzwischen zählt Vaude 550 Beschäftigte in Deutschland. 45 Prozent der Führungskräfte sind Frauen. „Heute hat die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben bei uns einen ganz hohen Stellenwert.“

Pauschalen Fragen und Antworten misstraut sie

Im Videogespräch hört von Dewitz genau zu, schließt oft die Augen, wenn sie nachdenkt, sie möchte genau antworten. Sie benennt, wenn ihr eine Frage zu pauschal erscheint, und dass man immer den Blick auf das Ganz richten müsse – „systemisch“, wie sie sagt. Sie betont etwa, dass sie in vielen Dingen den Weg, den ihr Vater als Geschäftsführer gegangen sei, fortsetze. „Das Nachhaltigkeitscredo und die Wurzeln einer Vertrauenskultur gab es bereits.“ Doch jetzt sei beides zum Kern der Unternehmensstrategie und Personalentwicklung geworden. „Diesen kulturellen Wandel haben wir bewusst gestaltet und vor allem institutionalisiert. Bei allem ist Augenhöhe am wichtigsten.“

Lesen Sie aus unserem Plus-Angebot: Wie fair ist die Mode tatsächlich?

So begannen Weiterentwicklung und Wandel mit der Ursachenforschung. Frauen mieden Führungspositionen, weil sie weiter in Teilzeit arbeiten wollten und die Arbeitszeiten der Führungskräfte als generell zu lange und die Entscheidungsprozesse als teils ruppig empfunden wurden. Schritt für Schritt veränderte Vaude die Kultur und schaffte Rahmenbedingungen, in denen Frauen zunehmend bereit waren, Verantwortung zu übernehmen.

„Führungskräfte sind bei uns heute Coaches“

Man führte Vertrauensarbeitszeit, mehr Flexibilität und mobiles Arbeiten ein, das Führen in Teilzeit und zertifizierte die neuen Standards. Eine betriebseigene Kinderbetreuung wurde in Kooperation mit der Stadt Tettnang aufgebaut. „Führungskräfte sind bei uns heute Rahmengeberinnen, Coaches und Begleiter von Mitarbeitenden, aber keine Machtwortsprecherinnen oder reine Entscheiderinnen“, sagt von Dewitz. „Dadurch sind diese Stellen für Frauen interessanter geworden.“

Manche Kleinigkeiten haben dabei große Auswirkungen gehabt. Etwa der gemeinsame Beschluss, dass für alle Beschäftigten, Führungskräfte inklusive, das Wesentliche in einem Acht-Stunden-Tag erreicht werden muss, und dass Besprechungen möglichst bis 17 Uhr enden. Es sei inzwischen selbstverständlich, dass man die Aufgaben stärker priorisiere und aufgrund der Mitarbeiterbedürfnisse auch umschichten müsse.

Mit vier Kindern kann von Dewitz selbst die Vereinbarkeit von Beruf und Familie testen

Dabei half es von Dewitz auch, dass sie selbst immer improvisieren, nach neuen Möglichkeiten suchen musste. Von Anfang an kümmerte sie sich als Geschäftsführerin um ihre vier Kinder – 14, 17, 20 und 22 Jahre sind sie jetzt. Sie habe als Angestellte früher selbst erlebt, wie es sei, wenn der Beruf mit der Familie zu vereinbaren ist. Wie sehr es da vom Vertrauen der Führungskraft abhängt, wie befriedigend aber auch leistungsstark die Balance gelingt. „Als ich in der Geschäftsführung war, stand für mich fest, dass ich es für mich und andere Frauen so organisieren muss, dass es möglich ist, gute Eltern und Mitarbeiterinnen zu sein.“

Dabei habe sie sich auch ihrer eigenen Überzeugungen und Glaubenssätze erst bewusst werden müssen. Sie selbst habe sich immer wieder gefragt, ob sie eine „Rabenmutter“ sei – als praktisch alleinerziehende berufstätige Mutter, weil ihr Freund noch zu dieser Zeit studiert habe. „Ich habe mich schon immer für eine Feministin gehalten“, sagt sie. „Aber es war für mich überraschend festzustellen, welche starken Glaubenssätze auch bei mir gewirkt haben.“

„Frauen ziehen sich ins Privatleben zurück, der Mann macht weiter“

Auch heute noch bemerke sie, wie selbst Frauen in ihrer Firma dazu neigten, die Verantwortlichkeit abzugeben, wenn sie Kinder bekämen. „Sie geben ihren Nachnamen ab, die Führungsposition oder ziehen sich erst einmal ins Familienleben zurück, während der Mann weitermacht“, sagt von Dewitz. Natürlich solle jede nach ihren Bedürfnissen arbeiten und leben. „Aber fast immer übernehmen Frauen die Familienrolle. Dieses Bild spricht auch für sich.“

Es gebe viel zu wenig Frauen in Führungspositionen, meint sie. Die Realität sei, dass weder in der Wirtschaft, Politik noch Wissenschaft wesentliche Fortschritte gemacht werden, wenn es nicht gesetzlich gefordert wird. „Deshalb bin ich für die Quote.“ In Diskussionen darüber käme oft die pauschale Replik, dass es auch Frauen nicht besser machen würden als Männer. „Aber darum geht es doch gar nicht. Es kommt auf die Mischung an, dass Unternehmen diverser werden und auch Führungskräfte die Vielfalt der Gesellschaft abbilden. Das ist doch nicht nur fairer und zukunftsorientiert, sondern auch wirtschaftlich sinnvoller.“

Auch kleinere Änderungen summieren sich zur Revolution

Deshalb legt Vaude auch großen Wert darauf, dass sich alle auf Augenhöhe einbringen können, ob intro- oder extrovertierte Menschen, Frauen, Männer, Geflüchtete. Fünf Führungsfrauen kommen aus Großbritannien, Österreich, Südkorea, den Niederlanden und Marokko. Schritt für Schritt habe Vaude die Unternehmenskultur verändert – und in der Summe doch revolutioniert.

Schritt für Schritt geht es auch in puncto Nachhaltigkeit weiter. Vaude, 2015 von der Stiftung Deutscher Nachhaltigkeitspreis als „Deutschlands nachhaltigste Marke“ prämiert, ist seit Anfang diesen Jahres mit allen weltweit hergestellten Produkten klimaneutral – in Deutschland hat man dieses Ziel schon vor zehn Jahren erreicht. Derzeit sind rund 50 Prozent der Produkte überwiegend aus recycelten oder biobasierten Materialien – dieser Anteil soll bis 2024 verdoppelt werden. Um die Erfahrungen und die aufgebaute Expertise auch an andere Unternehmen und Organisationen weiterzugeben, hat man im vergangenen Jahr eine eigene Akademie für nachhaltiges Wirtschaften gegründet.

In ihrer Familie hat ihr Mann die Hauptrolle übernommen

Eins räumt von Dewitz aber ein. In ihrer Familie habe inzwischen ihr Mann die Hauptrolle übernommen. „Es war ihm total wichtig, dass er die volle Verantwortung übernimmt“, stellt sie klar. Aber sie koche zum Beispiel „super gerne“ und sei die Ansprechpartnerin bei ihren Kindern für schulische oder akademische Themen. „Wir teilen uns alles wirklich ganz gut miteinander.“