Anton Corbijn kommt nach Stuttgart „Heute ist jeder ein Fotograf“

„Musik war das Größte für mich“: Anton Corbijn Foto: Stephan / Vanfleteren

Anton Corbijn hat mit seinen Fotos das Image von Depeche Mode und anderen definiert. Jetzt wird er in Stuttgart vom Berufsverband Freie Fotografen und Filmgestalter (BFF) mit einer Ausstellung geehrt. Im Interview spricht er über Musik und Künstliche Intelligenz.

Freizeit & Unterhaltung: Anja Wasserbäch (nja)

Anton Corbijn hat ikonische Fotografien geschaffen und das Image von Bands wie Joy Division, Depeche Mode und U2 geprägt. Am 16. Juni kommt der 68-Jährige nach Stuttgart, da er vom Berufsverband Freie Fotografen und Filmgestalter (BFF) in die „Hall of Fame“ aufgenommen und mit einer Einzelausstellung geehrt wird.

 

Herr Corbijn, sind Sie immer noch Fan von Musik?

Ich liebe Musik nach wie vor. Aber ich verfolge es nicht mehr, was neu erscheint, wer gerade angesagt ist. Doch Musik kann so viel auslösen, so viele verschiedene Gefühlslagen widerspiegeln. Sie kann etwas Sonnenschein in einen dunklen Tag bringen oder auch etwas Dunkelheit in einen sonnigen Tag. Musik ist unmittelbar.

Was ist wichtiger in Ihrem Leben: die Fotografie oder die Musik?

Die Fotografie.

Die Antwort kam sehr schnell.

Fotografie ist aktiv. Ich habe als Teenager das erste Foto gemacht. Damals war Musik wirklich das Größte für mich. Aber nun bin ich etwas älter und ich genieße viele verschiedene Seiten des Lebens.

Welche sind das?

Meine Frau, unser Hund, Natur, Malerei, Freunde. Ästhetisch wie auch privat gibt es vieles, das ich genießen kann. Das können ganz einfache Dinge sein.

Gehen Sie noch auf Konzerte?

Überraschenderweise ja. Ich bin eigentlich nicht mehr so viel bei Konzerten. Doch ich habe mir Die Toten Hosen in Amsterdam angeschaut, war bei Bruce Springsteen, habe zwei Konzerte von Metallica und drei von Depeche Mode gesehen. Das alles in fünf Wochen, das ist viel. Es sind ja alles Freunde. Und es hat auch einen beruflichen Hintergrund, da ich mir gerne anschaue, wie Bühnenbilder gestaltet sind. Für Depeche Mode mache ich das ja. Und die sind gerade wirklich großartig auf ihrer Tour.

Können Sie sich erinnern, welcher Song Ihre Liebe zur Musik auslöste?

Nicht wirklich. Die ersten Songs waren Kirchenlieder, weil ich in einem religiösen Haushalt aufgewachsen bin. Und als Nächstes kamen die Beatles. Die waren sehr wichtig für mich.

Sie sind in einer religiösen Familie in der niederländischen Gemeinde Hoeksche Waard aufgewachsen.

Mein Vater war ein Pastor, meine Mutter hat Philologie studiert. Mein Großvater, mein Onkel – alle waren Pastoren. Ich war das älteste von vier Kindern, da dachte ich, dass das auch mein Weg sein würde. Doch mit zwölf verlor ich das Interesse. Dann kam die Musik in mein Leben.

Und Sie trafen schon früh Joy Division. Die Band markiert zugleich den Anfang und das Ende Ihrer Zeit in London. Wie das?

So ist das Leben. Ich bin nach England gezogen, weil ich Musik so sehr liebte. Und ich mache in England viel bessere Bilder als in Holland. Ich war gerade zehn Tage in London, als ich Joy Division fotografiert habe. Und dieses Bild hat die Band in gewisser Weise definiert. Das war unglaublich, dass das so funktioniert hat. Sechs Jahre später haben sie mich gefragt, ob ich ein Video für sie machen wollte. Und dann kam 2006 der Film über Ian Curtis. Ich bin immer noch sehr glücklich, dass ich diesen Film gemacht habe. „Control“ hat mein Leben verändert. Aber finanziell war der Film für mich ein solches Desaster, dass ich England verlassen musste. Ich habe mein Haus verkaufen müssen. Aber es ist dennoch okay. Der Film wird immer noch sehr geliebt. Ich wünschte, es wäre auch so bei meinen anderen Filmen.

Wie wurde der Fotograf Anton Corbijn zum Filmemacher?

Es war ein langsamer Prozess. Und ich bin kein klassischer Filmemacher im eigentlichen Sinne. Vor 40 Jahren habe ich die ersten Videoclips gemacht. Damit wurden dann immer eher Geschichten erzählt. Und so habe ich es 20 Jahre später mit Filmen versucht. Und es lief ganz gut. Da kam alles zusammen.

Zurück zur Fotografie: Michael Stipe, der Sänger von REM, sagte einmal, dass Ihre Körpergröße etwas mit Ihrer Kunst mache. Dass Sie die Welt aus einer anderen Perspektive sehen.

Hmm. Ich bin mir da nicht so sicher. Hier in Holland bin ich ein ganz normaler Typ. In England bin ich schon eher groß.

Wie groß sind Sie denn?

Ich war 1,92, jetzt vielleicht 1,90 Meter. In Holland sind viele größer als ich.

Was ist das Wichtigste an Ihrer Arbeit? Sind es die Personen, die Locations, das Setting oder etwas ganz anderes?

Das ist schwierig. Es ist nicht wichtig, wen man fotografiert, sondern wie man die Person fotografiert. Darauf konzentriere ich mich. Ich mag es nicht, wenn man mich Rockfotograf nennt. Ich bin ein Porträtfotograf. Ich fotografiere zwar viele Musiker, aber sogleich auch Schauspieler und Maler. Es ist auch nicht Celebrity-Fotografie, weil mich nur interessiert, was die Menschen machen, und nicht, wie berühmt sie sind. Ich hatte schon immer eine Sehnsucht, Menschen zu treffen.

Es wird Ihnen nachgesagt, dass Sie wie ein Mitglied von Depeche Mode seien. Wie haben Sie die Band kennengelernt?

Ich habe sie 1981 zum ersten Mal getroffen. Ich sollte sie für ein Magazin fotografieren. Sie waren total angesagt, aber mir einfach zu poppig. Ich habe mich für ernsthaftere Musik interessiert. Sie haben mich immer wieder gefragt, ob ich sie fotografieren würde, und ich lehnte ab. Jahre später hatten sie mich für ein Video angefragt, das in Amerika gedreht werden sollte. Und da wollte ich gerne mal hin. Also sagte ich zu. Das war es dann. Es folgte ein Video, ein Tourbuch, Bilder für die Alben, kleine Filme für die Bühne. Es wurde immer mehr. Ihre Musik und meine Bilder funktionierten sehr gut zusammen. Ihre Musik hat sich sehr verändert, und ich war dann wohl auch nicht mehr so engstirnig. Es ist einfach so schön, dass es nicht vorhersehbar ist, wen man trifft, mit wem es gut funktioniert. Mit U2 verlief es ähnlich. Ich habe mich zu Beginn nicht für die Band interessiert. Und jetzt, 40 Jahre später, mache ich immer noch ihre Bilder. Wir hatten nie einen Vertrag, das entstand einfach so.

Wie wichtig ist da Vertrauen? Mit Depeche Mode sind Sie durch gute wie auch schlechte Zeiten gegangen.

Vertrauen ist sehr wichtig. Wenn etwas zu privat ist, frage ich natürlich. Martin Gore hat vor Kurzem in einem Interview gesagt, dass sie Sachen für mich gemacht haben, die sie nie für jemand anderen machen würden. Ich möchte, dass sie interessant aussehen und nie doof. U2 sind etwas zurückhaltender, aber sie vertrauen mir auch. Wenn man sich nicht vertraut, sollte man nicht zusammenarbeiten.

Brian Eno hat sie mal als „besten Lügner der Welt“ bezeichnet. Das war als Kompliment gemeint.

Ich hoffe es doch. Ich wollte schon immer etwas anderes machen, die Menschen anders zeigen, als man sie bereits kennt.

Das Musikbusiness hat sich sehr verändert. Sie sind jetzt 68 Jahre alt. Interessieren Sie sich noch für zeitgeistige Musik?

Nicht so sehr. Ich habe nicht so viel Zeit, mir neue Alben anzuhören. Ich möchte mein Leben auch nicht wiederholen. Als ich jung war, war ich so sehr von all diesen Bands beeinflusst. Das kann ich gar nicht wiederholen. Toll, dass manche heute noch relevant sind und ich weiter mit ihnen arbeiten kann. Die neuen Popstars aber muss ich nicht fotografieren. Das sollen die Jungen machen.

Was würden Sie einem jungen Menschen raten, der Musikfotografie machen möchte?

Lass es sein! Heute ist jeder Fotograf. Es gibt so viele Bilder. Das Problem ist: Wie soll man damit noch Geld verdienen? Jeder ist daran gewöhnt, dass es Bilder überall umsonst gibt. Und viele machen aus den falschen Beweggründen Fotos. Nur wenn man wirklich daran glaubt, dass es der einzige Weg ist, wie man sich ausdrücken kann, dann sollte man es auch wagen.

Haben Sie als Fotograf Angst vor Künstlicher Intelligenz?

Ich glaube, wir sollten alle ängstlich sein. Nicht nur Fotografen. Ich mag den Gedanken, dass es doch noch eine menschliche Qualität gibt. Meine Bilder sind ja alles andere als perfekt. Das macht sie menschlich. Ich habe es nie gelernt, ein ordentliches Bild zu machen.

Der Star, dem die Stars vertrauen

Leben
Anton Corbijn ist einer der bedeutendsten Porträtfotografen der Gegenwart. Bekannt wurde der 68-jährige Holländer durch seine Bilder von Bands wie Depeche Mode und U2, aber auch mit Fotografien von Künstlerinnen und Künstlern wie Gerhard Richter, Ai Weiwei oder Marlene Dumas. 2006 machte er den Film „Control“, der vom Leben des Joy-Division-Sängers Ian Curtis erzählt.

Ausstellung
Am 16. Juni wird Corbijn in Stuttgart im Haus der Wirtschaft vom Berufsverband Freie Fotografen und Filmgestalter (BFF) geehrt. Vom 17. Juni bis 1. Juli werden seine Werke dort präsentiert.

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