In einer verschlossenen Kirche im Schwarzwälder Kurort ist sie verborgen: die geheimnisvolle Lehrtafel der Prinzessin Antonia. Schritt für Schritt lüftet die Forschung ihren Schleier. Im Zentrum steht die Auftraggeberin als Braut Christi.

Bad Teinach - Jahrhundertelang war sie nur Eingeweihten bekannt – die Lehrtafel der Antonia von Württemberg. Jetzt scheint die Zeit reif, das Geheimnis zu entschleiern. Die Prinzessin, die von 1613 bis 1679 als unverheiratete Schwester von Herzog Eberhard III. lebte, setzte sich in Bad Teinach ein rätselhaftes Denkmal. Ein gewaltiges Ensemble von vier religiösen Gemälden, auf denen sich Elemente des Pietismus und der jüdischen Geheimlehre der Kabbala mischen. Der Schrein mit seinen unübersehbaren und befremdlichen hebräischen Schriftzeichen hängt seit 1673 in der Dreifaltigkeitskirche in dem Schwarzwälder Kurort, wo er verborgen hinter dem Altar die Nazizeit überlebt hat. Er kann nur auf Nachfrage besichtigt werden.

 

Es gibt es einen kleinen Antonia-Boom. Wissenschaftler forschen und publizieren, die Zahl der Führungen in der Kirche steigt. Auf einem Symposium aus Anlass von Antonias 400. Geburtstag 2013 diskutierte man auf Initiative der Stuttgarter Theologin Elisabeth Frister die neuesten Forschungsergebnisse. Vergangene Woche wurde in Teinach das von Elisabeth Frister herausgegebene Heft mit den tragenden Beiträgen des Historikers Eberhardt Fritz (Altshausen) und der Religionswissenschaftlerin Eva Johanna Schauer (Hannover) vorgestellt. Die Beiträge richten sich sowohl an landeskundlich Interessierte als auch an Menschen mit Interesse an der christlichen und jüdischen Mystik.

Der Christus trägt die Züge von Antonias Vater

Der Schrein (6 auf 5 Meter) ist gebaut wie ein Schrank. Das Außenbild zeigt einen Hochzeitszug, auf dem außer Christus nur weibliche Figuren zu sehen sind. Die Braut trägt die Züge der Prinzessin. Aufgeklappt zeigt das Triptychon auf den Seitenflügeln die Flucht von Maria, Josef und dem Jesuskind nach Ägypten und den kleinen Moses im Schilfkörbchen. Die große Innentafel zeigt ein exakt kombiniertes religiöses Weltpanorama, mit unzähligen kleinen Figuren und Szenen, einem selbstbewussten Prinzessinnenmonogramm obenauf – und barocken Engelchen.

Antonias Rätselwelt verstehen die Betrachter nicht ohne Hilfe. Den einen erinnern die Szenen und Figuren an Wimmelbilder in einem Kinderbuch. Der andere fühlt sich an einen Comic erinnert, eine Graphic Novel. Die Religionswissenschaftlerin Eva Schauer beschäftigt sich seit zwanzig Jahren intensiv mit Antonia, das Thema hat sie gepackt. Die Lehrtafel, so lautet der rote Faden ihrer Interpretation, erzählt eine Geschichte – eine Liebesgeschichte. Autorin und Heldin zugleich ist die Prinzessin, die selber nicht heiraten konnte, weil das Herrscherhaus im Zuge der Verwüstungen durch den dreißigjährigen Krieg keine Mitgift aufbringen konnte. Die aufgeweckte junge Frau suchte sich ihre Lebenserfüllung in Wissenschaften und Fremdsprachen, Kunst und Musik und der Religion, vermittelt durch die protestantischen Erbauungsbücher des 17. Jahrhunderts. Deren beherrschendes Thema ist die Nachfolge Christi durch den Glaubenden, eine „imitatio Christi“.

Die Kabbala mit dem schwäbischen Pietismus verbunden

Im Mittelpunkt steht die unio mystica, die Hochzeit der gläubigen Seele mit dem Bräutigam Christus. Das ist für uns heute kaum nachvollziehbar, im Barock aber nicht so ungewöhnlich. Als die Prinzessin herausfindet, dass der kabbalistische Zahlenwert von „Antonia“ siebzig beträgt, genauso wie „Jesus“ ist das, laut Schauer, die Initialzündung für die Lehrtafel. In ihre hebräische Bibel schreibt sie mit einer Klammer beide Namen mit der 140 zusammen. Daraus ergibt sich „ewig vermaehlt“. Es hat sie erschüttert.

In den folgenden Jahren beauftragt Antonia – in Zusammenarbeit mit vier geistlichen Beratern – den Stuttgarter Hofmaler Johann Friedrich Gruber (1620-1681) dieses „Seelenerlebnis“ auf dem Gemäldeschrein zu erzählen. Sie gibt dabei die gesamte Dramaturgie bis in die Details vor. Der Maler hat sein Werk auch nicht signiert. Eva Schauer sagt, der Schrein zeige als „rite de passage“ in drei Schritten, wie sich die adlige Dame nach ihrem Tod das Paradies vorgestellt hat.

Gott entfaltete sich in Frauenfiguren

Den Bruch mit der profanen Welt stelle dabei der Brautzug dar. Das darauffolgende „Grenzdasein“ sei in der Flucht nach Ägypten und der Moses-Szene wiedergegeben und die Verwandlung, Auferstehung und Aufnahme in eine neue Gemeinschaft im triumphalen Innenbild.

Deshalb muss die Lehrtafel auch ein Triptychon sein. Es ist laut Schauer ein „Bild gewordenes Mysterienspiel“. Bei genauem Hinsehen ergeben sich bei der Komposition der Lehrtafel laut Schauer vier Sinnschichten, „die wie Kulissen übereinander gelagert sind“. Diese Ebenen lassen sich vergleichen mit den vier mittelalterlichen Auslegungsarten der Bibel: eine wörtliche, eine allegorische, eine biblische und eine mystische Sinnschicht.

Die Kabbala vertritt die Ansicht, dass sich Gott in den verschiedenen Wirkungsweisen entfaltet, den sogenannten Sefirot: Diese sind hier ungewöhnlicherweise als Frauenfiguren dargestellt. Eva Schauer setzt sich in ihrem Beitrag sehr detailliert mit diesen Gottesbildern auseinander. Diese komplexe Theologie ist uns kaum mehr zugänglich.

Göttliche Gnade auf dem Haus Württemberg

Für Laien am verständlichsten ist die Frage: Wer ist wer auf den Bildern? Im Zuge akribischer Forschung in Schlössern, Archiven und Bibliotheken hat Schauer herausgefunden, dass alle erkennbaren Gesichter auf Außenbild und Innenbild historischen Personen zuzuordnen sind. Das war nicht einfach, vor allem bei den weiblichen Figuren. Schauers Fazit: die Prinzessin hatte offenbar durchaus auch eine politische Agenda. Sie hat ihre eigene Ahnengalerie malen lassen. „Mit den echten Gesichtern, die den biblischen Figuren mitgeben sind, wird die göttliche Gnade auf das Haus Württemberg übertragen.“

So ähnelt der Christus des Brautzugs Antonias verstorbenem Vater, Herzog Johann Friedrich, während ihre Mutter Barbara Sophie in der Gestalt der Maria verewigt wurde. Auch das Innenbild zeigt die Verbindung mit dem Haus Württemberg. Die dort dargestellten Jakobssöhne haben alle ein „historisches“ Gesicht. Antonias Bruder und Finanzier der Lehrtafel, Herzog Eberhard III. zum Beispiel findet sich als prachtvoller Herrscher in der Figur des Juda wieder. Eine Einordnung und verständliche Einführung in den Pietismus liefert der Historiker Eberhard Fritz in seinem Artikel. Er ist seit 1987 Archivar des Hauses Württemberg und sitzt damit an der Quelle. Er setzt sich mit Antonias Frömmigkeit von der Warte des Landeskundlers und Pietismusexperten auseinander. Die Lehrtafel ist für ihn „ein religiöses Zeugnis, dessen geistige Anregungen uns heute nach dreieinhalb Jahrhunderten immer noch bewegen“. Auch er kann sich nicht ganz ihrem Zauber entziehen.

Elisabeth Frister (Hg.): Das Vermächtnis der Prinzessin Antonia. Die Teinacher Lehrtafel. Kunstverlag Josef Fink. 56 Seiten,26 Abbildungen, 6 Euro.