Er ist einer der beständigsten Dirigenten im schnelllebigen Klassik-Geschäft. Seit 2002 ist Antonio Pappano Musikdirektor der Royal Opera, seit 2005 leitet der die Accademia Nazionale di Santa Cecilia. An diesem Mittwoch kommt er mit diesem Orchester aus Rom zu den Meisterkonzerten der SKS Russ nach Stuttgart.

Stuttgart - Antonio Pappano, geboren 1959, wurde als Sohn eines Italieners bei London geboren und wuchs in den USA auf. Vor seinem Besuch in Stuttgart haben wir mit ihm gesprochen.

 

Herr Pappano, Sie fliegen nicht wie andere Dirigenten von einem Gastspiel zum nächsten. Was hält Sie so lange in London und Rom?

Das Wissen darum, dass man einfach Zeit braucht, um wirklich tief mit einer Institution vertraut zu sein und etwas Substanzielles aufzubauen. Es muss aber auch die Chemie zwischen Orchester und Dirigent stimmen, es muss genug Substanz da sein, damit man es über längere Zeit miteinander aushält. Ich bin glücklich, dass ich in London und Rom langfristige Verträge habe. Auch wenn das manchmal hart ist: mit zwei Familien leben und trotzdem monogam sein . . .

Ergänzt sich Ihre Arbeit in London und Rom?

Ich arbeite an beiden Orten sehr unterschiedlich. In London leite ich ein Opernhaus, in Rom ein Sinfonieorchester. Aber immer wenn ich den Ort wechsle, nehme ich Neues mit. Das Orchester der Accademia hat eine hohe Klangkultur und ein ungemein reiches Farbspektrum, und in England liebe ich die große Flexibilität, die gewachsene Kultur des Aufeinanderhörens, die Fähigkeit zu sehr feinem Begleiten. Dabei merke ich schon, dass die Dinge, die rund um die Musik zu tun sind, immer mehr Platz einnehmen: die Organisation, die Bürokratie, das Finanzielle, die Sponsoren, das Marketing, die Präsenz auch in den sozialen Medien. Das ist anstrengend, es nimmt viel Zeit von meinem Privatleben weg. Ich akzeptiere das aber, es gehört dazu, und ich tue es für zwei Institutionen, in denen ich zu Hause bin. Oft fragen mich Freunde, in welchem Opernhaus und bei welchem Orchester ich als nächstes dirigiere – dann winke ich ab. Ich bin glücklich, ich suche keine anderen Jobs mehr.

Als Sie in Rom anfingen, war das Orchester in keinem guten Zustand. Viele Stellen waren unbesetzt . . .

Das hatte viel mit der politischen Situation in Italien zu tun. Aber der technische Zustand des Orchesters war immer sehr hoch, das haben in Rom schon Vorgänger wie Myung-Whun Chung, Daniele Gatti oder Giuseppe Sinopoli erarbeitet. Als ich anfing, hatte ich allerdings das Gefühl, ich müsste das Orchester aus einem Dornröschenschlaf wach küssen. Also vor allem fragen, wie man italienische Musiker zu einem italienischen Klang bringt. Ich habe sehr daran gearbeitet, dass unsere Identität klar ist. Jetzt hat das Orchester einen singenden Klang, es spielt theatralisch, es erzählt. Ich sage nicht, dass wir besser klingen als andere Orchester, aber wir klingen anders, sehr eigen.

Spielt dabei auch eine Rolle, dass an die Accademia seit jeher ein Verbund von Profi-Ensembles und Konservatorium ist?

Ja, sicher. Die Mischung zwischen neuen und erfahrenen, kompletten Musikern ist bei uns einfach fantastisch. Das liebe ich bei diesem Orchester.

In Deutschland haben Sie Ihre Karriere als Assistent von Daniel Barenboim und von Michael Gielen begonnen. Wie haben die beiden Dirigenten Sie beeinflusst?

Mit Gielen haben ich während seiner letzten zwei Jahre in Frankfurt zusammengearbeitet. Erstaunlich: Nach außen wirkte er so streng, aber er war ein unglaublich beweglicher Musiker. Und es war fantastisch, wie er mit dem Text umging, besonders bei Wagners „Ring“. Das hat mich stark beeinflusst, denn ich liebe die Sprache ebenso wie die Musik – nicht nur als Operndirigent. Von den Worten kommt der Rhythmus, kommen Weichheit und Härte, kommt die entscheidende Mischung von Emphase und Linie. Bei Barenboim habe ich viel über Dramaturgie und Regie in der Oper gelernt – und über die Schwierigkeit, erst sechs Wochen Probenzeit so interessant zu gestalten, dass es für alle Beteiligten immer tiefer und immer energetischer wird, und dann das Ergebnis auch noch dem Publikum nahe zu bringen.

In Stuttgart werden Sie Schumann dirigieren und Mendelssohn. Wie klingen diese Komponisten bei der Accademia?

Wir spielen einen sehr männlichen Schumann. Schumann war nicht Chopin, das muss man sich bewusst machen, und das merkt man auch, wenn man seine Klavierstücke spielt – „Kreisleriana“ und „Carnaval“ sind unglaublich maskuline Werke von orchestraler Wucht. Das darf man nicht aufweichen, wie es immer wieder geschieht. Schumanns Musik ist frisch und jung, sie hat Mut und Kraft. Sie hat mit Beethoven zu tun, dessen „König Stephan“-Ouvertüre wir in Stuttgart auch spielen werden. Mendelssohn ist eleganter, das Orchester haben wir kleiner besetzt als bei Schumann. Janine Jansen, mit der wir schon lange zusammenarbeiten, spielt das Konzert sehr kammermusikalisch, deshalb ist auch unsere Interpretation intim. Juwelenhaft. Und . . . Ach, es ist so schwer, Musik in Worte zu fassen!

Das Gespräch führte Susanne Benda.

Termin: Mittwoch, 20 Uhr, Beethovensaal