Klassisch mit Kniefall oder vor einem Millionenpublikum wie Monica Lierhaus. Auch der Heiratsantrag ist eine Frage der Mode.

Stuttgart - Auf Latein klingt alles edler, aber Latein wird auch gern einmal missverstanden: "Bella gerant alii, tu felix Austria nube" - der Hexameter unbekannten Ursprungs klingt heute wie von Tourismuswerbern erdacht, aber der Sinnspruch "Mögen andere Kriege führen, du, glückliches Österreich, heirate!" zielte ursprünglich keineswegs auf romantische Flitterwochen-Sonderaktionen der Hotellerie im Wienerwald oder am Wolfgangsee, sondern auf die erfolgreiche Heiratspolitik der Habsburger. Ehen nämlich wurden auch im christlichen Abendland jahrhundertelang keineswegs im Himmel, sondern mit handfesten Absichten geschlossen. Und das begann schon mit dem Heiratsantrag.

Dessen ordnungsgemäße Ausführung ist in diesen Tagen in vieler Munde. War die Frage "Willst du mich heiraten?", die Monica Lierhaus bei ihrem ersten öffentlichen Auftritt nach ihrer schweren Erkrankung vor dem Saalpublikum und Millionen von Zuschauern der Goldenen Kamera an ihren Lebensgefährten Rolf Hellgardt gestellt hat », woraufhin dieser "Ja! Ja! Ja! Auf jeden Fall!" antwortete, nun der rührende Abschluss und Höhepunkt eines bewegenden Auftritts? Oder war die Szene einfach nur daneben?

Dass solch eine öffentliche Inszenierung dieses intimen Moments durchaus schiefgehen kann, ist zigfach in einschlägigen Internet-Clips auf Youtube zu besichtigen. Und dass es sich um einen intimen, sehr privaten Augenblick handelt, ist unbestritten. Oder etwa nicht?



Eine Hochzeit ist nicht immer nur Privatsache


Man muss nicht bis zu den Habsburgern zurückgehen, um diese Vorstellung zu relativieren. Das Adelsgeschlecht hatte nicht zuletzt auf dem Weg geschickter Vermählung Österreich zur Weltmacht ausgebaut und diesen Status vom Mittelalter bis zum Ende des Ersten Weltkriegs gesichert: ein Vorbild, an dem auch Napoleon sich orientierte, der seiner Joséphine den Laufpass gab und Marie-Louise von Österreich, die Tochter Maria Theresias, heiratete - nicht nur, um mit ihr den ersehnten Erben zu zeugen, sondern auch, um sich mit dem europäischen Hochadel zu verbinden.

Man muss überhaupt nicht unbedingt auf den Adel und seine dynastischen Interessen schauen, um den Blick dafür zu schärfen, dass der Entschluss, sich fürs Leben zu verbinden, nicht immer und überall und von jeher eine Privatsache zwischen zwei Liebesleuten war und ist. In großen Teilen der Welt werden die Eheschließungen von den Familien arrangiert. In Indien, der dynamischen IT- und Atommacht, sind es die Eltern, die den passenden Partner für ihr Kind aussuchen - und das in allen Gesellschaftsschichten und auf allen Bildungsniveaus.



Nun ist der Subkontinent weit weg, aber nah sind Oberbayern und die Lüneburger Heide; und im ländlichen Raum war romantische Liebe bis weit ins zwanzigste Jahrhundert hinein allenfalls eine und nicht die wichtigste unter mehreren Voraussetzungen einer gelingenden Ehe. Wenn man es recht bedenkt, ist so viel Zeit noch nicht vergangen, seitdem es in auch bürgerlichen Kreisen üblich war, dass zwei Männer zunächst alles unter sich ausmachten, indem der Heiratswillige beim erhofften Schwiegervater um die Hand der Tochter anzuhalten hatte. Dass zwei sich finden und irgendwann miteinander, ohne Zeugen und ohne rituelles Brimborium, beschließen zu heiraten, ist auch in Mitteleuropa als Muster erst wenige Jahrzehnte alt - und es könnte allmählich aus der Mode geraten.

Heriatsantrag als Glückshöhepunkt


Denn so, wie sich das Konzept der romantischen Liebe - eine Erfindung der Romantik - in jüngster Zeit einigermaßen beschleunigt wandelt, wandelt sich auch das Bild des Heiratsantrags, der gemeinhin als Glückshöhepunkt einer Liebesgeschichte gilt. Dieses Bild ist geprägt vom Vorbild des Hollywoodfilms, der Fernsehserie und zunehmend dessen, was in einschlägigen TV-Shows - von "Verzeih mir" bis zur "Traumhochzeit" - inszeniert wird. Wer "Heiratsantrag" in eine Internetsuchmaschine eingibt », landet auf Seiten, in denen die originellsten, schönsten, romantischsten Settings für diesen Augenblick beschrieben werden: klassisch beim Candlelight-Dinner mit roten Rosen, Kniefall und Brillantring, ausgefallen per Fallschirmsprung, mutig beim Open-Air-Konzert oder teuer beim Tauchurlaub auf den Malediven.



Die Dramaturgie läuft immer auf eins hinaus: nach Schwierigkeiten und Bewährungsproben werden die Bedeutsamkeit und die Intensität der Gefühle daran sichtbar, wie überwältigend dieser eine Augenblick sich vollzieht. Die Beteiligten werden dabei zu Betrachtern ihrer selbst und ihres gelingenden Lebens. Das ist, auch ohne Millionenpublikum, alles andere als privat, ja, es ist unter Umständen jenseits aller hergebrachten Vorstellungen von Privatleben.

Das muss nicht unangenehm sein. Wer die Fotos seines neugeborenen Kindes oder die schönsten Urlaubserlebnisse mit seinen Facebook »-Freunden und tendenziell mit der Welt teilt, dürfte bei dieser Art des perfekt inszenierten Heiratsantrags und beim Gedanken daran, andere an diesem Augenblick teilhaben zu lassen, keine Peinlichkeit empfinden. Der Heiratsantrag als Beglaubigung des Füreinanderbestimmtseins erfüllt eine ähnliche repräsentative Funktion wie anderswo und zu anderen Zeiten das Vorzeigen des blutbefleckten Lakens nach der Hochzeitsnacht.