Wie es ist, direkt an der Baulogistikfläche für Stuttgart 21 am Nordbahnhof zu wohnen, erzählt eine Nachbarin. Der Lärm setzt ihr mittlerweile so zu, dass sie umziehen möchte.

Filderzeitung: Rebecca Anna Fritzsche (fri)

S-Nord - Der Staubbesen lehnt griffbereit an der Wohnungstür. Mit ihm wischt Brigitte Kohlwey-Dürr einmal am Tag durch die Wohnung, mit dem Ergebnis, dass das Wischtuch stets tiefschwarz ist. So viel Dreck und Staub, sagt sie, habe sie früher nicht in der Wohnung gehabt, schon gar nicht jeden Tag.

 

Früher: das ist die Zeit, bevor die Bahn angefangen hat, Stuttgart 21 zu bauen, bevor die Fläche am Nordbahnhof zur Baulogistikfläche geworden ist. Brigitte Kohlwey-Dürr kann von ihrem Balkon genau darauf schauen – und mittlerweile ist sie Expertin für das Baugeschehen dort: Sie kennt die verschiedenen Fahrzeuge, welche Aufgaben sie erfüllen, welche Geräusche sie machen. „Ich kenne sie alle“, sagt sie mit einem Lachen. Dabei ist ihr das Lachen eigentlich gründlich vergangen: der ständige Lärmpegel, der Staub, der in alle Ritzen der Wohnung dringt. „Ich weiß nicht mehr, wie ich es ertragen soll“, sagt Kohlwey-Dürr.

Bagger fahren umher und kippen Erdreich aus

Mittlerweile sucht sie nach einer neuen Wohnung, obwohl sie ihre jetzige liebt. „Aber es wird ja noch schlimmer werden. Die Baulogistikfläche ist noch nicht zu 100 Prozent ausgelastet.“ Die Nachbarn, die zur anderen Seite hinaus wohnen, haben Glück, weiß sie: Die bekommen kaum etwas mit. Die Bewohner, die auf die Logistikfläche schauen, dagegen umso mehr. Während Kohlwey-Dürr ihr Leid klagt, geht unten auf der Baustelle der normale Betrieb weiter. Erdaushub von den S-21-Tunnelbaustellen wird von Baggern umhergefahren und auf einem der Haufen abgekippt, die nach der Art des Aushubs sortiert sind. Die einzelnen Haufen sind durch Ziegelmauern voneinander abgetrennt. Weiter hinten stehen bereits die Waggons bereit, die ebenfalls beladen werden, damit das Erdreich über die Gleise abgefahren werden kann. Was nachgelassen habe, sagt Brigitte Kohlwey-Dürr, ist das Piepsen der Baustellenfahrzeuge. „Es piepst kaum noch etwas.“ Die Bahn hatte lange Zeit behauptet, die Rückfahrpiepser ließen sich nicht abstellen. Nun „krächzen“ die meisten Baustellenfahrzeugen – mit Ausnahmen - , statt zu piepsen.

Auch ohne das durchdringende Piepsen ist genug Lärm auf der Baulogistikfläche: „Radlader entleeren ihre Schaufeln, Ladeklappen von Lastwagen schlagen, Dieselloks laufen ohne Unterlass“, berichtet Brigitte Kohlwey-Dürr. „Ich habe manchmal das Gefühl, die örtliche Bauleitung arbeitet mit Gehörschutz. Sonst wäre sie ständig damit beschäftigt, Verwarnungen für Zuwiderhandlungen auszusprechen.“

Lüften geht nur morgens und abends

Manchmal sei ein „Spritzwägelchen“ unterwegs, das laut Kohlwey-Dürr aber nur die Baustraße befeuchtet, nicht die Erdhaufen. „Im Sommer reichte ein Windstoß, und eine Staubwolke ist auf uns zugekommen“, erinnert sie sich. Eines Nachts sei sie von einem Dauerton aus dem Schlaf gerissen worden. Die Bau-Info erklärte später, beim Signalhorn habe sich ein Ventil verklemmt und bat um Entschuldigung, doch Brigitte Kohlwey-Dürr sagt: „Meinen verlorenen Schlaf kann mir niemand ersetzen.“ Auch der Stress wegen der Baustelle beschert ihr unruhige Nächte.

Ihre Fenster öffnet die Anwohnerin nur noch nachts oder früh am Morgen. Und so oft es geht, versucht sie, dem Lärm zu entfliehen: „Neulich“, erzählt sie, „war ich im Höhenpark Killesberg. Als ich wieder nach Hause gefahren bin, habe ich auch gemerkt, wie schlecht die Luft hier mittlerweile ist. Es riecht nach Abgasen.“

Sowohl von der Bahn als auch von der Stadt erwartet sie mehr Umsicht, mehr Kontrolle, mehr Einsatz für die Anwohner. „Die Bahn macht sich zu wenig Gedanken, und die Stadt hat zu wenig den Finger drauf“, kritisiert Kohlwey-Dürr. „Es müsste eine Einhausung zum Lärmschutz geben wie sie jetzt am Zwischenangriff Prag geplant ist.“ Zwar hieß es einst, dass auch die Anwohner am Nordbahnhof Lärmschutzfenster bekommen, bislang hat Kohlwey-Dürr jedoch keine Informationen darüber erhalten. Es geht ihr um die Balance: „Das Lärmproblem muss sich für beide Seiten lösen lassen“, meint sie. Bisher sieht sie die Bahn ausschließlich im Vorteil und die Anwohner ausschließlich im Nachteil.