Die Unternehmen müssen Steuerinformationen sammeln, wissen aber eigentlich noch gar nicht, welche.

Stuttgart - Die Uhr läuft bereits. Zwar wird erst am 1. Juli 2020 eine Anzeigepflicht für internationale Steuersparmodelle wirksam. Aber die Steuerexperten in den Betrieben und die Steuerberater müssen schon jetzt Aufzeichnungen über ihre – legalen – Steuertricks machen, genauer: seit dem 25. Juni 2018, dem Tag des Inkrafttretens der entsprechenden EU-Richtlinie, denn die Fälle müssen später nachgemeldet werden können.

 

Die Fachleute stochern aber im Nebel herum, weil im Einzelnen noch gar nicht feststeht, über welche Steuergestaltungen Auskunft gegeben werden muss. Die Mitgliedstaaten haben bis zum 31. Dezember 2019 Zeit, aus der EU-Vorgabe ein Gesetz zu machen und damit für Klarheit zu sorgen. Ziel der Politik ist es auf jeden Fall, schnell Informationen über unerwünschte Steuerpraktiken zu erhalten, um gegensteuern zu können.

„Das sind alles unbestimmte Rechtsbegriffe“

Für den CDU-Bundestagsabgeordneten Fritz Güntzler, Mitglied des Finanzausschusses, steht eines schon jetzt fest: „Die Belastungen aufgrund der Anzeigepflicht von grenzüberschreitenden Gestaltungen sind für die Unternehmen mit erheblicher Bürokratie und mit Risiken verbunden“, sagt er. „Die Beschreibung dessen, was eine Steuergestaltung oder ein Modell ist, ist ja nicht eindeutig. Das sind alles unbestimmte Rechtsbegriffe.“ Deshalb fordert er eine Klarstellung durch den nationalen Gesetzgeber. Grundsätzlich betrifft die Anzeigepflicht alle Steuerpflichtigen, in der Praxis geht es aber vorrangig um Unternehmen.

Güntzler steht mit seiner Kritik nicht alleine. Die Verbände der Steuerberater haben schon früh die mangelnde Klarheit der Richtlinie, in der viel von „potenziell aggressiven Steuerplanungsgestaltungen“ die Rede ist, und deren ausufernden Zuschnitt kritisiert. Der Erwerb von Verlustgesellschaften mit anschließender Änderung der Haupttätigkeit soll ebenso gemeldet werden wie die Nutzung eines „präferenziellen Steuerregimes“ – volkstümlich: einer Steueroase – oder Transaktionen mit schwer zu bewertenden immateriellen Wirtschaftsgütern. Die Abwicklung von Zahlungen über Empfänger in Steueroasen oder in Ländern mit laschen Regeln gegen Geldwäsche steht auch unter Verdacht. Und: Was gemeint ist, wenn ein Steuerpflichtiger laut Richtlinie „künstlich Schritte unternimmt“, um einen Vorteil zu erlangen, lässt Interpretationen zu. Ungewöhnlich ist auch, dass die EU ausdrücklich eine „abschreckende Wirkung“ mit den Meldungen erzielen will.

Die Länder interessieren sich nicht nur für die Ertragsteuern

Die Richtlinie sieht grundsätzlich vor, dass die Meldungen von den Steuerberatern abgegeben werden – in der Annahme, dass sie die Erfinder der Steuersparmodelle sind. Dabei geht es um Ertragsteuern, in Deutschland also um die Einkommen- und Körperschaftsteuer, mit Nennung des Namens des Steuerpflichtigen.

Wie die EU-Richtlinie in Deutschland bis Ende nächsten Jahres umgesetzt wird, ist auch deshalb noch unklar, weil es Bestrebungen gibt, zusätzlich noch eine Anzeigepflicht für nationale Steuermodelle einzuführen. Im Juni hat sich die Finanzministerkonferenz der Länder dafür ausgesprochen. Die Länder Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein hatten zuvor bereits einen Gesetzentwurf ausgearbeitet, der in mehrfacher Hinsicht von der EU-Richtlinie abweicht. So soll es danach unter anderem nur um bisher noch nicht bekannte Steuersparmodelle gehen, die auf Großbetriebe oder Konzerne zugeschnitten sind und einen Steuervorteil von mehr als 50 000 Euro erbringen.

Der Steuerpflichtige soll anonym bleiben

Die Länder interessieren sich dabei aber nicht nur für die Ertragsteuern, sondern auch für die Erbschaft- und Schenkungssteuer sowie für die Grunderwerbsteuer. Die Meldungen sollen anonymisiert abgegeben werden. Die Verfasser des Entwurfs sehen in der Anzeigepflicht für nationale Gestaltungen eine Ergänzung der EU-Richtlinie. Anzeigepflichtig sollen alle Modelle sein, mit denen der Steuerpflichtige Geld spart, Zahlungen zeitlich verschiebt oder Erstattungsansprüche geltend macht. Auch hier ist nicht immer klar, was genau gemeldet werden muss. Aber der Abgeordnete Fritz Güntzler, der Steuerberater und Wirtschaftsprüfer ist, glaubt zu wissen, was passieren wird: „Die Unternehmen oder die Steuerberater werden alles melden, ohne Ende. Und die Finanzverwaltung wird in den Meldungen ersticken.“

Jetzt ist der Bundesfinanzminister am Zug

Güntzler hält die Anzeigepflicht für überflüssig: „Ich frage mich als Steuerpraktiker nach wie vor, welches konkrete nationale Modell in der Vergangenheit hätte angezeigt werden können“, sagt der CDU-Mann. „Mir fällt da nichts ein, denn in jedem bekannten Fall hat auch das Ausland eine Rolle gespielt. So auch bei Cum-Ex.“ Dabei haben sich Betrüger in einer Vielzahl von Fällen eine einmal gezahlte Kapitalertragsteuer vom Fiskus mehrfach erstatten lassen.

Wie es nun weitergeht, ist offen. Der Ball liegt jetzt bei Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD), der einen Vorschlag machen soll, wie eine nationale Anzeigepflicht aussehen könnte; zudem muss er die EU-Richtlinie umsetzen. Ob der Gesetzentwurf aus Mainz und Kiel dabei noch eine Rolle spielt, ist unklar. In Berlin gibt es Stimmen, die sagen, der Entwurf sei bereits im Papierkorb. Noch nicht entschieden ist, ob die Umsetzung der EU-Richtlinie und die mögliche nationale Anzeigepflicht zu einem Paket gebündelt werden. Und ein Zeitplan fehlt obendrein.