AOK-Landeschef Christopher Hermann sieht keinen Spielraum für niedrigere Beiträge. Wir sprachen mit dem Kassenmanager über Cannabis auf Rezept, Homöopathie und den umstrittenen Finanzausgleich zwischen den Krankenkassen.

Stuttgart - Die AOK Baden-Württemberg ist Deutschlands fünftgrößte Krankenkasse. Wir sprachen mit dem Vorstandsvorsitzenden Christopher Hermann über Cannabis auf Rezept, Homöopathie und den umstrittenen Finanzausgleich zwischen den Kassen.

 
Herr Hermann, es wird immer wieder darüber gestritten, ob gesetzliche Krankenkassen für homöopathische Therapien zahlen sollten. Wie stehen Sie dazu?
Die einen schwören auf Globuli, die anderen halten die Kügelchen für Humbug. Homöopathie ist letztlich eine Glaubenssache. Der Streit darüber wird teils auch in unseren Kundencentern ausgetragen. Damit müssen wir als Krankenkasse umgehen, die große Stücke auf eine evidenzbasierte Medizin hält. Also auf eine Medizin, die beweisen können muss, dass sie tatsächlich wirkt.
Wie gehen Sie denn damit um?
Es geht immer auch um die Frage: Was übernimmt die Krankenkasse und was nicht? Wer als Versicherter bei uns im Rahmen eines Wahltarifs einen gewissen Selbstbehalt übernimmt, dem helfen wir durch den damit verbundenen Bonus bei der Finanzierung etwa von homöopathischen Arzneimitteln, die in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) nicht zugelassen sind. Wir haben als AOK einen Mittelweg gewählt und kommen so Menschen entgegen, für die Homöopathie sehr wichtig ist.
Ärzte dürfen seit März Cannabis-Präparate verschreiben. Wie schlägt das Thema bei Ihnen auf?
Der AOK Baden-Württemberg liegen inzwischen rund 500 Anträge auf eine entsprechende ärztliche Verordnung vor, jede Woche kommen 40 neue Anträge dazu. Wir lassen alle Anträge medizinisch bewerten. Die meisten sind nachvollziehbar, aber 20 Prozent der Anträge werden von uns abgelehnt. Wir haben uns auf das Thema gut und seriös eingestellt. Es geht darum, schwer kranken Menschen zu helfen, beispielsweise Krebspatienten mit sehr starken Schmerzen. Sorgen macht uns aber die Finanzierung.
Inwiefern?
Bisher kommen medizinische Cannabisblüten ausschließlich auf dem Importweg nach Deutschland. In der Apotheke werden sie in der verordneten Wirkstärke zubereitet. Das muss so sein, aber die Apotheke darf dafür heute sehr hohe Aufschläge verlangen. Das macht die Versorgung richtig teuer, da geht es sofort in den fünfstelligen Eurobereich pro Patient und Jahr. Hier sind dringend Verhandlungen mit den Apotheken notwendig.
Da wir schon beim Geld sind: Die Krankenkassen sitzen auf einem milliardenschweren Finanzpolster. Wann senkt die AOK Baden-Württemberg ihren Zusatzbeitrag?
Wir sind auch hier seriös unterwegs. Wir müssen als AOK ein hochpreisiges Gesundheitswesen im Land mit finanzieren, erhalten aus dem Gesundheitsfonds aber nur Zuweisungen, die in ihrer Höhe lediglich dem Bundesdurchschnitt entsprechen. Das ist eine Herausforderung, die wir als Unternehmen ganz gut managen. Sonst würde unser Zusatzbeitrag von derzeit einem Prozent nicht unter dem Bundesdurchschnitt von 1,1 Prozent liegen. Die Differenz dieses Zehntelpunkts macht immerhin 80 Millionen Euro für unsere Versicherten aus.
Eine Senkung des Zusatzbeitrags ist demnach nicht in Sicht?
Es bleibt bei unserer Ansage, dass wir stabil unter dem Bundesdurchschnitt bleiben. Wir betreiben beim Zusatzbeitrag keine Jo-Jo-Politik.
So manchen Versicherten würde gerade das vielleicht freuen.
Das mag sein. Als Krankenkasse müssen wir aber jederzeit in der Lage sein, etwa auf von der Politik bereits beschlossene Gesundheitsreformen reagieren zu können. Dafür brauchen wir Reserven. Denken sie beispielsweise an das Krankenhausstrukturgesetz und an das Präventionsgesetz. Und dann investieren wir ja auch noch zusammen mit unseren ärztlichen Partnern in eine bessere Versorgung. Die Hausarztzentrierte Versorgung (HZV) im Land, die von vielen direkten Verträgen mit Fachärzten flankiert wird, ist bundesweit einzigartig. Unsere Kunden werden nachweisbar besser versorgt.
Alle Krankenkassen finden den Finanzausgleich zwischen den Kassen, den sogenannten morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich ungerecht, nur die AOKs nicht. Wollen die anderen Kassen Ihnen ans Zeug flicken?
Der Morbi-RSA sorgt für fairen Wettbewerb, nämlich dafür, dass jeder Versicherte im Prinzip gleich viel wert ist, unabhängig von seinem Gesundheitszustand. Das betrifft die aus dem Gesundheitsfonds fließenden Einnahmen der Krankenkassen. Aber diese Einnahmen allein garantieren noch kein funktionierendes Geschäftsmodell, man muss als Krankenkasse auch die Ausgaben im Griff haben. Wir haben auf diesem Gebiet unsere Hausaufgaben gemacht, nicht zuletzt, weil wir die medizinische Versorgung mitgestalten.
Kritiker des Morbi-RSA wenden auch ein, dass der Katalog von 80 Krankheiten, nach dem sich die Zuweisungen aus dem Fonds bemessen, die Deutschen zu einem Volk von chronisch Kranken machen. Ist da was dran?
Ich bin überhaupt kein Anhänger dieses Katalogs. Er bildet die tatsächlichen Krankheiten in der Bevölkerung nicht umfassend ab. Experten sprechen von 270 Krankheitsbildern, die alle erdenklichen Leiden abbilden. Das wäre ein besseres System. Die Fixierung auf mehr oder weniger willkürlich ausgewählte Krankheiten würde entfallen.
Jüngst war viel die Rede davon, dass Krankenkassen Ärzten zu falschen Diagnosen drängen und dazu, diese Diagnosen entsprechend im Abrechnungssystem zu kodieren. Haben Sie sich als AOK Baden-Württemberg daran beteiligt?
Wir haben mit Ärzten grundsätzlich viel zu bereden, sie sind unsere Partner. Natürlich gibt es auch Beratungsbedarf, zum Beispiel zu unseren aufwendigen Programmen für chronisch kranke Menschen oder zu Fragen der Arzneimittelversorgung. Da wollen wir das Feld nicht den Beratern der Pharmaindustrie überlassen. Aber in der AOK Baden-Württemberg hat es nie einen Cent dafür gegeben, dass ein Arzt eine Kodierung verändert mit dem Ziel, einen Patienten kränker zu machen, als er tatsächlich ist.