Was halten Sie beide von der neuen Debatte über die Gäubahn am Flughafen.
Heimerl: Ein zwölf Kilometer langer Tunnel wäre für die Gäubahn südlich von Stuttgart ohne Frage von Vorteil. Für den Deutschlandtakt sowie das klimaschutz- und verkehrspolitische Ziel, die Zahl der Bahnfahrgäste zu verdoppeln, braucht man ihn. Dieser Tunnel hätte aber auch Konsequenzen für den Bahnknoten insgesamt, die noch gar nicht diskutiert sind.Amler: Richtig. Prinzipiell fehlt ja bis heute ein Ausweichkonzept für die S-Bahn, wenn deren Stammstrecke in der Stadt nicht zur Verfügung steht. Wie dann auf die Fildern? Bisher sollen in diesen Fällen die S-Bahnen durch den S-21-Fildertunnel bis zum Flughafen-S-Bahnhof und dann auf den S-Bahn-Gleisen weiter in Richtung Stuttgart-Vaihingen/Böblingen/Herrenberg. Nach Bau des neuen Gäubahntunnels würde das nicht gehen. Stand heute wäre nur noch die Fahrt über die Stationen Hauptbahnhof, Flughafen-Fernbahnhof unter der Messe, Goldberg und die Stationen bis Herrenberg möglich.
Wäre das schlimm? Ist das nicht selten?
Amler: Das geschieht derzeit etwa 120-mal jährlich – und die DB kann meist selbst nichts dafür. Es würden also 120-mal im Jahr für etliche Minuten bis zu einigen Stunden die S-Bahn-Stationen Bernhausen, Flughafen/Messe, Leinfelden, Echterdingen, Rohr und Vaihingen mit dem Synergiepark abgehängt werden. Und angedachte Tangentialverbindungen der S-Bahn von Böblingen über den Flughafen zur Bahn-Neubaustrecke und dort zum Neckartal wären auch unmöglich.
Was schlagen Sie also vor?
Heimerl: Die rasche Realisierung des Nordkreuzes im Bereich Rosenstein. Das wird wegen des Gäubahntunnels noch wichtiger. Um nämlich die zweite Stammstrecke für die S-Bahn mit der Panoramabahn-Strecke via Westbahnhof herzustellen. Dadurch könnten S-Bahnen beispielsweise auch von Feuerbach oder Bad Cannstatt über den Westbahnhof und weiter in das Netz auf den Fildern fahren.
Amler: In dem Punkt sind wir uns einig. Fernverkehr und Deutschlandtakt sind wichtig, aber von den mehr als 200 000 Fahrgästen am Tag im Hauptbahnhof sind nur etwa 10 Prozent Fernverkehr, der Rest Regional-, S-Bahn- und Stadtbahnverkehr.
Herr Bilger sagte, der Gäubahntunnel werde kommen. Vom Folgebedarf redete er nicht.
Heimerl: Herr Bilger war sehr progressiv. Der Deutschlandtakt ist auch eine gute Sache, aber ich sage: Man muss die anderen Aspekte des lokalen und regionalen Bahnverkehrs einbeziehen.
Der Tunnel würde rund eine Milliarde kosten. Kann der Plan überhaupt gegen konkurrierende Bahnprojekte obsiegen?
Amler: Die Finanzierung muss jetzt die Bundesregierung beziehungsweise Herr Bilger nach seiner Ankündigung sichern. Wir glauben aber nicht, dass dieser Tunnel bis 2030 fertig ist. Die Gäubahn wird deswegen nach der Fertigstellung des Hauptbahnhofes, geplant für 2025, also vermutlich fünf plus x Jahre vom Hauptbahnhof abgehängt sein, vielleicht acht, zehn, oder mehr Jahre. Solange sollen alle Züge der Gäubahn in Vaihingen enden.
Dort müssen alle Reisenden umsteigen?
Amler: Oder im Bereich Nordbahnhof. Dort geht es nach momentaner Planung wirklich nicht mehr weiter. Fahrgäste würden mehrere hundert Meter im Freien vom Gäubahnzug zur S-Bahn oder Stadtbahn gehen. Fahrgäste, die weiter wollen als nach Stuttgart, steigen dann mit Koffer noch einmal im Hauptbahnhof um. Das ist an der Grenze der Zumutbarkeit.
Heimerl: Das bringt uns direkt zum Thema Ergänzungs-Kopfbahnhof beim Hauptbahnhof mit vier Bahnsteigkanten.
Amler: Der Ergänzungsbahnhof wäre die perfekte Lösung für Vieles. Er wäre etwa. das zentrale Element für ein S-Bahn-Notfallkonzept. Alle S-Bahnen kämen noch bis zum Hauptbahnhof, wenn der Tunnel in der Stadt gesperrt ist. Er bringt auch die nötige Zusatzkapazität für die geplanten Metropol-Expresszüge. Man könnte in ihn vermutlich die Gäubahn einführen, müsste sie also nicht in Stuttgart-Vaihingen kappen. Sechs Bahnsteige wären mir aber lieber als vier. Wir bauen für die Zukunft.
Wir reden nicht von „oben bleiben“, sondern von „unten bleiben“?
Amler: Wir reden von einem unterirdischen Kopfbahnhof in der Ebene -1. Man muss untersuchen, wo man am besten unter der Erde zwei Gleise von der Mittnachtstraße zum Hauptbahnhof legen und die Bahnsteige platzieren kann.
Herr Heimerl, begeistert das auch Sie?
Heimerl: Meine Priorität liegt auf dem Nordkreuz. Aber ich sehe auch wie Herr Amler die großen Vorteile dieses Zusatzbahnhofs. Dazu gehört, dass die S-Bahn bei einer Unterbrechung ihrer Stammstrecke nicht völlig am Hauptbahnhof vorbeigeführt wird. Vieles spricht dafür, dass man bei den jetzigen Zielen der Bundes- und Landesregierung für den Schienenverkehr vermutlich von 2030 an, spätestens einige Jahre danach dringend beides haben sollte.
Wann sollte man den Ergänzungsbahnhof dann angehen?
Heimerl: Eine Machbarkeitsstudie für die beste bauliche Variante muss schnell gemacht werden. Dann muss dies planerisch umgesetzt und berücksichtigt werden.
Amler: Ich stimme komplett zu. Bleibt die Frage des Bauens. Ich halte es für keine gute Idee, circa 2030 wieder eine Tiefbaustelle aufzumachen, wenn die Baustelle um den Hauptbahnhof seit einigen Jahren abgeschlossen ist und in den ersten paar tausend Wohnungen des neuen Stadtviertels Menschen leben. Am besten gleich mit S 21 bauen.
Heimerl: Ja, lieber gleich.
Wegen der Finanzen ist wieder Streit unter den S-21-Beteiligten zu erwarten.
Amler: Der für kürzere Fahrzeiten notwendige Tunnel von Zuffenhausen bis zum Hauptbahnhof wird wie der Gäubahntunnel vom Bund zu bezahlen sein, weil das nicht Teil von S 21 ist, sondern Teil des Deutschlandtakt-Konzepts. Die bestehenden S-21-Verträge müssen auch deswegen noch einmal angepackt und geändert werden. Dann sollte alles final geklärt werden, etwa der Erhalt der Panoramastrecke, der Ergänzungsbahnhof und das Nordkreuz. Für die notwendigen Ergänzungen werden viele einen Beitrag leisten müssen.
OB Kuhn, Baubürgermeister Pätzold und die Ratsmehrheit wollen zusätzliche Gleise nicht einmal unten. Sie fürchten um den Wohnungsbau.
Heimerl: Das ist zu kurz gedacht. Dazu müsste man dann sagen: Dann streicht Stuttgart aus dem Deutschlandtakt.
Sie appellieren also ans Rathaus?
Heimerl: Ja. Die Stadt muss auch Interesse an einer guten Anbindung an den Fern- und Regionalverkehr haben und an einem guten, stabilen S-Bahn-Konzept. Sie darf nicht nur an den Wohnungsbau denken. Bevor es nicht eine sorgfältige Prüfung des Ergänzungsbahnhofes gab, sollte ein Baubürgermeister nicht sagen, dass ein neuer Stadtteil geplant wird und man dann erst schaut, was für die Bahn eventuell noch bleibt. Umgekehrt ist es richtig.
Wie sehr drängt die Zeit für Klärungen?
Heimerl: Alle beteiligten Planungsträger müssen jetzt die genannten Erfordernisse für die Zukunft prüfen, das geht nur von Bund, Bahn, Land, Region und Stadt gemeinsam. Wir müssen vor der Landtagswahl im März 2021 Gewissheit haben, was mit der Gäubahn, im Stuttgarter Norden und in Verbindung damit geschehen soll. Das Mindeste ist es, die Optionen rechtlich und baulich verbindlich zu sichern, um für die Zukunft nichts zu verbauen.
Amler: Die Koalitionspartner im Land müssen dem Allgemeinwohl Rechnung tragen. Sie müssen einen gut funktionierenden Eisenbahnknoten für die nächsten Jahrzehnte konzipieren, gemeinsam und konstruktiv an einem Tisch. Wenn es nicht vor der Landtagswahl geschieht, passiert danach wegen der Bundestagswahl im September 2021 auch wieder nichts. In der Summe ist dann mindestens 18 Monate lang Stillstand. Das darf im Interesse der Schienenverkehrs nicht sein.