Bulgaren und Rumänen erhalten vom 1. Januar 2014 an unbeschränkte Beschäftigungsmöglichkeiten in Deutschland. Was bedeutet das für den deutschen Jobmarkt? Droht eine Zuwanderungswelle?

Stuttgart - Vom 1. Januar an gilt für Rumänen und Bulgaren die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit auch in Deutschland. Was das bedeutet, bringt eine Sprecherin der Zentralen Auslands- und Fachvermittlung der Bundesagentur für Arbeit (ZAV) auf die Formel: „Ausländer ist wie Inländer.“ Das beeinflusst sowohl die Situation der Zuwanderer als auch die Lage am Arbeitsmarkt.

 

Was ändert sich für Arbeitnehmer aus Bulgarien und Rumänien?

Angehörige beider Staaten können sich künftig ohne Einschränkung auf dem deutschen Arbeitsmarkt bewerben. Als EU-Bürger benötigen sie schon seit dem 1. Januar 2007 weder Einreisevisum noch Aufenthaltserlaubnis. Beim Zugang zum Jobmarkt waren ihre Freiheiten aber bisher begrenzt. Insgesamt sieben Jahre lang galten unter anderem in Deutschland bestimmte Klauseln, die es Rumänen und Bulgaren erschwerten, hier beruflich Fuß zu fassen. Damit hat die Bundesrepublik den Zeitraum für die Abschottung des Arbeitsmarkts maximal ausgeschöpft.

Unbeschränkten Zugang erhielten bisher nur Selbstständige, denen die europäische Dienstleistungsfreiheit erlaubte, sich EU-weit niederzulassen. Auch davon waren einige Bereiche wie das Baugewerbe und Gebäudereiniger ausgenommen. Für Fachkräfte mit Hochschulabschluss, Saisonarbeiter und Auszubildende gilt seit Anfang 2012 die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit. Sie müssen keine spezielle EU-Arbeitserlaubnis beantragen, um in Deutschland eine Beschäftigung aufzunehmen.

Droht nun eine Zuwanderungswelle?

Deutschland zählt zu den Ländern, die ihren Arbeitsmarkt am stärksten gegen den Zuzug aus Osteuropa abgeriegelt haben. Eine ganze Reihe von anderen EU-Staaten öffneten ihre Tore viel früher. Infolge der Wirtschaftskrise wurden jedoch vor allem in Südeuropa viele Hoffnungen von Einwanderer enttäuscht, was bereits zu einer Umleitung der Migrationsströme geführt hat. Während vor der Krise vier von fünf bulgarischen und rumänischen Auswanderern nach Spanien oder Italien gegangen sind, brach die Nettozuwanderung in diesen Ländern zwischen 2008 und 2011 um mehr als die Hälfte ein, heißt es in einer Untersuchung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB).

Viele Bulgaren und Rumänen sind bereits in diesen Jahren nach Deutschland gekommen. Nun könnten ihnen diejenigen Landsleute folgen, die in Südeuropa keine oder nur schlechte Jobs gefunden haben. Und mit welchen Zuzugszahlen ist nach dem Fall der letzten bürokratischen Hürden zu rechnen? Das IAB erwartet, dass die Nettozuwanderung von rumänischen und bulgarischen Staatsangehörigen 2014 auf 100 000 bis 180 000 Personen steigt. 2012 lag der Saldo zwischen Neuankömmlingen und Fortgezogenen bei 71 000. Derzeit leben rund 330 000 Rumänen und Bulgaren in Deutschland.

Chancen und Gefahren durch die Zuwanderung

Welche positiven Auswirkungen könnten Einwanderer aus Bulgarien und Rumänien auf den Arbeitsmarkt haben?

Dem Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) zufolge ist Zuwanderung insgesamt ein bewährtes Mittel gegen den Fachkräftemangel: „Nicht zuletzt durch ausländische Arbeitskräfte ist in den vergangenen Jahren ein erfreulicher Beschäftigungsaufbau erfolgt“, sagt der DIHK-Arbeitsmarktexperte Stefan Hardege. Die Unternehmen hätten weiterhin einen großen Bedarf an Arbeitskräften und zunehmend das Problem, geeignetes Personal zu finden. „Das gilt nicht nur für Akademiker und hochqualifizierte Fachkräfte, sondern zunehmend auch für Leute mit mittlerer beruflicher Qualifikation.“ Darin liege auch die Chance für Zuwanderer aus Rumänien und Bulgarien, etwa im Gesundheitssektor Fuß zu fassen, meint Hardege. Die Erfahrungen mit der Arbeitnehmerfreizügigkeit für Polen, Tschechen und Angehörige von sechs weiteren EU-Mitgliedsstaaten, die seit 1. Mai 2011 gilt, stützen die DIHK-Prognose: „Die damaligen Ängste vor Zuwandererschwemmen waren unbegründet. Wer gekommen ist, hat sich zum überwiegenden Teil in den Arbeitsmarkt integriert“, sagt Hardege. In vielen Fällen war es anschließend sogar zur Umwandlung von Schwarzarbeit und Scheinselbstständigkeit in reguläre Beschäftigungsverhältnisse gekommen. Eine vergleichbare Entwicklung sei auch jetzt möglich.

Die deutsche Rentenkasse profitiert zweifelsohne erheblich vom Zuzug von Fachkräften aus anderen EU-Staaten: Nie zuvor haben mehr ausländische Staatsangehörige eingezahlt. Nach Angaben der Deutschen Rentenversicherung legte die Zahl der ausländischen Einzahler im Jahr 2011 um 230 000 auf knapp 4,2 Millionen zu. Für das Jahr 2012 werde mit einem weiteren Anstieg gerechnet.

Welche Gefahren sind mit dem verstärkten Zuzug aus Osteuropa verbunden?

Die IAB-Studie kommt zu dem Ergebnis, dass Bulgaren und Rumänen überdurchschnittlich gut in den deutschen Arbeitsmarkt integriert sind. Ihre Arbeitslosenquote liegt mit zehn Prozent zwar über dem deutschen Durchschnitt (sieben Prozent), allerdings deutlich unter der durchschnittlichen Quote für ausländische Erwerbspersonen insgesamt (16 Prozent). Nahezu das gleiche Bild ergibt sich beim Blick auf den Bezug von Hartz IV. Laut gewordene Befürchtungen, es käme zu einem massiven Anstieg der Leistungsempfänger aus Osteuropa, lassen sich zumindest bis jetzt nicht mit Statistiken belegen. Dennoch erhält die Debatte über steigende Armutszuwanderung neuen Schwung. Auch der Arbeitsmarktexperte Hardege sieht Risiken mit der vollen Freizügigkeit für Rumänen und Bulgaren verbunden: „Menschen ohne Qualifikation haben es am deutschen Arbeitsmarkt schwer.“

Doch wie ist diesem Problem wirksam zu begegnen? Der britische Premier David Cameron wählt eine besonders drastische und von vielen Seiten kritisierte Maßnahme, indem er EU-Zuwanderern den Anspruch auf Arbeitslosenhilfe in den ersten drei Monaten verwehrt. DIHK-Experte Hardege wirbt dagegen für einen Handlungsansatz, der über nationale Grenzen hinwegreicht und von Brüssel aus vorangetrieben werden sollte. Die Herkunftsstaaten der Migranten müssten stärker bei der Entwicklung ihrer eigenen Arbeitsmärkte unterstützt werden: „Viele EU-Länder haben ähnliche demografische Probleme wie Deutschland. Daher haben sie auch ein eigenes Interesse, die Bürger gut auszubilden und in ihrem eigenen Arbeitsmarkt zu halten.“

Hardege warnt allerdings davor, den negativen Begleiterscheinungen von Migration einen zu hohen Stellenwert einzuräumen: „Die Zuwanderung insgesamt darf nicht in ein schlechtes Licht gerückt werden durch eine viel geringere Zahl von Menschen, die möglicherweise zu uns kommen, um von den Sozialsystemen zu profitieren.“ Stattdessen müsse weiter intensiv an einer Willkommenskultur für Ausländer gearbeitet werden.