Die Gewerkschaft Verdi rechnet nicht mit einem baldigen Einlenken des Konzerns. Verdi will den Kampf für einen Tarifvertrag aber fortsetzen und sich dafür stärker international vernetzen.

Stuttgart - Dreimal haben die Beschäftigten an verschiedenen Amazon-Standorten in der Adventszeit 2016 schon die Arbeit niedergelegt. Dass es kurz vor dem Weihnachtsfest noch in dem einen oder anderen Versandzentrum zu Aktionen kommen könnte, bezeichnet Thomas Voß als „sehr wahrscheinlich“. Voß ist im Verdi-Bundesvorstand für den Versand- und Onlinehandel zuständig.

 

In der Frage, ob Amazon ein solches Versandhandels- oder aber ein Logistikunternehmen ist, herrscht Uneinigkeit zwischen dem Konzern und der Gewerkschaft. Verdi versucht schon seit dem Frühjahr 2013 vergeblich, den Arbeitgeber an den Verhandlungstisch zu zwingen, um über eine Eingliederung in den Tarifvertrag des Einzel- und Versandhandels zu sprechen. Amazon beharrt unterdessen darauf, ein Logistiker zu sein und verweigert jegliches Gespräch. „Viele Unternehmen sind nicht tarifgebunden und trotzdem keine schlechteren Arbeitgeber“, sagt eine Amazon-Sprecherin. Dann wiederholt sie einen oft zitierten Satz, der die festgefahrene Situation verdeutlicht: „Verdi und Amazon passen einfach nicht zusammen.“

Gewerkschaft verzeichnet größere Streikbeteiligung – Amazon widerspricht

Um die Forderungen nach einem Tarifvertrag sowie nach Weihnachts- und Urlaubsgeld, Zuschlägen, einer 38-Stunden-Woche und sechs Wochen Urlaub durchzusetzen, hat Verdi immer wieder zu teils mehrtägigen Streiks aufgerufen. Im vergangenen Jahr kamen dabei insgesamt 48 Streiktage zusammen, in diesem Jahr werde man voraussichtlich leicht darunter liegen, erwartet Voß. Allerdings sei die Streikbeteiligung im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Arbeitsniederlegungen an den bundesweit neun Logistik-Standorten haben nach Voß’ Einschätzung bisher zwar nicht dazu geführt, das Hauptziel zu erreichen. Wohl aber habe der Arbeitgeber auf den Druck reagieren müssen: „Wo wir streiken, werden die Löhne erhöht und die Arbeitsbedingungen verbessert“, sagt der Gewerkschaftssekretär.

Amazon widerspricht dieser Darstellung entschieden: Sowohl bei der Anzahl der Streiks als auch auch bei der Beteiligung habe man in diesem Jahr eine abnehmende Tendenz verzeichnet. „Wir spüren keinen Druck durch die Gewerkschaft“, erklärt die Sprecherin. Die Löhne würden in jedem Jahr einem transparenten Überprüfungsprozess unterzogen. Sie sind zuletzt im September an allen deutschen Standorten zwischen 2,1 und 3,75 Prozent erhöht worden, der Basislohn liegt bei mindestens 10,30 Euro pro Stunde für Einsteiger. Seine Beschäftigten nach dem Tarif des Einzelhandels zu bezahlen, lehnt Amazon mit der Begründung ab, sie führten ganz andere Tätigkeiten aus: „Sie haben weder Kundenkontakt, noch müssen sie eine Kasse verwalten“, erläutert die Sprecherin.

Verdi-Vertreter Voß bezeichnet die Orientierung am Logistik-Tarif dagegen als „taktischen Schritt“. In Frankreich, wo im Logistikbereich mehr als im Handel bezahlt werde, orientiere sich Amazon am Handel. Konzernchef Jeff Bezos spreche selbst gerne vom „größten Einzelhändler der Welt“. Im Schnitt lägen die Stundenlöhne bei Amazon um zwei bis drei Euro unter dem Tarif des Einzelhandels, so Voß.

Mitarbeiter sollen aus ihrer Schicht heraus die Arbeit niederlegen

Mit einer raschen Lösung rechnet bei der Gewerkschaft kaum jemand. Nach wie vor scheue der Konzern keine Kosten, um die Forderungen nach einem Tarifvertrag abzuwehren, sagt der Gewerkschafter. Doch auch die Belegschaft sei bereit, einen langen Atem zu beweisen. Über alle Standorte hinweg sind Voß zufolge mittlerweile 30 Prozent der festangestellten Beschäftigten gewerkschaftlich organisiert. Man wolle künftig vor allem flexibel dort streiken, wo die Auftragsvolumen gerade besonders hoch sind. Mitarbeiter würden außerdem noch häufiger als bisher aus der Schicht heraus die Arbeit niederlegen. Damit soll es dem Amazon erschwert werden, sich auf die Streiks einzustellen

Kommt es zu Streiks, könne der Versandriese bisher blitzschnell auf unliebsame Störungen des Arbeitsablaufs reagieren: Wenn zum Beispiel in Leipzig gestreikt werde, dauere es nur zwei bis drei Stunden, bis die Aufträge in eines von mittlerweile drei Versandzentren im Nachbarland Polen verlegt seien, erläutert Voß. Um es dem Arbeitgeber künftig schwerer zu machen, diesen Umweg zu nutzen, will die Gewerkschaft sich stärker mit den Standorten im Ausland vernetzen: „Wir wollen in ein bis zwei Jahren einen europaweiten Arbeitskampf führen“, kündigt Voss an. Ein großes Vorhaben, immerhin verfügt Amazon in Europa momentan über 31 Logistikzentren in sieben Ländern. http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.verdi-streik-amazon-weicht-schon-nach-polen-aus.f1b8bd15-7e47-4b06-9de5-cae7c5ba3e42.html http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.amazon-in-pforzheim-verdi-ruft-zu-streik-auf.0375e627-921b-4fcd-a1e1-b574637074a3.html