Busse und Bahnen standen still. Kindertagesstätten waren geschlossen. Operationen wurden verschoben. Die Woche hat in Stuttgart mit Warnstreiks begonnen. Rund 4000 Beschäftigte im öffentlichen Dienst des Bundes und der Kommunen legten am Montag in Stuttgart und der Region die Arbeit nieder.

Stuttgart - Die Zufahrt zum Werksgelände ist abgesperrt. An der Einfahrt zum Gelände der Zentrale der Stuttgarter Straßenbahnen (SSB) hängen die Banner von Verdi. „Bei uns ist die Streikbereitschaft enorm hoch“, stellt Betriebsrat Dieter Hafenbrack fest. Die Zahlen geben ihm recht: Rund 1500 SSBler haben am Montag die Arbeit niedergelegt. Die ersten waren bereits um 3.30 Uhr für ihre Forderungen auf den Beinen: „Wir sind es wert“ steht auf ihren Westen. Sie wollen sechs Prozent mehr Lohn.

 

Hohe Streikbereitschaft bei SSB-Mitarbeitern

„Das durchschnittliche Einkommen eines Fahrers liegt bei nur 2400 Euro brutto“, sagt Hafenbrack. Ludger Piaskowy nickt zustimmend. Aber ihm geht es nicht nur um die Lohnerhöhung, sondern auch um die zusätzliche Altersvorsorge. Die wolle der Arbeitgeber jetzt kürzen „Mit dem Ergebnis, dass wir in der Altersarmut landen und auf staatliche Unterstützung angewiesen sind“, fürchtet der 53-Jährige. Er und viele Kollegen sind auch für einen langfristigen Streik zu haben. Da die Bevölkerung früh informiert worden sei, halte sich der Ärger bei den Kunden in Grenzen, ist Piaskowy überzeugt.

Bei allen ist das nicht der Fall: „Wer denkt an die Schulkinder, die auf Bus und Bahn angewiesen sind und ihren 13-Kilo-Schulrucksack schleppen müssen?“, schreibt Monika Koch aus Vaihingen in einem Leserbrief. Für akzeptabel hält sie einen Streik dann, wenn es zwischen den Tarifparteien nach langen Auseinandersetzungen zu keinem Ergebnis kommt. Bereits vorher die Arbeit niederzulegen hält sie für Erpressung.. Ähnlich sieht es Dieter Zindel: „Ich habe gar kein Verständnis für den Streik. Die Bevölkerung ist auf die Busse und Bahnen der SSB angewiesen, um zur Arbeit zu kommen“, sagt der 53-Jährige Stuttgarter.

Wohin mit den Kindern? Die Frage hat am Wochenende viele Eltern beschäftigt. Allein in der Landeshauptstadt hatten 120 Kitas geschlossen. In 17 Einrichtungen haben sich die Mitarbeiter mit den Eltern abgesprochen und die Kinder der Eltern betreut, die keine alternative Betreuung finden konnten. In zwei Einrichtungen haben Mütter die Kinderbetreuung übernommen. 37 Kitas waren geöffnet. „Ein eintägiger Warnstreik stellt die Eltern nicht vor allzu große Probleme“, ist der Leiter des städtischen Jugendamts, Bruno Pfeifle, überzeugt. „Als ich am Donnerstag von dem Warnstreik erfahren habe, war der Schrecken groß“, sagt eine berufstätige Mutter von zwei Kindern. Dann wurde in ihrer Kita eine Liste ausgehängt, in der sich Eltern ohne alternative eintragen konnten. „Mit 20 Kindern war die Liste voll. Aber alle Kinder, die darauf angewiesen waren, wurden betreut“, so die Mutter entspannt.

Bei der zentralen Kundgebung von 11 bis 12 Uhr auf dem Marktplatz vor dem Stuttgarter Rathaus fordert Leni Breymaier, Chefin des Verdi-Landesbezirks, vor rund 2700 Streikteilnehmern die Arbeitgeber auf, ihren Kurs der Reallohnsenkung zu beenden. „Am Wochenende wird sich zeigen, ob die Arbeitgeber trotz Milliardenüberschüssen weiter den Beschäftigten im öffentlichen Dienst jegliche Anerkennung verweigern“, sagte sie. Die Resonanz: tosender Applaus und ein Trillerpfeifenkonzert.

Schmiererein an Gebäude des Kommunalen Arbeitgeberverbands

Außer den Mitarbeitern der Kitas und der SSB waren Beschäftigte unter anderem der Bäderbetriebe, der Arbeitsagentur und des Jobcenters, der Stadtwerke und der Abfallwirtschaft sowie des Stuttgarter Klinikums auf dem Marktplatz. Vom Klinikum haben sich Hunderte Mitarbeiter am Warnstreik beteiligt. Nicht dringende Operationen und Termine in den Ambulanzen wurden abgesagt. Nicht bei Pfiffen gegen die Arbeitgeber haben es Unbekannte belassen, die ein Gebäude des Kommunalen Arbeitgeberverbands (KAV) im Stuttgarter Norden mit roter Farbe, der Parole „Klasse gegen Klasse“ und Hammer und Sichel beschmiert haben. Der KAV vermutet, dass die Täter dem linksextremistischen Spektrum angehören.

Auf den Straßen nach Stuttgart kam es wegen des Warnstreiks zu erheblichen Staus. „Viele Bus- und Bahnkunden sind aufs Auto umgestiegen“, stellt Ralf Thomas, Chef der Integrierten Verkehrsleitzentrale in Bad Cannstatt, fest. Während an einem normalen Werktag Autofahrer von Degerloch bis zum Charlottenplatz 15 Minuten unterwegs seien, waren es am Montag etwa 45 Minuten. Besonders zwischen 7 und 8 Uhr war auf vielen Strecken Stillstand angesagt.