Arbeitgeber und Gewerkschaften können sich nicht auf eine gemeinsame Strategie gegen Überforderung am Arbeitsplatz verständigen. Sozialministerin von der Leyen sieht akuten Handlungsbedarf – der „Stressreport 2012“ bestätigt sie.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Berlin - Bis Montag war um eine gemeinsame Resolution mit der Bundesregierung zum „Anti-Stress-Gipfel“ gerungen worden – vergeblich. Arbeitgeber und Gewerkschaften konnten sich nicht einigen und machten sich am Dienstag heftige Vorwürfe: „Eine große Anti-Stress-Koalition ist durch die Verweigerung der Arbeitgeber geplatzt“, rügte das IG-Metall-Vorstandsmitglied Hans-Jürgen Urban. Durch massive Änderungsvorschläge an dem fertig abgestimmten Entwurf hätten sie die Erklärung blockiert. „Anscheinend haben sich noch die Hardliner auf Arbeitgeberseite durchgesetzt“, fügte er hinzu.

 

Aus Sicht der IG Metall zeigt die Blockade der Arbeitgeber, dass nur eine Anti-Stress-Verordnung mit verbindlichen Regeln Arbeitnehmer vor Psychostress am Arbeitsplatz schützen kann. Bleibe Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) untätig, „könnte dies ihre Glaubwürdigkeit im Kampf gegen Burnout beeinträchtigen“.

5,9 Milliarden Produktionsausfälle durch Krankheit

Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt konterte, die Gesundheit der Mitarbeiter liege im ureigenen Interesse der Arbeitgeber. Allerdings „leiden Beschäftigte seltener an psychischen Erkrankungen als Nichtbeschäftigte“. Daher sei es falsch, derlei Erkrankungen vorrangig auf Arbeit zurückzuführen. Nach allen Untersuchungen hätten psychische Störungen auch nicht zugenommen, „sie werden nur häufiger erkannt“. Die wochenlangen Gespräche mit dem Bundesarbeitsministerium und den Gewerkschaften haben Hundt zufolge in vielen Punkten Einigkeit erbracht. Eine neue Verordnung hält er aber nicht für notwendig. „Wir brauchen nicht neue Rechtsvorschriften, sondern eine verbesserte Umsetzung der erforderlichen Maßnahmen“, mahnte der Arbeitgeberpräsident.

Die CDU-Politikerin Ursula von der Leyen rief die Arbeitgeber und Gewerkschaften dennoch dazu auf, gemeinsam gegen Stress am Arbeitsplatz zu kämpfen. „Es besteht Handlungsbedarf in unseren Betrieben“, sagte sie bei einer Tagung in Berlin, bei der die gescheiterte Resolution bekannt gemacht werden sollte. „Ohne die Sozialpartner geht es aber nicht.“ Die Zahlen sprächen eine deutliche Sprache. 2011 seien 59,2 Millionen Arbeitsunfähigkeitstage aufgrund psychischer Erkrankungen registriert worden – das sei ein Anstieg um mehr als 80 Prozent in den letzten 15 Jahren. Für die Betriebe seien dies Produktionsausfälle von 5,9 Milliarden Euro. „Es kostet richtig viel Geld“, betonte von der Leyen. Bei der Frühverrentung wegen verminderter Erwerbsfähigkeit seien psychische Erkrankungen mit 41 Prozent „Ursache Nummer eins“. Das Durchschnittsalter liege bei 48,3 Jahren. Zudem seien 2006 fast 27 Milliarden Euro für die Behandlung psychischer Erkrankungen ausgegeben – 3,3 Milliarden Euro mehr als noch 2002.

43 Prozent beklagen steigenden Arbeitsdruck

„Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können“, rügte von der Leyen. Bestätigt sehen darf sie sich durch den „Stressreport Deutschland 2012“ der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, die zwischen Oktober 2011 und März 2012 gut 18 000 Erwerbstätige befragt hatte. Demnach arbeitet jeder Zweite unter großem Termin- und Zeitdruck. Von denen, die aufgrund der psychischen Last erkranken, geben 70 Prozent an, der Zeitdruck sei der Hauptbelastungsfaktor. 43 Prozent glauben, der Druck habe zugenommen – dazu zählen sie häufige Unterbrechungen durch E-Mail und Telefon sowie die Anforderung, vieles gleichzeitig zu erledigen. In einfachen Berufen kommt als Stressfaktor oft die Arbeitsmonotonie dazu.

Der Report zeigt, dass es seit der Befragung von 2005/2006 kaum Veränderungen gibt. Von einer Entwarnung könne aber keine Rede sein, weil sich die Anforderungen aus Arbeitsinhalt und -organisation auf hohem Niveau stabilisiert hätten.