Im Zuge der Corona-Krise haben in den USA eine Rekordzahl von Arbeitnehmern gekündigt. Firmen müssen nun gerade einfache Tätigkeiten besser bezahlen.

Stadtentwicklung & Infrastruktur: Andreas Geldner (age)

Stuttgart - Der Satz klingt wie der kämpferische Slogan eines Gewerkschafters: „Wenn Arbeitnehmer mehr von ihren Arbeitgebern verlangen ist das ein wesentliches Merkmal des Kapitalismus“. Doch formuliert hat ihn ein US-Erzkapitalist. Es war Larry Fink, der Chef von Blackrock, einer der mächtigsten Investmentgesellschaften der Welt, der dies in seinem alljährlichen Brief an seine Unternehmenskunden formulierte. Er sprach dabei von einem radikalen Kulturwandel auf dem US-Arbeitsmarkt.

 

Corona hat die US-Arbeitswelt umgekrempelt

Am Anfang stand Corona. Und die Pandemie lief zuerst einmal gegen die Arbeitnehmer. Die Wirtschaft brach ein, zahllose Arbeitnehmer verloren ihre Jobs. Doch nun, da die Konjunktur wieder anzieht, gelten auf einmal ganz neue Spielregeln. Über Jahre, ja Jahrzehnte, hatte kaum ein Unternehmen in den USA größere Probleme hatte, selbst für schlecht bezahlte, unangenehme Arbeit genügend Bewerber zu finden.

Doch nun suchen die Firmen mit der anziehenden Konjunktur nach Arbeitskräften. Doch die zeigen sich ungewohnt sperrig, insbesondere bei den bisher für die amerikanische Dienstleistungskultur stehenden, wenig qualifizierten Beschäftigungen, vom Burger-Brater über den Verkäufer bis hin zum Packer im Paketlager.

Größte Kündigungswelle seit Jahrzehnten

Die USA stecken in einer Welle, die im Schlagwort „Great Resignation“ („Die Große Kündigungswelle“) oder „The Big Quit“ („Das große Kündigen“) genannt wird. Viele Arbeitnehmer kehren nicht in ihre Jobs zurück, die sie in der Krise verloren hatten. Ganz im Gegenteil. Sie kündigen sogar aktiv und haben in einem Maß nach neuen Arbeitsstellen zu suchen begonnen, wie dies seit Jahrzehnten nicht mehr der Fall war. Auf 25 Millionen Menschen ist die Zahl der Menschen in den USA gestiegen, die im zweiten Halbjahr 2021 aus ihrem Job ausgestiegen sind, die höchste Zahl seit zwei Jahrzehnten.

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Laut der aktuellsten Zahlen der amerikanischen Arbeitsagentur, gab es Ende des vergangenen Jahres ein Drittel mehr Kündigungen als Ende des Vorkrisenjahres 2019. „Die Geschichte dieser großen Kündigungswelle stützt sich auf die Tatsache, dass Niedriglöhner in dem anziehenden Arbeitsmarkt neue Möglichkeiten finden und sie ergreifen“, sagt Nick Bunker, Wirtschaftsanalyst beim Indeed Hiring Lab einem Ableger einer in Texas gegründeten, globalen Online-Jobbörse, das Trends auf dem Arbeitsmarkt erforscht. Auch in Deutschland ist diese Entwicklung beispielsweise im Hotel- und Gaststättengewerbe zu beobachten. Aber in den USA ist sie besonders ausgeprägt – und beginnt die lange arbeitnehmerfeindlichen Machtverhältnisse auf dem Arbeitsmarkt umzudrehen.

Das hat auch mit Angebot und Nachfrage zu tun: Im November 2021 haben nicht nur 4,5 Millionen Amerikaner freiwillig gekündigt, sondern es haben auch 6,7 Millionen eine neue Arbeitsstelle gefunden. Schon vor der Coronakrise hatte sich nach Jahren relativ hoher Arbeitslosigkeit die Schere zwischen offenen Stellen und Arbeitssuchenden geöffnet. Nach der pandemiebedingten Unterbrechung hat sich das beschleunigt.

Schluss mit dem Hamsterrad

Viele in der ersten Coronaphase gekündigte Arbeitnehmer, die sich bisher klaglos in das Hamsterrad gefügt hatten, erlebten zum ersten mal eine andere Perspektive: Staatliche Hilfsprogramme ermöglichten ihnen vorübergehend auch ohne den permanenten Job-Stress zu überleben. Und auch jetzt, wo der Arbeitsmarkt wieder anzieht, haben viele Familien genügend Rücklagen, um sich zuerst einmal in Ruhe auf dem Arbeitsmarkt umzusehen.

Auch die hohen Coronarisiken mancher Berufe, die selbst auf dem Höhepunkt der Pandemie keine Chance auf die Arbeit von zu Hause boten, förderten den kritischen Blick auf die prekären Arbeitsbedingungen. „Viele Firmen vertreiben inzwischen auch ihre besser gestellten Arbeitnehmer, indem sie immer noch davon ausgehen, dass sie noch genauso denken wie vor der Pandemie: dass ihre Jobs die wichtigste Sache ihres Lebens sind,“ schreibt das US-Wirtschaftsportal Business Insider.

Flucht aus dem Gesundheitswesen

Insbesondere im Gesundheitswesen führte der Corona-Stress dazu, dass sich dort viele Beschäftigte nun ganz andere Berufsfelder suchen. Während diejenigen, die in der bisher schlecht bezahlten Branche blieben, wie etwa mobile Krankenschwestern die von Corona-Brennpunkt zu Corona-Brennpunkt eilten, auf einmal mit Gehältern von bis zu 10 000 Dollar im Monat rechnen konnten. Viele Menschen sehen keinen Sinn mehr darin, sich für Hungerlöhne ausbeuten zu lassen, sondern suchen andere Wege, um zu überleben. In der Lohnentwicklung ist das generell sichtbar: Gerade bei bisher schlecht bezahlten Tätigkeiten haben sie deutlich angezogen. Angesichts einer sich ebenfalls beschleunigenden Inflation droht sogar eine Lohn-Preis-Spirale.

Auch Amazon hat Probleme

Selbst potente Arbeitgeber wie Amazon stoßen auf Grenzen. Der US-Wirtschaftsnachrichtendienst Bloomberg berichtet von Krisentreffen von Managern, weil die Fluktuationsrate an einigen Standorten und einigen Bereichen fünfzig Prozent erreicht habe – was das Unternehmen in einer offiziellen Stellungnahme bestritt. Hauptgrund für die Kündigungen: Zu hoher Arbeitsdruck.

Gewerkschaftsmacht ist weiter Fehlanzeige

Ob der Trend langfristig die Strukturen verändert, ist offen. Eine Streikwelle im vergangenen Herbst, ist bereits wieder verebbt. Einzelne Erfolge bei der gewerkschaftlichen Organisation von Arbeitnehmern, etwa bei Amazon, ändern nichts an der Tatsache, dass mit einem durchschnittlichen gewerkschaftlichen Organisationsgrad von zehn Prozent bei US-Arbeitnehmern eine kollektive Gegenmacht nicht im Blick ist.