Die Lage auf dem Arbeitsmarkt ist so gut wie lange nicht. Für die Arbeitsförderung ist das aber kein Grund, nachzulassen. Die Akteure müssten sich weiter anstrengen, Erwerbslose bei der Qualifizierung, Betriebe bei der Personalsuche, sagt Petra Crawaack, die scheidende Leiterin der Arbeitsagentur.

Lokales: Mathias Bury (ury)

Stuttgart - Sechs Jahre lang stand Petra Cravaack an der Spitze der Arbeitsagentur Stuttgart. Nun geht sie in den Ruhestand. Trotz der guten Lage auf dem Arbeitsmarkt gebe es aber keinen Grund, mit den Anstrengungen nachzulassen.

 
Frau Cravaack, Sie waren sechs Jahre Leiterin der Arbeitsagentur Stuttgart, die Arbeitslosenquote ist niedrig wie seit 1992 nicht mehr. Da können Sie doch zufrieden Abschied nehmen?
Wenn man die Zahl der Menschen anschaut, die mit unserer Unterstützung in Arbeit gekommen sind, dann schon. Die wird sogar noch weiter sinken. Wenn ich mir aber die Struktur der Arbeitslosen ansehe, bin ich nicht mehr ganz so zufrieden.
Warum?
Diejenigen, die keinen Beruf haben, die An- und Ungelernten, haben es immer schwerer. Als ich hierher kam, waren 32 Prozent der Arbeitslosen ungelernt, jetzt sind es über 50 Prozent. Wir versuchen alles, um Arbeitslose zu qualifizieren. Dafür muss man sich aber für längere Zeit wieder auf die Schulbank setzen. Das fällt vielen nicht leicht. Wenn dann wieder ein Job mit relativ gutem Verdienst winkt, ist die Versuchung groß, die Qualifizierung an den Nagel zu hängen.
Mit der Folge?
Diese Menschen nehmen in Kauf, dass sie mal einen Job haben, ein andermal wieder nicht. Noch funktioniert das ja auch.
Was ist an dieser Stelle zu tun?
Ob beim Thema Langzeitarbeitslose, Qualifizierung oder beim Thema Übergang Jugendlicher von der Schule in den Beruf: Die Netzwerkarbeit, die Zusammenarbeit aller damit befassten Organisationen und Institutionen wie der Jugendhilfe oder der Kammern über den eigenen Verantwortungsbereich hinaus wird immer wichtiger. Alle müssen stärker abgestimmt handeln.
Wie funktioniert das in Stuttgart?
Ganz gut, im Vergleich zu anderen Regionen sogar sehr gut. Wir haben hier zum Beispiel nur sehr wenige Jugendliche, die im Herbst keine berufliche Perspektive hatten.
Was sollte sich trotz der grundsätzlich guten Verhältnisse dennoch verbessern?
Unser Ziel muss es sein, für alle Jugendlichen den Übergang in den Beruf möglichst problemlos zu gestalten. Um diesen Prozess noch zu verbessern, setzen sich Berufsberater immer mit den Schulen und der Jugendhilfe an einen Tisch. Wir hoffen, dass es künftig auch Regelungen gibt, die den Austausch einfacher machen, zum Beispiel eine gemeinsame Datenplattform.
Wie wirkt sich der Flüchtlingszuzug auf die Arbeit in der Agentur aus?
Die Geflüchteten sind in der Betreuung der Arbeitsagentur so lange, wie über ihren Aufenthaltsstatus nicht entschieden ist. Wenn sie anerkannt sind, wechseln die Menschen in die Betreuung des Jobcenters der Stadt. Bei uns in der Agentur sinkt deren Zahl.
In der Gesamtstatistik tauchen die Geflüchteten aber auf, wie gegebenenfalls auch Menschen, die aus EU-Ländern zugezogen sind?
Seit 2012 ist in Stuttgart die Zahl der arbeitslos gemeldeten Ausländer von 6935 auf heute 6399 gesunken. Allerdings ist der Anteil der Ausländer unter den Erwerbslosen in diesen Jahren von 39,5 Prozent auf inzwischen 44,2 Prozent angestiegen.
Für die Linderung des wachsenden Fachkräftemangels verspricht man sich einiges von der Gruppe der Geflüchteten. Wie sehen Sie das?
In der heutigen Lage hat jeder Mensch, der hier lebt und arbeiten will, eine hohe Relevanz. Geflüchtete sind aber nicht die Fachkräfte für morgen, sondern für übermorgen.
Welche Konsequenzen hat die veränderte Lage am Arbeitsmarkt für die Arbeit der Agentur?
Die Vermittler und Berater sind sehr viel mehr gefordert, mit den Menschen individuelle Lösungen zu entwickeln. Die Frage ist: Welche Wege muss man gehen, dass die Person fehlende Kompetenzen erwerben kann.
Funktioniert das auch?
In unserem Agenturbezirk haben im vergangenen Jahr rund 300 Personen im Rahmen einer Qualifizierung einen Berufsabschluss gemacht. Das ist eine Hausnummer.
Wie gravierend ist heute schon der Fachkräftemangel in der Region Stuttgart?
Für die Region gibt es keine Untersuchungen. In ganz Baden-Württemberg sucht man für 2018 rund 17 000 Akademiker und 15 000 Facharbeiter. Das ist viel. Das Problem besteht in vielen Branchen. Im Schatten der Global Player in der Region hat das Handwerk mehr und mehr Personalengpässe, etwa im Bereich Gas-Wasser-Installateure, im Baugewerbe, aber auch die Pflege- und Erziehungsberufe. Dagegen gibt es kein Patentrezept, nur einen ganzen Strauß von Maßnahmen. Man muss noch mehr Frauen, Ältere und Behinderte in den Arbeitsmarkt zurückbringen. Da tut sich auch was, die Betriebe sind schon mutiger geworden. Ich kann nur sagen: Weiter so.