Mehr als die Hälfte der Franzosen lehnen die Arbeitsmarktreform ihres Präsidenten Emmanuel Macron ab, die am Donnerstag in definitiver Form präsentiert werden soll. Die Gewerkschaften machen mobil.

Paris - Olivier Clément sieht einen heißen Herbst heraufziehen. Nicht, dass der Gewerkschafter ihn sich wünschen würde. Der 46-Jährige ist kein Hitzkopf. Bevor er sich zur düsteren Prognose durchrang, hatte er behutsam Für und Wider der von Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron vorangetriebenen Arbeitsmarktreform abgewogen. Aber der Sprecher des Gewerkschaftsdachverbandes Confédération Francaise Démocratique du Travail (CFDT) hat eben registriert, dass sich die Gewichte im Ringen um Macrons Vorzeigereform verschoben haben – zu Ungunsten des Präsidenten.

 

In der Bevölkerung wachsen die Zweifel, ob die ohne parlamentarische Aussprache in Dekrete gepackte neue Arbeitsrecht tatsächlich den vom Präsidenten verheißenen Fortschritt bringt. Angeführt von der Confédération Générale du Travail (CGT), dem nach der CFDT in der Privatwirtschaft zweitgrößten Dachverband, machen die Reformgegner mobil. Die ehemals kommunistisch ausgerichtete CGT hat für den 12. September zu landesweiten Streiks und Protesten aufgerufen. Studentenführer denken laut darüber nach, die Gefolgschaft zu ermutigen, ihrem Ärger über Studienbedingen an der Arbeitsmarktfront Luft zu machen. Jean-Luc Mélenchon, der bei den Präsidentschaftswahlen mit 19,6 Prozent bedachte Chef der linken Bewegung „Unbeugsames Frankreich“, beklagt einen „Sozialstaatsstreich“. 

Hollande hat sich als Reformgegner zurückgemeldet und die Stimmung angeheizt

Selbst Macrons Vorgänger Francois Hollande, der als unbeliebtester Präsident der Fünften Republik aus dem Amt geschieden und in der Versenkung verschwunden war, hat sich als Reformgegner zurückgemeldet und die Stimmung angeheizt. Die französische Gesellschaft brauche keine Flexibilisierung des Arbeitsrechts, die sie noch mehr zu spalten drohe, hat er wissen lassen. Dabei hatte er sich im Frühjahr 2016 selbst an dem versucht, was der Nachfolger Frankreich verordnen will. Von Hollandes Arbeitsmarktreform war nach Massenprotesten allerdings nicht viel übrig geblieben. Erklärtes Ziel des Staatschefs ist es, den Unternehmen mehr Gestaltungsspielraum zu geben, Entscheidungsebenen nach unten zu verlagern. Seien es Arbeitszeiten, Produktionsabläufe oder die Dauer eines Beschäftigungsverhältnisses: Dinge, die bisher gesetzlich festgeschrieben sind, sollen auf Branchenebene geregelt werden dürfen, was Branchenabkommen vorbehalten ist, soll auch Betriebsvereinbarungen zugänglich sein.

Dazuhin sollen Kündigungen erleichtert, ihre Kosten durch eine Deckelung der Abfindungen berechenbarer werden. Mehr Wettbewerbsfähigkeit, mehr Arbeitsplätze verspricht sich der Staatschef von der Reform. Laut einer Umfrage des Instituts Harris Interactive bezweifelt allerdings mehr als die Hälfte der Bevölkerung, dass die zum Wohl der Unternehmen konzipierten Neuerungen auch das Wohl der Beschäftigten mehren. So befürchten 54 Prozent der Franzosen eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen, 53 Prozent eine Beschneidung gewerkschaftlicher Rechte. 52 Prozent sprechen sich pauschal gegen die Arbeitsmarktreform aus. Für den Staatschef selbst hat der Vertrauensschwund besorgniserregende Ausmaße angenommen. Binnen eines Monats ist er in Beliebtheitsumfragen um 20 Punkte auf 36 Prozent Zustimmung zurückgefallen. Selbst die gemäßigte CFDT hat, wie Clément einräumt, dem Präsidenten  „rote Linien gezogen“, deren Überschreiten sie mit einem Demonstrationsaufruf beantworten würde.

Vier der zu erwartenden Neuerungen ziehen den Zorn der Reformgegner besonders auf sich

Die Abkehr von der 35-Stundenwoche zählt dazu. Nicht, dass die gesetzliche Regelarbeitszeit in der Praxis eingehalten würde. Vollzeitbeschäftigte arbeiten in Frankreich im Schnitt 40,5 Stunden. Aber für die 35 Stunden überschreitende Arbeitszeit gibt es Überstundenzuschläge von durchschnittlich 25 Prozent – für den Arbeitgeberverband Medef einer der Gründe, warum sich Frankreich im internationalen Wettbewerb schwer tut.  Vier der zu erwartenden Neuerungen ziehen den Zorn der Reformgegner ganz besonders auf sich. Da ist zunächst die künftig internationalen Konzernen eingeräumte Möglichkeit, in wirtschaftlich wenig erfolgreichen französischen Filialen Personal abzubauen. Bisher sind Kündigungen aus wirtschaftlichen Gründen nur zulässig, wenn im gesamten Konzerns Umsatz und Gewinne rückläufig sind.

Auf heftigen Widerstand stößt auch, dass Betriebe mit weniger als 50 Angestellten nach dem Willen der Regierung künftig mit Betriebsräten Vereinbarungen treffen dürfen, ohne dass der Vertreter des Personals einer Gewerkschaft angehört oder von einer Arbeitnehmerorganisation zu Verhandlungen ermächtigt wurde. Weiterer Stein des Anstoßes ist das Unternehmern zugedachte Recht, ohne Beteiligung der Gewerkschaften betriebsinterne Abstimmungen durchzuführen. Hinzu kommt die geplante Deckelung der von Arbeitsgerichten bisher weitgehend nach freiem Ermessen bestimmten Abfindungssummen im Kündigungsfall.

Am Donnerstag will die Regierung die Neuerungen in ihrer endgültigen Fassung vorstellen

In der Praxis erhalten unter vergleichbaren Umständen entlassene Arbeitnehmer je nach Schiedsstelle bisher höchst unterschiedliche Entschädigungen zugesprochen, die im Schnitt freilich deutlich über denen anderer EU-Staaten liegen. Während etwa in Deutschland Arbeitsrichter für jedes Jahr der Betriebszugehörigkeit dem Gekündigten einen halben Monatslohn zuzuerkennen, ist es in Frankreich ein ganzer. Ein Unternehmer, der kalkulieren kann, was ihn die Kündigung eines im Krisenfall nicht mehr benötigten Mitarbeiters kostet, wird eher bereit sein, bei guter Konjunktur jemanden einzustellen, argumentieren Befürworter der Deckelung. Wenn die Reformgegner auf den Protest der Straße setzen, dann auch mangels Alternativen. Am vorigen Freitag hatten die Gewerkschaften letztmals Gelegenheit, der Arbeitsministerin Muriel Pénicaud Bedenken vorzutragen.

Diesen Donnerstag will die Regierung die Neuerungen in ihrer endgültigen Fassung vorstellen: als Dekrete, die dann am 20. September im Ministerrat verabschiedet werden sollen. Zustatten kommt Macron, dass Streiks und Blockaden zwar die von Hollande lancierte Reform weitgehend aufgehalten, den Wortführern aber wenig Gewinn gebracht haben. Wenn die lange Zeit stärkste französische Gewerkschaft CGT bei den Wahlen zu den Personalvertretungen privater Unternehmen Ende März auf Platz zwei zurückgefallen ist, dann auch, weil eine wachsende Zahl von Beschäftigten bezweifelt, dass den Herausforderungen der Globalisierung mit Radikalopposition beizukommen ist.

Macron selbst freilich scheint sich des Reformerfolgs nicht mehr sicher. Frankreich sei reformunfähig, die Franzosen verabscheuten Reformen, hat der Präsident vorige Woche bei einem Staatsbesuch in Rumänien wissen lassen.