Die bei den Betrieben umstrittenen neuen Arbeitsschutzregeln von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) liegen auf Eis.
Berlin - Die Arbeitgeber haben offenbar Erfolg mit ihrem Widerstand gegen die neue umstrittene Arbeitsstättenverordnung von Arbeitsministerin Andrea Nahles. Das Kanzleramt hält nun den Daumen drauf: Die SPD-Politikerin sagte am Donnerstag in Berlin, im weiteren Verfahren sei nun das Kanzleramt am Zug. Es sei nun nicht mehr ihre Aufgabe, über den Zeitpunkt der Verordnung zu bestimmen. Sie erwarte jetzt „eine klare Ansage des Kanzleramts“. „Der Ball liegt ganz klar im Kanzleramt, wie das weitere Prozedere bei der Arbeitsstättenverordnung ist“, ergänzte Nahles.
Die geplante Neuregelung der Arbeitsstättenverordnung hatte einen Sturm der Entrüstung bei den Arbeitgebern ausgelöst, die von teils absurden Vorgaben sprachen und vor überbordender Bürokratie warnten. Im Koalitionsausschuss am Dienstagabend war sie zwischen den Koalitionspartnern Union und SPD strittig. Offen ist, ob die Verordnung komplett neu geschrieben oder an einzelnen Stellen geändert wird. In Regierungskreisen hieß es, die Verordnung befinde sich weiter in der regierungsinternen Abstimmung. Es finde „eine Verständigung über die Inhalte statt“.
Aus dem Nahles-Ministerium verlautete, sie sei weiter im Gespräch mit dem Kanzleramt. Eine offizielle Mitteilung aus dem Kanzleramt sei bisher nicht eingegangen. Nahles stehe zu dieser Verordnung. Sie habe in der Diskussion bisher Kompromissbereitschaft gezeigt, unterstrich die Ministerin ihrerseits. Im Übrigen sei die Arbeitsstättenverordnung drei Jahre beraten worden, in der Ressortabstimmung gewesen und mit drei Änderungswünschen vom Bundesrat gebilligt worden. Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ berichtete, Nahles sei mit ihrer Verordnung vorerst gescheitert. Offiziell habe der Koalitionsausschuss in seiner Sitzung die Verabschiedung durch das Kabinett nur erneut vertagt. In hochrangigen Koalitionskreisen hieß es nach Angaben der Zeitung jedoch: „Das Ding ist tot.“ Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU) habe viele Einwände formuliert.
Die Arbeitgeber sprechen von „Irrsinn in Absurdistan“
Gegen den bisherigen Entwurf war die Wirtschaft Sturm gelaufen. Als ein Beispiel für die überbordende Regelungswut wurde die Verpflichtung genannt, abschließbare Spinde am Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen. In der „Passauer Neuen Presse“ bekräftigte Nahles: „Ich hänge nicht an den Spinden, auch wenn es natürlich durchaus hilfreich ist, Wertsachen sicher wegschließen zu können.“ Wenn sich Regelungen „als überflüssig erweisen, bin ich die Letzte, die darauf beharrt“.
Die vorliegende Verordnung, die Arbeitgeber-Präsident Ingo Kramer für lebensfremd und bürokratisch hält, wurde im Herbst vom Bundeskabinett gebilligt. Im Dezember kamen auf Wunsch des Bundesrates weitere Auflagen hinzu – so zum Beispiel die Pflicht, dass jeder Arbeitsplatz mit einer sogenannten abschließbaren Kleiderablage auszustatten ist. Die Bundesregierung kann den Beschluss des Bundesrates nur entweder komplett billigen oder komplett ablehnen. Im zweiten Fall wäre die Verordnung gescheitert und müsste ganz neu erstellt werden. Nahles hatte vorgeschlagen, die Verordnung zu billigen und dann im Zuge einer Änderungsverordnung Korrekturen vorzunehmen. Noch hat die große Koalition nicht beschlossen, welches Verfahren sie wählen will.
Kramer warnte am Donnerstag davor, die Verordnung erst zu beschließen, um sie dann wieder zu ändern. Das hätte zur Folge, dass bis zur Korrektur „fensterlose Produktionshallen, Kantinen, Pausen- und Bereitschaftsräume“ geschlossen werden müssten. Der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände hatte Anfang des Jahres das Regelwerk als „bürokratischen Irrsinn in Absurdistan“ bezeichnet. Daraufhin erwiderte Nahles, dass sie über Kramers Kritik entsetzt sei und diese „als einen Angriff auf meine Person“ sowie die Mitarbeiter des Ministeriums betrachte, die mit großem Engagement und Sachkenntnis tätig seien.
Annelie Buntenbach, Vorstandsmitglied im Deutschen Gewerkschaftsbund, warnte die Regierung davor, die Regelungen zur Gestaltung von Arbeitsstätten zu stoppen: „Der vorliegende Entwurf für die Reform der Arbeitsstättenverordnung muss jetzt umgesetzt werden.“ Der baden-württembergische FDP-Vorsitzende Michael Theurer betonte, dass Überregulierung der Wirtschaft schade. Er hoffe, dass in der CDU/CSU der marktwirtschaftliche Widerstandsgeist erwache und die Union der SPD die Stirn biete: „Frau Nahles sollte endlich klar werden, dass sie Arbeitsministerin und nicht Bürokratieerschaffungsministerin ist.“