Wegen der Corona-Krise gibt es Stuttgarter Arbeitsagentur keine direkten Kundenkontakte mehr. Das Telefon ist jetzt wichtigstes Arbeitsgerät der Berater.

Stuttgart-Nord - In dem riesigen Gebäudekomplex der Agentur für Arbeit an der Nordbahnhofstraße 30 bis 34 gehen täglich Hunderte Kunden ein und aus. Jetzt, in Corona-Zeiten, ist es dort wie ausgestorben. Julia Marquardts Büro liegt im vierten Stock. Auch dort ist es einsam. „Von 312 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern arbeiten vorerst bis nach Ostern 67 im Homeoffice. Das sind 21,5 Prozent der Belegschaft“, sagt sie. Marquardt ist Arbeitsvermittlerin für Menschen mit besonderem Unterstützungs- und Beratungsbedarf. Ihr regulärer Job ist es, ihren Kunden bei der Bewerbung um einen neuen Arbeitsplatz zu helfen – im Gespräch unter vier Augen. „Normalerweise schauen wir die Jobangebote durch, sichten die Bewerbungsmappe, und ich gebe Tipps für das Vorstellungsgespräch“, sagt sie.

 

Normalerweise? Normal ist auch in der Arbeitsagentur seit knapp zwei Wochen nichts mehr. „Über Nacht wurde alles anders“, stellt Julia Marquardt fest. Sie hatte ab sofort keine persönlichen Kundenkontakte mehr. Ihre Arbeit, die Beratungsgespräche, erledigt sie am Telefon oder per E-Mail. „Dass wir so erreichbar sind, ist jetzt besonders wichtig“, sagt sie. Für Marquardt und ihre Kollegen hat sich das Aufgabenspektrum enorm erweitert. Alle arbeiten jetzt da, wo der Bedarf am größten ist. Da sind zum einen die Anfragen der Arbeitgeber rund um die Kurzarbeit sowie die Anfragen von Menschen ohne Arbeit, die nicht wissen, wie es jetzt für sie weiter geht und die finanzielle Unterstützung brauchen. Um alle Anfragen und Anträge zügig zu bearbeiten, wurde extra eine Arbeitnehmerhotline eingerichtet, für die rund 100 Mitarbeiter aus allen Bereichen der Agentur eingesetzt werden. Außerdem wurde die Zahl der Mitarbeiter bei der bereits bestehenden Hotline von 50 auf 100 aufgestockt.

Im Einzelhandel und der Landwirtschaft werden Mitarbeiter gesucht

Auf die Frage, wo sie sich derzeit überhaupt noch um einen Job bewerben können, rät Marquardt ihren Kunden direkt im Supermarkt oder der Drogerie nachzufragen, ob sie mit anpacken können – sei es beim Auffüllen der leeren Regale, an der Kasse oder im Security-Bereich, zum Beispiel als Aufpasser, dass nicht zu viele Kunden gleichzeitig ins Geschäft drängen. Auch die Landwirtschaft hat laut Marquardt hohen Mitarbeiterbedarf: bei der Feldarbeit, beim Zuteilen der Ware an die Empfänger und beim Ausliefern. Die Vermittlerin stellt fest, dass den Menschen die Telefongespräche und Ratschläge gut tun, sie beruhigen. „Wir wissen, wie schwierig die Situation ist und möchten die existenzielle Not der Menschen verhindern oder zumindest abfedern.“

Der zweite große Bereich der Agentur ist derzeit die Leistungsgewährung. Dort werden die Kräfte gebündelt: die Bearbeitung der Anträge fürs Arbeitslosengeld der Arbeitnehmer. Für die Arbeitgeber geht es um das Kurzarbeitergeld. Ordnet ein Unternehmen Kurzarbeit an, muss das bei der Arbeitsagentur beantragt werden. Die Arbeitnehmer bekommen dann von der Agentur 60 Prozent des Nettolohns ausbezahlt. Mit einem Kind sind es 67 Prozent. Das Kurzarbeitergeld gibt es in der Regel maximal zwölf Monate lang, im Ausnahmefall auch 24 Monate. Bezahlt der Arbeitgeber zum Beispiel noch 50 Prozent des Lohns aus, erhält der Arbeitnehmer zusätzlich von der Agentur noch Geld – 60 beziehungsweise 67 Prozent vom fehlenden Lohn. Telefonieren statt mit den Menschen persönlich sprechen: Fehlt da der direkte Kontakt zu den Kunden nicht? „Ja schon“, sagt Julia Marquardt. „Ich habe mich für den Beruf entschieden, weil ich gerne mit Menschen arbeite.“ Sie sagt aber auch, dass die Entscheidung, auf Kontakte zu verzichten, richtig ist. Auch auf die Kontakte zu den Kollegen beim Mittagessen. Denn wie in vielen Unternehmen werden auch in der Kantine der Arbeitsagentur Stuttgart die Mahlzeiten nur noch einzeln ausgegeben und müssen allein im Büro eingenommen werden.