Der umstrittene Umgang der Post AG mit Arbeitsverträgen lenkt den Blick auch auf den Staatsdienst: In den Ministerien Baden-Württembergs wird ein hoher Anteil der neuen Arbeitsverträge zeitlich begrenzt. SPD und Gewerkschaften fordern eine Abkehr.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Die Befristungspraxis bei der Post AG schlägt weiter hohe Wellen. Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) nimmt alle 105 Unternehmen mit Bundesbeteiligung aufs Korn. Demnach wolle er überall dort, wo der Bund im Aufsichtsrat vertreten ist, Berichte zu den befristeten Arbeitsverträgen anfordern, sagte eine Sprecherin des Ministers am Montag.

 

Maximal zwei selbst verschuldete Unfälle

Die Post hat ihren Zweigstellen eine „Orientierung“ gegeben, „um für ein einheitliches Vorgehen als Unternehmen“ zu sorgen, wie ein Sprecher argumentiert. Demnach dürfen Mitarbeiter in drei Monaten nicht mehr als 30 Stunden länger für ihre Touren benötigen als vorgesehen. Auch dürfen sie in zwei Jahren nicht öfter als sechsmal krank gewesen oder mehr als 20 Krankheitstage angehäuft haben. Andernfalls dürfe der jeweilige Arbeitsvertrag nicht entfristet werden. Diese Kriterien seien intern seit Jahren bekannt, erläutert Martina Dukek vom Verdi-Landesfachbereich Postdienste. Aktueller sei nur die Vorgabe, dass höchstens zwei selbst verschuldete Autounfälle mit maximal 5000 Euro Schaden verursacht werden dürfen.

Die Post beschäftigt bundesweit etwa 216 000 Mitarbeiter – in Baden-Württemberg etwa 24 000 in sieben Niederlassungen. Die Gewerkschaft schätzt den Anteil der befristeten Stellen auf vier bis 14 Prozent. Die Unterschiede seien groß, sagt Dukek. Die Werte hingen von der Jahreszeit und der Niederlassung ab. Das könne im Herbst bis über 20 Prozent hinausgehen.

Verdi ist im Prinzip für das Entfristungskonzept

Verdi und der Gesamtbetriebsrat stellen sich generell hinter das Entfristungskonzept der Post. Es wäre wünschenswert, wenn mehr Firmen so etwas hätten. Doch lehnen sie auch „pauschale Kriterien zur Beurteilung von Beschäftigten durch die Konzernleitung“ eindeutig ab. Es müsse stets eine individuelle Beurteilung geben. Die Betriebsräte versuchten seit Jahren, befristete Arbeitsverträge umzuwandeln. 2018 hätten davon schon mehr als 2000 Beschäftigte profitiert. Gleichwohl ermahnt der Verdi-Bundesvize Andrea Kocsis die Bundesregierung, das Teilzeit- und Befristungsgesetz zu ändern. „Die Sachgründe gehören auf den Prüfstand, um die missbräuchliche Nutzung zu verhindern.“

Die Kritik an der Post lenkt den Blick auch auf den öffentlichen Dienst, den insgesamt 70 Prozent aller sachgrundlosen Befristungen betreffen. Nach einer unserer Zeitung vorliegenden Auswertung der Landesregierung Baden-Württemberg auf Antrag der SPD-Fraktion wurden in den Ministerien und nachgeordneten Behörden von Januar bis Dezember 2017 genau 23 670 Arbeitsverträge neu abgeschlossen – davon 1775 sachgrundlos befristet. Dies entspricht 7,5 Prozent der neuen Verträge. Exakt der gleiche Anteil sei von Mai bis Dezember 2016 festgestellt worden. Dies sei kein Verzicht auf sachgrundlose Befristungen, rügt die SPD. In der gesamten Landesverwaltung ergibt sich ein Anteil von 2,74 Prozent an sachgrundlos Befristeten.

SPD-Fraktionschef: Befristungen sollten Ausnahme sein

SPD-Fraktionschef Andreas Stoch forderte gegenüber unserer Zeitung: „Der öffentliche Dienst muss Vorbildfunktion bei der Frage von Arbeitsbedingungen haben.“ Befristete Arbeitsverhältnisse sollten daher die absolute Ausnahme sein, und sachgrundlose Befristungen sollten deutlich reduziert werden. „Trotz entsprechender Vereinbarungen im Koalitionsvertrag lässt Grün-Schwarz jegliche politische Initiative vermissen“, moniert Stoch. Entgegen ihrer Ankündigung, den Anteil an sachgrundlosen Befristungen in den Ministerien und nachgeordneten Dienststellen deutlich reduzieren zu wollen, sei der Anteil der sachgrundlosen Befristungen bei den neuen Verträgen sogar gestiegen. „Von einem Musterland für gute Arbeit ist diese Landesregierung noch meilenweit entfernt.“

Auch der DGB-Landesvize Gabriele Frenzer-Wolf zeigt sich „enttäuscht darüber, dass Grün-Schwarz hinter den eigenen Vorgaben zurückbleibt und die sachgrundlosen Befristungen nicht wenigstens erheblich zurückfährt“. Ziel müsse sein, die ausufernde Praxis in den Ministerien und der gesamten Landesverwaltung zu beenden. „Sachgrundlose Befristungen senken die Attraktivität des öffentlichen Dienstes“, so Frenzer-Wolf. In Zeiten des zunehmenden Wettbewerbs um Fachkräfte wäre das Land „gut beraten, sich als verlässlicher Arbeitgeber zu zeigen und gerade Berufsanfänger langfristig an sich zu binden“. Die Betroffenen hangelten sich oft über Jahre von einer Befristung zur anderen. Familiengründungen und der Aufbau einer Existenz würden dadurch erschwert oder gar verhindert. Auch auf dem knappen Wohnungsmarkt hätten befristet Beschäftigte das Nachsehen, gibt sie zu bedenken.

Das Sozialministerium ist Spitzenreiter

Der Auswertung für die SPD-Fraktion zufolge hat das Sozialministerium mit 17,3 Prozent den höchsten Anteil an sachgrundlosen Befristungen. 43 Prozent der 2017 abgeschlossenen Verträge waren befristet. Das Innenministerium hat insgesamt einen Anteil von 9,5 Prozent – dort wurden im Vorjahr fast 87 Prozent aller Neuverträge befristet. In den nachgeordneten Behörden und Dienststellen traf dies noch auf 16 bis 21 Prozent der Neuverträge zu. Auch das Wissenschaftsministerium (12,5 Prozent Befristete) sowie – in den nachgeordneten Bereichen des Finanzministeriums – die Landesbetriebe Bundesbau (11,3 Prozent), Vermögen und Bau (12,3) sowie Staatliche Münzen BW (9,7) sind Ausreißer bei sachgrundlos begrenzten Verträgen. Dort ist die Quote bei den 2017 geschlossenen Arbeitsverhältnissen jeweils besonders hoch.