Die IG Metall rüstet sich für einen „arbeitszeitpolitischen Aufbruch“. In der Tarifrunde will sie Anfang 2018 für mehr Flexibilität mobil machen. Und im Osten wächst der Druck, von den 38 Wochenstunden herunterzukommen, wie sich bei einem Kongress in Mannheim zeigt.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Mannheim - Bei Tarifkämpfen um die Arbeitszeit werden rasch Erinnerungen an 1984 wach, als die IG Metall im sechseinhalbwöchigen Streik die 35-Stunden-Woche errang. Somit sind sich die meisten der gut 800 Betriebsfunktionäre aus der Republik bei einem Kongress in Mannheim schnell einig: Das wird ein schwerer Gang zu Beginn nächsten Jahres, wenn die Gewerkschaft erneut für Verbesserungen bei der Arbeitszeit mobil machen will, denn die Arbeitgeber werden sich heftig wehren.

 

Nach langer Orientierungsphase und großer Umfrage kristallisiert sich nun eine mögliche Tarifforderung heraus, die neben der Lohnzahl Mitte Oktober beschlossen werden soll. In Mannheim scheint es dafür eine große Mehrheit zu geben, auch wenn keine Beschlüsse gefasst werden. Demnach will die IG Metall den Beschäftigten ein Wahlrecht erkämpfen, ihre Arbeitszeit bis zu zwei Jahre lang etwa auf 28 Stunden zu verkürzen, wenn sie es denn wollen – verbunden mit einem Rückkehrrecht zur 35-Stunden-Woche. Die angesammelte Zeit kann dann zum Beispiel für den Hausbau oder eine Weltreise oder zur Verringerung der Pendlertage eingesetzt werden.

Eine „Sozialleistung, die in die Zeit passt“

Wenn die Beschäftigten ihre Arbeitszeit reduzieren, um Kinder im Haushalt zu betreuen oder ältere Angehörige zu pflegen, soll es dafür auch noch einen Entgeltausgleich geben, damit sich alle Mitarbeiter die Verkürzung leisten können – je niedriger die Lohngruppe, desto höher soll der Ausgleich sein. Die tarifliche Regelung des Entgeltausgleichs sei eine „Sozialleistung, die in die Zeit passt“, hält Gewerkschaftschef Jörg Hofmann vorsorglich den Arbeitgebern entgegen. Denn Zeit für Kinder und Pflege sei eine gesellschaftliche Notwendigkeit. Damit den Betrieben dabei nicht das Personal ausgeht und die Lücken etwa durch mehr Leiharbeit gefüllt werden, will die IG Metall dafür sorgen, dass die Personaldecke in den Betrieben soweit angehoben werde, dass sie den individuellen Anspruch auf eine „verkürzte Vollzeit“ aushalten.

Eine zweite Säule der Tarifforderung ist die Entlastung von Schichtarbeitern. Diesen sollen mehr Freiräume bei der Festlegung von Freischichten erkämpft werden – erneut kombiniert mit einem finanziellen Ausgleich. Jeder dritte Beschäftigte der Industrie arbeitet in Schichten. Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin habe gerade in einer großen Studie nachgewiesen, wie gesundheitlich belastend diese Tätigkeit sei. Die Jugend wiederum will in der Tarifrunde auf freie Tage zur Prüfungsvorbereitung dringen.

Keine große Auseinandersetzung im Osten

Auch die Arbeitgeber wünschen sich mehr Flexibilität: etwa bei der täglichen Höchstarbeitszeit von zehn Stunden oder den elfstündigen Ruhephasen. Hofmann wehrt noch ab: Er sehe „keinen evaluierten, verifizierten Bedarf“, der der IG Metall wirksam entgegengehalten werde. Vielmehr werde die 35-Stunden-Woche in der Metallindustrie massiv verdichtet und überzogen, ohne dass die Gewerkschaft dies wirksam verhindern kann: im Durchschnitt um knapp 30 Prozent.

Ginge es nach der Stimmung in Mannheim, stünde zudem in Ostdeutschland der Großkonflikt an: die Angleichung der noch immer geltenden 38-Stunden-Woche auf 35 Stunden. Da hat sich enormer Unmut in den betroffenen Belegschaften angestaut. All die Befürworter, nicht nur aus dem Osten, erhalten stürmischen Beifall. Hofmann will da „Schritte nach vorne machen“. Eine Auseinandersetzung im Flächentarif sieht er nicht. „Das Interesse daran ist im Westen naturgemäß kleiner“, sagt er am Rande des Kongresses, geht aber in seiner Rede nur mit wenigen Worten darauf ein. „Diese Auseinandersetzung wird an den Montagelinien bei VW in Zwickau, in der Lackiererei von Porsche und im Rohbau von BMW in Leipzig entschieden – nicht auf Konferenzen“, versucht er die Dynamik zu dämpfen. 2003 erlitt die IG Metall mit Schiffbruch – auch dies war eine prägende Erfahrung.

Neues Arbeitskampfkonzept bringt 24-Stunden-Streiks

Dass es vermutlich nicht ohne Arbeitsniederlegungen Anfang nächsten Jahres abgeht, hängt auch mit dem neuen Arbeitskampfkonzept zusammen. „2016 haben wir eine Feuerwehrübung gemacht“, erinnert Hofmann an die Testläufe vor einem Jahr. „2018 könnte es ernst werden.“ Dann wird es wohl in einer Reihe von Betrieben zu 24-Stunden-Streiks kommen. „Das bedeutet eine hohe Verantwortung bei der Auswahl der Betriebe.“