Die landwirtschaftliche Revolution breitete sich vor etwa 8000 Jahren von Südosten her über ganz Europa aus. Bauern und Jäger mischten sich dabei offenbar selten.
Zu der Frage, wie die frühen Menschen in Europa sesshaft wurden, gibt es viele Theorien. Eine besagt, dass die Jäger und Sammler nach und nach sesshaft wurden. Eine andere, dass die Viehzüchter und Ackerbauern die Jäger verdrängten. Nun haben die schwedischen Forscher Pontus Skoglund und Mattias Jacobsson von der Universität Uppsala im Wissenschaftsmagazin Science neue Ergebnisse zu diesem Prozess vorgestellt, der auch Neolithisierung genannt wird.
Skoglund und Jacobsson schließen aus der Analyse der Überreste in einem Megalith-Ganggrab in der schwedischen Provinz Västergötland, dass Jäger in das Bauernvolk einheirateten – wenn auch nicht oft. Umgekehrt scheint es fast nie dazu gekommen zu sein, dass Bauern sich zu den Jägergemeinschaften gesellten: Im Erbgut von sechs Frauen, Männern und Kindern eines Jägervolks, das vor knapp 5000 Jahren auf der Ostsee-Insel Gotland lebte, fanden die Forscher jedenfalls keine Hinweise darauf.
Die Jäger waren vor den Samen da
Die Jäger scheinen also ziemlich isoliert auf ihrer Inseln gelebt haben. Ihr Erbgut ähnelt sich jedenfalls sehr stark. Und es passt zu keinem anderen Volk, das heute in Europa lebt. Auch nicht zu den Samen, deren Nachfahren heute noch immer mit ihren Rentier-Herden durch den Norden Skandinaviens ziehen. Das deutet daraufhin, dass die Jäger und Sammler längst verschwunden waren, als die Samen ankamen.
Ganz anders verlief dagegen die Geschichte der Bauern. Das bisher nur relativ grob untersuchte 5000 Jahre alte Erbgut der vier Menschen aus Västergötland ähnelt jedenfalls dem der heutigen Bewohner weiter im Süden Europas. Und passt damit gut zu dem Bild, das sich Spezialisten wie Joachim Burger von der Universität Mainz von der Ausbreitung der Landwirtschaft in Europa machen.
Die Wiege des Ackerbaus liegt im Südosten
Burger glaubt, das sie aus dem Südosten des Kontinents kam: Ungefähr dort, wo heute Griechenland und die europäischen Regionen der Türkei, Bulgariens und Rumäniens liegen, lebten vor rund 8500 Jahren die ersten Bauern Europas. Diese Menschen hatten eine Idee übernommen, die damals revolutionär gewesen sein muss: Statt Früchte, Wurzeln und Samen zu sammeln, Wild zu jagen und Aas zu suchen, lernten die Menschen, Pflanzen anzubauen und halbwilde Tierherden zu halten. Die bisher umherstreifenden Nomaden bauten erste Häuser und wurden sesshaft. Da sich diese Bauern mit Getreide und Milch energiereicher versorgen konnten als die Jäger und Sammler, begann die Bevölkerung kräftig zu wachsen. Bald reichte das Land nicht mehr, die Steinzeit-Bauern legten ihre Felder in benachbarten Regionen an.
Vor ungefähr 8000 Jahren begannen diese Bauern, aus dem Südosten Europas nach Norden zu wandern. „Vor 7500 Jahren tauchen dann die ersten Bauern in Mitteleuropa auf“, berichtet Joachim Burger. Aus bisher nicht bekannten Gründen kam die Steinzeit-Revolution in den Mittelgebirgen ins Stocken: Erst 1500 Jahre später kamen die ersten Bauern in der norddeutschen Tiefebene und bald danach auch in Skandinavien an.
Eine Zeitlang lebten sie noch nebeneinander
Der Mainzer Forscher deckt einen Teil dieser alten Geschichte der Landwirtschaft auf, wenn er das Erbgut der Menschen und Tiere aus dieser Zeit analysiert. Auf ihren Feldern bauten diese Menschen die uralten Weizenarten Einkorn und Emmer, aber auch Erbsen und Linsen an. Damit füllten sie vermutlich nicht nur die eigenen Bäuche, sondern fütterten ab und zu auch ihre Rinder und Schweine, Schafe und Ziegen. Die ersten Bauern im heutigen Österreich, in Schwaben oder dem Sauerland lebten in festen Häusern, die etwa sieben Meter breit und um die zwanzig Meter lang waren.
Als diese Steinzeit-Bauern ihre Äcker und Weiden in den Mittelgebirgen Europas anlegten, stießen sie dort anscheinend sehr selten auf Jäger und Sammler. Jedenfalls finden Archäologen in den südlichen Gebieten Mitteleuropas kaum Spuren dieser Ureinwohner Europas.
In einer Höhle Funde von drei verschiedenen Gruppen
Vereinzelte Gruppen der Ureinwohner aber scheinen noch mindestens zwei Jahrtausende lang als Jäger und Sammler zwischen den Siedlungen der Steinzeitbauern gelebt zu haben. Das schließen Ruth Bollongino und Joachim Burger von der Mainzer Universität gemeinsam mit ihren Kollegen aus den Funden in der Blätterhöhle bei der Stadt Hagen am Nordrand der Sauerland-Mittelgebirgsregion. Sie teilen die Funde aus der Blätterhöhle in drei Gruppen ein.
Erwartungsgemäß wurden dort in der Zeit vor etwa 10 600 bis ungefähr 11 200 Jahren typische Jäger und Sammler der mittleren Steinzeit bestattet. Das zeigt nicht nur das aus den Knochen isolierte Erbgut, sondern auch eine Analyse von Varianten der Elemente Kohlenstoff und Stickstoff, die Physiker als Isotope bezeichnen: In den Knochen der Menschen stecken relativ wenige Kohlenstoff-13- und Stickstoff-15-Isotope. Das aber ist typisch für Menschen, die häufig Wild essen.
Vor rund 5000 bis etwa 6000 Jahren wurden in der Blätterhöhle aber auch noch zwei andere Gruppen von Menschen bestattet: Das Erbgut der einen weist sie als mögliche Nachkommen der Jäger und Sammler aus. Bei der anderen Gruppe waren die Stickstoff-15-Isotope leicht erhöht. „Das deutet auf Bauern hin, die relativ häufig auf der Weide stehende Pflanzenfresser wie Kühe oder Ziegen auf dem Speiseplan hatten“, erklärt Joachim Burger.
Das Erbgut dieser Menschen aber spricht nicht nur für eine Verwandtschaft mit den mindestens 1500 Jahre früher aus Südosteuropa angekommenen Bauern, sondern zeigt auch Spuren der einheimischen Jäger. Anscheinend war in der Gegend um die Blätterhöhle etwas Ähnliches geschehen wie im Süden Skandinaviens: In der Nähe der Bauern lebten immer noch Nomaden, die sich zunehmend auf Beute aus Bächen, Flüssen und Seen spezialisierten. Ab und zu heirateten Frauen dieser Fischer in die Bauernvölker ein, während sich für Mischehen in die umgekehrte Richtung bisher keine Spuren finden. Sesshaft zu werden war offenbar attraktiv.