Mit der Landwirtschaft wurde vor mehr als 10.000 Jahren auch die Viehwirtschaft erfunden – und zwar nicht nur am östlichen Mittelmeer, sondern auch im Gebiet des heutigen Chinas. Darauf deutet der Unterkiefer eines uralten Auerochsen hin.

Stuttgart - Heute kann natürlich niemand mehr sagen, wie der Auerochse vor rund 10 000 Jahren zu den frühen Bauern im heutigen Norden Chinas kam. Offensichtlich aber scheint das Tier lange in menschlicher Obhut gelebt zu haben. Das schließen Hucai Zhang von der Yunnan Normal University im chinesischen Kunming und der Evolutionsbiologe Michael Hofreiter von der Universität Potsdam in der Zeitschrift „Nature Communications“ aus einem Unterkiefer des Tieres. Damit verdichten sich die Hinweise, dass sich die Landwirtschaft mit Nutzpflanzen und Nutztieren in Eurasien in zwei Regionen unabhängig voneinander entwickelt hat.

 

Eine davon ist der Fruchtbare Halbmond: Diese Steppenlandschaft zog sich vom heutigen Israel, dem Libanon und Syrien über den Süden der Türkei bis zum modernen Irak und dem Westen des Iran. Hier lernten die Menschen vor 10 000 bis 11 000 Jahren, Getreide anzubauen. Ungefähr zur gleichen Zeit begannen sie auch Schafe, Ziegen und Auerochsen zu halten, aus denen die heutigen Rinder wurden. Die weit umherstreifenden Gruppen der Jäger und Sammler wandelten sich langsam zu sesshaften Ackerbauern und Viehhirten.

Die Menschen im Fruchtbaren Halbmond aber waren nicht allein bei diesem Übergang. Im Süden des heutigen China begannen die Menschen ungefähr zur gleichen Zeit, Reis zu pflanzen. Im Nordosten der gleichen Region kam damals die Idee auf, Hirse anzubauen. Und im heutigen Nordosten Chinas lebten Hunde und Schweine bei den Menschen.

Die Gen-Analyse zeigt: es ist eine bisher unbekannte Art

Vor einigen Jahren tauchte in der gleichen Gegend der komplette Unterkiefer eines Rindes auf. „Das war ein Glücksfall, meist findet man nur eine Hälfte eines Unterkiefers“, erklärt Michael Hofreiter, der bis zum Sommer 2013 noch an der Universität im englischen York forschte. Mit diesen Fossilien kam Hucai Zhang dann zu dem in England forschenden Deutschen, der als Experte für altes Erbgut gilt. Und Michael Hofreiter erkannte rasch, dass dieser Knochen Informationen zur Entwicklung der Landwirtschaft liefern könnte. „Rinder waren wegen ihrer Vielseitigkeit damals wie heute wohl die wichtigsten Tiere für die Bauern“, erklärt der Evolutionsbiologe.

Rinder fressen zum Beispiel Gras, das für Menschen unverdaulich ist. Sie verwerten also eine sonst für Menschen kaum nutzbare Ressource und liefern im Gegenzug einiges an praktischen Leistungen. So unterstützen Rinder die Arbeit der Bauern, wenn sie schwere Wagen mit der Ernte oder den Pflug zum Ackern ziehen. Milch und Fleisch waren und sind eine willkommene Ergänzung der Speisekarte. Und die Haut von Rindern kann man zu Leder gerben, aus dem man widerstandsfähige Kleider schneidern kann.

Aber hatten die Bauern des damaligen China das Rind, dessen Unterkiefer Michael Hofreiter untersuchen sollte, wirklich in Gefangenschaft gehalten? Abnutzungsspuren an den Mahlzähnen des Unterkiefers deuten darauf hin. „Die sehen nämlich genauso aus wie bei heutigen Rindern, die auf Ästen herumkauen“, erklärt Hofreiter. In der Natur tun das Rinder praktisch nie. In Gefangenschaft aber kommt dieses Verhalten öfter vor, meist wenn Rinder zu wenig Bewegungsfreiheit haben und das Futter knapp ist. Das wird bei den längst ausgestorbenen Auerochsen vermutlich genauso gewesen sein. Und da Analysen zeigen, dass die Unterkiefer 10 660 Jahre alt sind, müssen die Menschen damals im Norden Chinas Auerochsen gehalten haben. „Wenn Jäger zum Beispiel eine Kuh erlegen und deren kleines Kalb dann im Camp aufziehen, gewöhnen sich die Tiere gut an Menschen“, erklärt Michael Hofreiter.

„Eine erste Analyse des Erbguts in Mitochondrien zeigte uns zunächst, dass der Unterkiefer zu einer Linie gehörte, die wir bei heutigen Rindern bisher noch nie gefunden hatten“, berichtet der Forscher. Als Mitochondrien bezeichnen Zellbiologen winzige Organe in den Zellen, die für die Energieversorgung zuständig sind und deren Erbgut klein und übersichtlich ist. Eine genauere Analyse des Mitochondrien-Erbguts bestätigte das Ergebnis: Der Unterkiefer gehört zu einer bisher nicht bekannten Linie der Rinder. „Möglicherweise lebte dort eine eigene Auerochsen-Linie, deren Erbgut noch nicht untersucht ist“, überlegt Hofreiter. Ob diese Linie völlig verschwunden ist, wollen die Forscher jetzt mit weiteren Analysen des Erbguts herausfinden.