Moderne Menschen wanderten offenbar viel früher als bisher angenommen aus Afrika aus – und hinterließen dabei Spuren im Erbgut der Neandertaler.

Stuttgart - Wanderfreudig und intimen Begegnungen mit Fremden zumindest nicht abgeneigt – so könnten die Forscher um Svante Pääbo vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie (EVA) in Leipzig ihre Erbgut-Analysen zur Frühgeschichte der Menschheit und ihrer nächsten Verwandten zusammenfassen. Als die modernen Menschen ihre Wiege, die vor 200 000 Jahren in Afrika stand, vor etwa 65 000 Jahren verließen, trafen sie irgendwo in Eurasien Neandertaler. Bei solchen Begegnungen wurde bisweilen auch mehr als ein bloßes Hallo gewechselt. Jedenfalls fanden EVA-Forscher wenige Prozent Neandertaler-Erbgut in allen Menschengruppen außerhalb Afrikas. Auch vom Erbgut der ausgestorbenen Menschenlinie der Denisovaner, die bisher nur im südsibirischen Altai-Gebirge entdeckt wurden, finden sich Spuren im Genom der Ureinwohner Australiens und einiger Pazifik-Inseln. Neandertaler und Denisovaner begegneten sich ebenfalls näher, wie Analysen ihrer DNA zeigen

 

Das Interesse an den „Anderen“ war damals also vorhanden. Wohl auch deshalb, weil die Auswahl an Partnern nicht gerade üppig ausfiel, da keine dieser Linien sehr häufig war. Sehr wählerisch konnten moderne Menschen, Neandertaler und Denisovaner daher nicht sein. Als die EVA-Forscher Martin Kuhlwilm und Sergi Castellano daher gemeinsam mit weiteren Kollegen wie Ilan Gronau vom Herzliya Interdisciplinary Center in Israel das Erbgut eines Neandertalers aus dem Altai-Gebirge unter die Lupe nahmen, kamen die Spuren des modernen Menschen dort nicht völlig unerwartet, über die sie jetzt im Fachjournal „Nature“ berichten.

Rendezvous mit sibirischen Neandertalern

„Offensichtlich ging der Einfluss also nicht nur von den nahe verwandten Neandertalern und Denisovanern zum modernen Menschen, sondern auch umgekehrt“, fasst Sergi Castellano dieses erste Ergebnis zusammen. Allerdings gilt das bisher nur für die Neandertaler in Sibirien: Weder im Erbgut der Denisovaner aus der gleichen Höhle im Altai-Gebirge noch bei Neandertalern aus dem heutigen Kroatien und Spanien fanden sich Indizien für intime Beziehungen ihrer Vorfahren mit modernen Menschen. Wobei die Forscher bei den europäischen Neandertalern mit dem Chromosom 21 bisher nur einen kleinen Teil des Erbguts analysiert haben.

Eine große Überraschung erlebten die Forscher, als sie schätzten, in welcher Zeit die modernen Menschen und die Neandertaler in Asien denn zur Sache gekommen waren. „Das könnte vor etwa 100 000 Jahren gewesen sein“, berichtet Sergi Castellano. Das aber passt so gar nicht zu den bisher gesammelten Indizien, nach denen einerseits die modernen Menschen Afrika erst von 65 000 Jahren verlassen haben und andererseits die Neandertaler den schwarzen Kontinent nie erreicht haben. Wo also hatten die Rendezvous stattgefunden, deren Spuren die EVA-Forscher im Neandertaler-Erbgut aus Asien identifiziert haben?

Der Mensch hat Afrika früher verlassen als angenommen

Zumindest zwei Möglichkeiten drängen sich regelrecht auf. Zum einen fanden Forscher schon in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts im Karmelgebirge im heutigen Israel Überreste von modernen Menschen und von Neandertalern. Das Alter dieser Funde ist bisher nicht genau bekannt, könnte aber bei 120 000 Jahren liegen und ist auf alle Fälle älter als die Wanderung der modernen Menschen vor 65 000 Jahren nach Eurasien, von der alle Menschen außerhalb Afrikas abstammen. Die andere Spur führt in den Südosten der Arabischen Halbinsel. Dort fanden Hans-Peter Uerpmann von der Tübinger Universität und seine Kollegen im Jahr 2011 Faustkeile, die Menschen vor rund 125 000 Jahren zurückgelassen hatten. In dieser Zeit war die Wüste dort einer ähnlichen Savannenlandschaft gewichen, wie die modernen Menschen sie aus dem Osten Afrikas kannten. Sowohl für die Neandertaler Eurasiens als auch für die modernen Menschen aus Afrika lag der Süden der Arabischen Halbinsel in Reichweite.

In beiden Fällen müssten die modernen Menschen ihre afrikanische Wiege aber deutlich früher verlassen haben, als die Forscher es bisher annahmen. Obendrein weisen die Fragmente der DNA der modernen Menschen im Neandertaler-Erbgut auch darauf hin, dass sich die Wege dieser Gruppe bereits seit beinahe 200 000 Jahren vom Rest der Menschheit getrennt haben sollten. Irgendwo außerhalb Afrikas sind diese Menschen dann auf asiatische Neandertaler gestoßen, hinterließen ihre Spuren in deren Erbgut – und starben irgendwann danach aus. Im Erbgut der heute lebenden Menschen finden sich keine Spuren von diesen frühen Auswanderern mehr. Nur in den Neandertalern lebten ein paar Erbinformationen weiter, bis sich diese Schwestergruppe der modernen Menschen vor beinahe 40 000 Jahren ebenfalls von der Bühne des Lebens verabschiedete.