Nach 25 Jahren möchten die Tübinger Archäologen die Lizenz zum Graben in Troja an ihre amerikanischen Partner abgeben – auch weil die Unterstützung aus der Wirtschaft fehlt.

Tübingen - Seit 1988 lag die Leitung der Grabungen in Troja (Türkei) in den Händen der Tübinger Professoren Manfred Korfmann und Ernst Pernicka. Von 2013 an wird sich das ändern. „William Aylward, ein Professor für Klassische Archäologie an der Universität Wisconsin, soll die Grabungslizenz erhalten“, erklärt Pernicka gegenüber der Stuttgarter Zeitung. In diesem Sommer wird der Tübinger Leiter des Instituts für Ur- und Frühgeschichte letztmals in Troja Ausgrabungen und vor allem Auswertungen von bisherigen Funden überwachen.

 

Die Arbeit an der Abschlussarbeit

Ernst Pernicka übernahm 2006 das wissenschaftliche Vermächtnis des 2005 überraschend im Alter von 63 Jahren verstorbenen Manfred Korfmann. „Ich wollte das Lebenswerk meines Freundes und Kollegen Korfmann zu Ende führen“, hebt er hervor. Ganz in diesem Sinne werden bis 2015 sechs Bände über die Grabungen und Forschungen in Troja publiziert. Der erste Band mit 600 Seiten zum Thema „Forschungsgeschichte, Methoden und Landschaft“ soll noch 2012 in Druck gehen. In diesen Werken wird umfassend nicht nur beschrieben, was alles ausgegraben wurde, sondern mit entsprechenden Interpretationen versehen. Bisherige Einschätzungen waren von Korfmann häufig als vorläufig bezeichnet worden. „Er hat sich wohl vorgestellt, dass er das Puzzle irgendwann zusammensetzt“, meint sein Nachfolger Pernicka, „für einen Wissenschaftler sind es aber viel zu viele Puzzleteile geworden“. Die nun im Entstehen begriffene Abschlussarbeit zu Troja beleuchtet nicht nur dieses „Denkmal der Feldarchäologie“, sondern soll auch als Referenz dienen für andere Forschungen zum Beispiel auf dem Gebiet der Keramik.

Auf den Spuren der Griechen und Römer

Der Schwerpunkt der Ausgrabungen wird in Zukunft weniger auf dem bronzezeitlichen Troja liegen, sondern im Bereich der Klassischen Archäologie. Bei griechischen und römischen Epochen waren schon bisher die amerikanischen Partner der Tübinger Frühgeschichtler zuständig. Insofern macht es laut Pernicka durchaus Sinn, die Leitung der Grabungen abzugeben. Die Wissenschaftler erhoffen sich spektakuläre und in einem Troja-Museum vor Ort in der Türkei ausstellbare Funde. So geht es um die Ausgrabung der bisher von Schutt überdeckten Agora, dem antiken Fest-, Versammlungs- und Handelsplatz. Weil dort keine Häuser standen, könnten sich unter der Oberfläche der Agora ein direkter Zugang zu Funden früherer Epochen ergeben. Dann wären wiederum Tübinger Forscher gefragt.

Die Unterstützung bleibt aus

Abseits dieser wissenschaftlichen Gründe für den Wechsel der Führungsrolle deutet Pernicka jedoch an, dass auch das Geld eine entscheidende Rolle spielte. Die Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) lief Ende 2009 aus. Bis 2003 hatte Daimler das Projekt 15 Jahre lang unterstützt. Pernickas Bitten um Hilfe bei zahlreichen Unternehmen im Land, die teilweise auch in der Türkei investieren, wurden jedoch allesamt abschlägig beschieden. „Und auch die Mittel der Troja-Stiftung sind erschöpft“, sagt Pernicka.

Das Tübinger Team konzentrierte sich in den vergangenen Jahren auf die Ausdehnung der sogenannten Unterstadt. Der Unterstadtgraben aus dem 13. Jahrhundert vor Christus ist weitgehend erfasst und auf einer Länge von 950 Metern nachgewiesen. Der in Wien geborene Pernicka belegt damit die von Korfmann vertretene und lange umstrittene These nach einer deutlich größeren Ausdehnung Trojas in jener Epoche als bis dahin gedacht. Einige Tausend Einwohner dürften Troja zu einem Handelsplatz für eine größere Region gemacht haben. Weil 20 Tonnen an Überresten von Purpurschnecken gefunden wurden, geht Pernicka davon aus, dass die Textilverarbeitung eine bedeutende Rolle gespielt hat. Pferdeknochen deuten auf eine Edelviehzucht hin, denn vor 3000 Jahren wurden Pferde nur für Streitwagen eingesetzt. Troja hatte mit 35 Hektar eine Größe, die mit der von Knossos (Kreta) vergleichbar ist. Zu gewinnen seien noch viele Erkenntnisse, da ist sich Pernicka sicher. Zwar sei die Burg zu 80 Prozent ausgegraben, die Unterstadt aber nur zu drei Prozent.

Für Ernst Pernicka soll 2015 Schluss sein

Pernicka ist Chemiker und wurde auf Korfmanns Wunsch 2004 Professor für Archäometrie in Tübingen, er leitet zudem das Curt-Engelhorn-Zentrum für Archäometrie in Mannheim. „Die Nachfolge Korfmanns habe ich aus Pflichtbewusstsein angetreten“, schaut Pernicka zurück, „dann im Laufe der Zeit Geschmack daran gefunden.“ Doch angesichts der fehlenden Unterstützung zeige seine Begeisterungskurve seit einiger Zeit bergab. Wenn die sechs Troja-Bände 2015 veröffentlicht sein werden, wird Pernicka mit 65 Jahren in Tübingen aufhören. Er könnte seine Professur zwar um drei Jahre verlängern. „Aber warum sollte ich“, sagt der Wissenschaftler mit einem hintergründigen Lächeln.