In Oued Beht im Norden Marokkos haben Archäologen die Überreste einer bislang unbekannten jungsteinzeitlichen Kultur entdeckt. Von 3400 bis 2900 v. Chr. erschuf diese den frühesten und größten landwirtschaftlichen Komplex, der jemals jenseits des Nils gefunden wurde.

Wochenend-Magazin: Markus Brauer (mb)

Afrika ist die Wiege der Menschheit. Die „Out-of-Africa“-Hypothese, wonach alle Frühmenschen von der südlichen Halbkugel der Erde stammen, ist längst Allgemeingut der Paläoanthropologie – also jener Wissenschaft, die sich mit den alten, stammesgeschichtlich frühen und ausgestorbenen Arten der Hominini beschäftigt.

 

Afrikas Besiedlungsgeschichte

Vor mehr als zwei Millionen Jahren verließen die frühen Vorfahren des Homo sapiens – des modernen Menschen, von dem wir abstammen – Afrika und wanderten bis nach Asien und Europa. Dort wurden sie vor rund 1,5 Millionen Jahren sesshaft.

Unzählige Millenien später wurde der Nordwesten des afrikanischen Kontinents besiedelt. Im Norden des heutigen Marokkos lebten schon vor rund 300 000 Jahren einige der frühesten Vertreter des Homo sapiens. Sehr viel später in der Antike wurde der Maghreb-Region Herrschaftsgebiet der Karthager und Vandalen und später der islamischen Kultur. Doch was sich in der Region zwischen 4000 bis 1000 v. Chr. abspielte, war bisher kaum bekannt.

Steinzeitliche Siedlung Oued Beht in Marokko

Archäologen um Cyprian Broodbank von der University of Cambridge in Großbritannien haben jetzt im Norden Marokkos zum ersten Mal Überreste von Siedlungen aus diesem Zeitabschnitt gefunden.

Lage der Steinzeit-Siedlung Oued Beht im Norden Marokkos. Foto: © Broodbank et al./ Antiquity, 2024/CC-by 4.0

In Oued Beht, nordöstlich der Hauptstadt Rabat, liegt ein fast 20 Hektar großes Areal mit jungsteinzeitlichen Artefakten. Dies zeigt, dass das Gebiet von 3400 bis 2900 v. Chr. bewohnt und landwirtschaftlich genutzt wurde.

Ihre Studie ist im Fachmagazin „Antiquity“ erschienen.

Frühester und größter Komplex westlich des Nils

Die Forscher vergleichen die Anlage von ihrer Größe her mit dem frühbronzezeitlichen Troja. Oued Beht ist der früheste und größte landwirtschaftliche Komplex, der jemals westlich des Nils entdeckt worden ist wurde.

„Seit mehr als dreißig Jahren bin ich davon überzeugt, dass der Mittelmeerarchäologie im spätprähistorischen Nordafrika etwas Grundlegendes entgangen ist“, erklärt Broodbank. „Jetzt wissen wir endlich, dass das richtig war, und wir können anfangen, in neuen Bahnen zu denken.“

Die Archäologen fanden unter anderem verschiedene Steinwerkzeuge. Foto: © Broodbank et al./ Antiquity, 2024/CC-by 4.0

Darunter auch Schaber, Keile und steinerne Spitzen. Foto: © Broodbank et al./Antiquity, 2024/CC-by 4.0

19 626 Relikte ausgegraben

Die Menge der Fundstücke ist gewaltig: Insgesamt gruben die Spatenforscher 19 626 Relikte aus. Darunter waren vor allem Keramikfragmente und Steinsplitter, aber auch 50 Äxte. Dass auf dem Gelände auch Bauern die Äcker bestellten, zeigen erhaltene Mahlwerkzeuge und charakteristische Gruben, die den Einwohnern einst als Lagersilos dienten.

In diesen Silos fanden sich Überreste von Gerste, Weizen, Erbsen, Oliven und Pistazien. Die Siedler von Oued Beht züchteten zudem Hausziegen, Schafe, Rinder und Schweine.

Handel zwischen den Kontinenten vor 5000 Jahren

Dass sich ähnliche siloartige Lagergruben, Sichelelemente aus Feuerstein und mit rotbraunem Schlicker versehene Töpferwaren auch in Südspanien fanden, die aus der derselben Zeit stammen, deutet daraufhin, dass es einen Austausch zwischen dem europäischen und afrikanischem Kontinenten gab.

Vor rund 5000 Jahren lag Oued Beht noch deutlich näher am Meer als heute mit 100 Kilometern. Überfahrten mit dem Boot und ein kultureller Austausch zwischen den Völkern seien möglich gewesen, betonen die Archäologen „Es ist von entscheidender Bedeutung, Oued Beht in einem breiteren, sich gemeinsam entwickelnden und verbindenden Rahmen zu betrachten, der Völker auf beiden Seiten der mediterran-atlantischen Pforte während des späteren vierten und dritten Jahrtausends v. Chr. umfasst.“

Info: Epochen der Steinzeit

Steinzeit
Die früheste Epoche der Menschheitsgeschichte ist durch den Gebrauch von Steinwerkzeugen gekennzeichnet, die bereits von frühen Vertretern der Gattung „Homo“, dem „Homo habilis“ und „Homo erectus“ hergestellt wurden. Die Steinzeit begann vor 2,6 Millionen Jahren in Afrika und in Europa vor 1,1 Millionen Jahren und endete vor 2200 v. Chr.. Die Steinzeit wird in drei große Perioden unterteilt:

Altsteinzeit
Die Altsteinzeit (Paläolithikum) beginnt mit dem Altpaläolithikum (vor 2,6 Millionen bis 300 000 Jahren), gefolgt vom Mittelpaläolithikum (vor 300 000 bis 40 000 Jahren) und endet mit dem Jungpaläolithikum (vor 40 000 bis 10 000 Jahren). Die Menschen waren Jäger und Sammler, zusammengesetzte Jagdwaffen aus Holz und Stein und das Feuer waren ihnen bekannt.

Mittel- und Jungsteinzeit
Mit dem Ende der Eiszeit beginnt in Europa die Mittelsteinzeit (Mesolithikum, 9600-4500 v. Chr.). Der Übergang von der Jäger- und Sammlerkultur zu Ackerbau und Viehzucht markiert den Beginn der Jungsteinzeit (Neolithikum, deshalb auch Neolithische Revolution genannt). In Mitteleuropa beginnt sie um 5600 bis 4900 v. Chr. und endet um rund 2150 v. Chr..

Kupfer- und Bronzezeit
Das Ende der Steinzeit wird eingeläutet durch den in Ägypten, Südosteuropa und Vorderasien aufkommenden Kupferbergbau und die ersten Techniken der Metallurgie (sogenannte Kupferzeit). Der bekannteste Mensch der Kupferzeit ist der als Kältemumie erhaltene Ötzi (um 3300 v. Chr.). Mit der Bronzezeit, in der Metallgegenstände vornehmlich aus Bronze (einer Legierung von Kupfer und Zinn) hergestellt werden, endet endgültig die Steinzeit.