Vor 9000 Jahren errichteten Indianer einen Engpass, um Karibus leichter erlegen zu können. Sie waren damit ihrer Zeit weit voraus.

Stuttgart - Vielleicht hatten die Indianer ihre Jagdmethode einfach den Bären abgeschaut: Die stellen sich im Herbst an die Flüsse der Rocky Mountains, um dort jede Menge Lachs zu fangen und sich mit ihrer Beute ein gutes Speckpolster für den Winter anzufressen. Besonders gut klappt die Ernte an engen Stromschnellen, an denen die Fische den Säugetieren kaum ausweichen können. Einen ähnlichen Engpass haben die Jäger Nordamerikas bereits vor 9000 Jahren für Karibus genutzt: Damals trennte eine Landbrücke den Huronsee an der heutigen Grenze zwischen Kanada und den USA in zwei Hälften. Im Frühjahr und im Herbst wanderten große Herden der in Nordamerika Karibu genannten Rentiere über diese Landzunge. Um die Jagd zu erleichtern, bauten die Indianer an einer ohnehin schmalen Stelle einen künstlichen Engpass, berichten John O’Shea von der University of Michigan im US-amerikanischen Ann Arbor und seine Kollegen in der Fachzeitschrift „PNAS“.

 

Vor rund zehntausend Jahren lag der Wasserspiegel des Huronsees, der immerhin der drittgrößte See auf der Erde ist, allerdings bis zu hundert Meter niedriger als heute. Damals zog sich von der heutigen Gemeinde Alpena im US-Bundesstaat Michigan ein Hügelkamm nach Südosten zum heutigen Dorf Amberley in der kanadischen Provinz Ontario, der die beiden Hälften des Huronsees voneinander trennte. Vor rund 8000 Jahren wurde diese Landbrücke relativ rasch überschwemmt. Das schließen die Forscher aus den Sporen von Moos, die nach dieser Zeit nicht mehr dort abgelagert wurden. Heute liegt das Untersuchungsgebiet nicht nur 37 Meter unter Wasser, sondern auch noch 56 Kilometer vom nächsten Ufer entfernt.

Was die Unterwasser-Archäologie zu Tage fördert

Ihr Forschungsobjekt können John O’Shea und seine Kollegen daher nur aus der Entfernung mit einem Sonargerät untersuchen. Dieses sendet Schallimpulse aus und errechnet die Strukturen am Grund des Sees mit Hilfe der zurückgeworfenen Echos. Ferngesteuerte unbemannte U-Boote liefern Video-Aufnahmen. Und gelegentlich zwängen sich die Forscher auch in Neopren-Anzüge, um besonders interessant scheinende Gebiete der einstigen Hügelkette durch die Taucherbrille selbst in Augenschein zu nehmen. Bei dieser Unterwasserarchäologie können sie zudem Bodenproben mitnehmen, die sie dann im Labor genauer untersuchen.

Das klingt zwar relativ aufwendig, bietet aber einen Riesenvorteil. Unter Wasser bleiben viele Jahrtausende alte Hinterlassenschaften von Jägern viel besser erhalten als an Land, wo sie rasch von der Erosion zerstört oder von der Vegetation überwuchert und bald unter der Erde begraben werden. In den Tiefen des Huronsees hatte sich dagegen nur eine sechs Zentimeter dicke Sandschicht abgelagert, in der die Forscher bei ihren Stichproben elf Feuersteinsplitter fanden. Schlagspuren verrieten, dass die Steinzeitjäger dieses Material bearbeitet hatten. Sie wollten während des Wartens auf die Karibus wohl ihre Jagdwaffen reparieren, vermuten die Wissenschaftler.

So sind die ehemaligen Karibus gewandert

Das Ganze geschah vor rund 9020 Jahren, verrät die Holzkohle, deren Alter mit der Radiokarbonmethode bestimmt wurde. Vermutlich hatten die Jäger auf einem Holzfeuer damals ihre Beute gegrillt. Weitere Analysen an anderen Proben zeigen, dass gut hundert Jahre später Lärchen und Fichten auf einer Landenge wuchsen, die allenfalls zwei Kilometer breit war. An vielen Stellen waren feuchte Moore entstanden, kleine Seen funkelten in der Sonne, Bäche rauschten zum nahen Ufer.

Die große Überraschung aber fördert das Sonar zu Tage: auf der ehemaligen Landbrücke zeichnen die Echolote heute zwei Steinreihen auf, die einen dreißig Meter langen und gerade einmal acht Meter breiten Engpass einrahmen. Modellieren die Forscher mit Computersimulationen die damaligen Wanderungen der Karibus, meldet der Rechner genau diese Stelle als einen der beiden Punkte, die eine Rentierherde zweimal im Jahr passieren musste: auf dem Weg zu ihren Sommerweiden im Norden und genauso auf dem Rückweg in ihre Wintergebiete im Süden.

Fleischerei der Steinzeit

Offensichtlich wussten die Steinzeitjäger genau, dass die Tiere auf ihren Wanderungen gern an geraden Linien entlangziehen. Daher wuchteten sie Steinblöcke wie eine Art Leitplanke hintereinander und lenkten die Karibus so in einen Engpass. An dessen Ende begrenzten eine etwa ein bis zwei Meter höhere Steinfläche und eine sumpfige Mulde einen ungefähr hundert Meter langen und 28 Meter breiten Platz – der Engpass führt also in eine Sackgasse. An der Seite dieser Struktur konnten die Jäger dann aus mehreren Hinterhalten, die sie ebenfalls aus großen Steinblöcken errichtet hatten, ihre Beute leicht erlegen. Die Jagd muss recht erfolgreich gewesen sein. Jedenfalls halten die Forscher eine rechteckige Steinstruktur gleich neben der Anlage für eine Steinzeitfleischerei, in der auch größere Beute verarbeitet werden konnte.