Eigentlich hatten die Archäologen Überreste von schlichten Holzhäusern erwartet, als sie im Frühjahr mit Grabungen auf dem Hallschlag begannen. Gefunden haben sie schließlich Mauerreste von luxuriösen Steinhäusern – ein Hinweis darauf, dass die römische Siedlung am Neckar bedeutender war als bisher angenommen.

Stuttgart - Die Bedeutung der römischen Ansiedlung am Neckar, dort, wo heute Bad Cannstatt liegt, war in der Zeit um 100 nach Christus vermutlich größer als bisher angenommen. Diesen Schluss zieht Andreas Thiel vom Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart aus jüngsten Funden auf dem Hallschlag. Nur wenige hundert Meter entfernt vom früheren Römerkastell entdeckten Archäologen in den vergangenen Wochen überraschend die Überreste von zwei massiven Steinhäusern. „Das ist ein Zeichen dafür, dass dort wohlhabende Leute lebten“, sagt die Archäologin und Grabungsleiterin Gaëlle Duranthon von der privaten Grabungsfirma ArchaeoBW. „Die hatten richtig Geld.“ Und das lässt die Experten vermuten, dass das römische Bad Cannstatt nicht nur ein schnöder Soldatenstandort mit einer Siedlung am Neckar war, sondern ein wichtiger Ort für den Handel in der Zeit um 100 bis 300 nach Christus.

 

Tiefgarage als Glücksfall

Seit Anfang Mai gehen Duranthon und ihre Mitarbeiter der diffizilen Arbeit nach. Möglich wurde dies, weil auf dem Areal Essener Straße/Düsseldorfer Straße/Auf der Steig die SWSG neue Mehrfamilienhäuser mit 128 Wohnungen bauen lässt. Zu dem Komplex gehört auch eine Tiefgarage, deren Bau sich im Nachhinein aus archäologischer Sicht als doppelter Glücksfall erweist. „Dadurch ist die Baugrube gut vier Meter tief. So weit nach unten kommen wir bei archäologischen Grabungen nur sehr selten“, sagt Thiel. Erst unter einer mehr als eineinhalb Meter dicken Lehmschicht, die aus angeschwemmten Erdreich vom heutigen Burgholzhof stammt, entdeckten die Experten dann die interessanten Spuren. „Die Tiefe und die guten Erhaltungsbedingungen“, so Thiel, hätten die Ausgrabungen so ertragreich gemacht.

Luxus statt Hinterhofareal

Denn mit solchen hochwertigen Funden hatten die Archäologen nicht gerechnet. Zwar weiß man, dass am mittleren Neckar um das Jahr 100 nach Christus erstmalig römische Truppen stationiert waren und sich dort wichtige Handelswege kreuzten. Rund 500 Soldaten waren im Römerkastell untergebracht. Es stand dort, wo Anfang des 20. Jahrhundertes die Reiterkaserne der württembergischen Armee erbaut wurde, deren Gebäude heute als Medien-, Stadtteil-, Gewerbe- und Veranstaltungszentrum genutzt werden.

Doch das Areal auf dem Hallschlag war so weit vom Zentrum der einstigen Siedlung entfernt, dass „hier kein wohlhabendes Viertel zu erwarten war“, so Thiel. Statt auf ein „Hinterhofareal“ mit Überresten von Holzbauten, Schuppen und Latrinen, stießen die Arbeiter aber in dem rund 3000 Quadratmeter großen Grabungsfeld schon früh auf etwa ein Meter starke Außenmauern. Sie waren Teil eines großen Steinbaus, wie er für ein gut ausgestattetes sogenanntes „Streifenhaus“ römischer Ansiedlungen nördlich der Alpen typisch war. Das vermutlich mehrstöckige Gebäude war mehr als acht Meter breit und könnte insgesamt rund 30 Meter lang gewesen sein.

Bei den Römern hat’s gebrannt

Gaëlle Duranthon ist über eine Metallleiter in die Baugrube hinabgestiegen. Sie zeigt die Steine, die die Außenmauern bildeten, und lässt schwarz gefärbtes Erdreich durch ihre Hände rieseln. „Wir haben eine ganze Schicht davon gefunden“, sagt die Französin, „das kommt von einem ausgedehnten Brand“. Einige Meter entfernt stehen weiße Zelte, darunter legen Mitarbeiter vorsichtig Erdreich frei. Auch hier stand vor mehr als 1900 Jahren ein vermutlich etwas kleinerer Steinbau, der eine Fußboden- und Wandheizung hatte und dessen Wände mehrfarbig verputzt waren. „Da wohnten reiche Leute“, sagt Duranthon, vermutlich handelte es sich um ein luxuriös ausgestattetes Wohnhaus.

Die Arbeiter fanden auch Münzen und Keramikgefäße, die mit Herkunftszeichen gestempelt waren, sodass sich Handelsbeziehungen nachweisen lassen. Auch Schmuck, Tierknochen, ein Mahlstein und eine Sichel zählen zu den Funden. Noch bis Ende des Monats arbeitet Gaëlle Duranthon weiter. Danach werden die Funde genauer untersucht und man hofft auf weitere Erkenntnisse über die Entwicklung und das Ende der antiken Siedlung auf dem Hallschlag im dritten Jahrhundert nach Christus.