Regio Desk: Achim Wörner (wö)

Warum entsteht nun ausgerechnet am Karlsplatz etwas Ordentliches?
Ob etwas Ordentliches entsteht, wird sich weisen. Das hoffe ich aber, und ich werde mein Bestmögliches dafür tun – auch, weil wir an dieser Stelle das Privileg haben, kein komplett neues Quartier aus dem Boden stampfen zu müssen. Der Bauplatz, den wir überplanen, ist umgeben von guten Orten und Gebäuden: vom Karlsplatz über die Markthalle bis zum Waisenhaus. Da ordnet sich der Komplex ein. Das Projekt hat sich ja etwas zäh entwickelt. Aber unter dem Strich hat sich die lange, gründliche Debatte und das damit verbundene Abspecken und Präzisieren des Konzepts doch gelohnt. Das Gesamtkonzept hat sich verbessert. Und Breuninger hat diese Entwicklung als Auftraggeber mitgetragen.

Sie haben einmal von spektakulären architektonischen Missgriffen in Stuttgart gesprochen, gerade was die Maßstäblichkeit angeht. Wie sehr hat es Sie getroffen, dass die Maßstäblichkeit Ihres ersten Entwurfes nicht sonderlich gut angekommen ist?
Getroffen? Nein,  . . . ja, ich habe mich zumindest etwas missverstanden gefühlt. Wenn in Stuttgart über Maßstäblichkeit geredet wird, dann wird dies rein quantitativ verstanden, also im Blick auf die Größe. Man redet von Maßstab, meint aber Masse. Völlig außer Acht gelassen wird dabei, wie die Masse gegebenenfalls qualitativ bearbeitet worden ist. Und da spielen dann beispielsweise die Dächer eine Rolle, . . .

. . . die Sie die fünfte Fassade nennen.
Diese Bezüge, diesen Blick von oben, von den Hängen herab, den wir für das Projekt am Karlsplatz, heute das Dorotheen-Quartier, angelegt haben, ist bis heute nicht kapiert worden. Die Stadt ist sehr fokussiert auf ihre viel zitierten Stadtbausteine. Ein Bau muss sich in Höhe, Breite, Länge möglichst am Nachbarbau orientieren, dann scheint alles gut. Und diesen Ansatz halte ich für falsch, weil es zu einer regelrechten Gleichförmigkeit führt und verkennt, dass es in einer Stadt unterschiedliche Höhen und Tiefen braucht, um reizvoll zu sein.

Sie haben sich sehr mit der Historie des Dorotheen-Quartiers beschäftigt und nehmen auch alte Bezüge wieder auf. Weshalb war Ihnen das so wichtig?
Architektonisch haben wir keinen historischen Ansatz, städtebaulich aber sehr wohl. Das Dorotheen-Quartier ist eines der wenigen Viertel in Stuttgart, in denen es bis zu einem gewissen Grad noch einen historischen Grundriss gibt. Und das nehmen wir auf – um beispielsweise Querverbindungen zu schaffen in einer Stadt, die mittlerweile fast ausschließlich in Tallängsrichtung orientiert ist, weil sie vor den Stadtautobahnen kapituliert hat. Es gibt in Stuttgart zu viele erschreckende Beispiele einer Blockstruktur ähnlich der in amerikanischen Großstädten. Das Schwabenzentrum ist solch ein Beispiel, gnadenlos durchgerastert, zack, zack, zack, ein Kind seiner Zeit, ohne Gefühl für Strukturen. Da wollten wir uns bewusst absetzen.

Dennoch sorgt nun auch der neue Plan für eine Kontroverse: die Sichtachsen auf die umliegenden, stadtbildprägenden Bauten müssten verbessert werden, heißt es. Kostet das viele Nerven, wenn nach einer schon zwei Jahre währenden Debatte nun auch der neue Entwurf – zumindest in Teilen – schon wieder zur Disposition gestellt wird?
Sicherlich ist das aufreibend, macht die architektonische Arbeit weiter schwer und könnte das Ergebnis belasten. Denn tatsächlich sind die Dinge mehrfach diskutiert worden. Den Blick auf die Markthalle durch Rücknahme des angrenzenden Baukörpers freier zu machen, ist ja ein Vorschlag von uns selbst, gemacht in Gesprächen, nur nicht eingearbeitet in den offiziellen Stand. Und das nun als „Forderung“ zu hören, ist schon erfrischend. Fakt ist: Wir haben nun eine Massenstudie, etwas verfeinert. Durch das Hin und Her der vergangenen zwei Jahre, vor allem auch von Seiten der Politik, konnten wir eigentlich nie richtig inhaltlich arbeiten. Ich wünschte mir, man würde uns das jetzt tun lassen. Eine frühe Idee, ein noch fragiles Konzept zu zerpflücken, ist einfach und billig.

Wer sich mit der Geschichte des Dorotheen-Quartiers befasst, kommt am Hotel Silber nicht vorbei. Wie bewerten Sie im Nachhinein die Debatte über dieses Gebäude?
Ich empfinde die Art und Weise, wie die Diskussionen hier in Stuttgart teilweise geführt werden, als inakzeptabel. Das ist kein Stil und erinnert mich stark an Buschs Politik: bist du nicht für mich, bist du gegen mich, neutrale oder abwägende Positionen sind nicht mehr möglich. Das hat mit Stuttgart 21 angefangen, wo’s am Ende um ein Glaubensbekenntnis ging. Und mit dem Hotel Silber sind wir genau in diese Phase reingerutscht . . .

. . . mit dem Ergebnis, dass die Politik eine Kehrtwende vollzogen hat.
Der Wettbewerb war ausgelobt worden mit der Vorgabe, das Hotel Silber nicht zu erhalten. Wir hatten Konzepte bei der Stadt vorgestellt, die den Erhalt des Hotels Silber vorsahen. Diese wurden abgelehnt. Diese Position ist aus politischem Opportunismus aufgegeben worden, weil der Schock von Stuttgart 21 wohl zu tief saß. Ich bin nach wie vor der Meinung, es war falsch das Gebäude zu erhalten. Denn das Haus, das jetzt dort steht, enthält nur noch die GPS-Daten des früheren Originals.

Ihnen fehlt die historische Substanz?
Das hat nichts mehr mit einem historischen Ort zu tun, den die Menschen erinnern und der sie bewegen könnte. Was mich am meisten frustriert, ist, dass von der Bürgerbewegung, die sich für den Erhalt stark gemacht hat, nichts mehr zu hören ist. Ich habe große Zweifel, dass das Hotel Silber jemals als Gedenkstätte funktionieren wird, weil das Unsummen verschlin- gen würde und ich – gerade auch im Verhältnis zum geplanten Stadtmuseum – kein Konzept erkennen kann. Wir hingegen hatten ein anspruchsvolles Konzept für einen Gedenkort. Darum tut es mir leid. Denn dieser wäre wahrscheinlich bald im Bau.