Der dänische Architekt und Stadtplaner Jan Gehl ist weltweit gefragt als Impulsgeber für den Stadtumbau. Er erklärt, was Stuttgart angesichts zunehmender Verkehrs- und Umweltprobleme tun kann und warum er nichts von selbstfahrenden Autos hält.

Stuttgart - Jan Gehl ist gegenwärtig einer der einflussreichsten Stadtplaner der Welt. Bei der Netzwerkkonferenz Baukultur des baden-württembergischen Wirtschaftsministeriums zum Thema „Wohnen – Leben – Heimat bauen“, die vor Kurzem Fachplaner sowie Vertreter aus Kommunen und Wirtschaft in Stuttgart zusammenbrachte, hielt er die Einführungsrede. In einer Konferenzpause, zwischen Brötchen und Kaffee, nahm sich der Däne Zeit zu erklären, wie Städte den Umbau zu lebenswerteren Gemeinwesen schaffen.

 
Herr Gehl, gibt es Merkmale, an denen man die Lebensqualität einer Stadt erkennt?
Auf jeden Fall. Es gibt inzwischen viele Forschungsergebnisse zu dieser Frage. Auf dieser Grundlage haben wir eine Reihe von Qualitätskriterien entwickelt, anhand derer man Städte nach ihrer Lebensqualität bewerten kann. Sie kennen ja sicher die zahlreichen Rankings der lebenswertesten Städte. Auf nahezu allen rangieren Kopenhagen und Melbourne an der Spitze. Darauf bin ich sehr stolz, weil ich beide Städte beraten habe.
Welche Kriterien sind für Sie die wichtigsten in Bezug auf die Lebensqualität von Städten?
Ich glaube, eine der zuverlässigsten Bewertungsmethoden ist die Frage, ob Leute gern in einer Stadt leben, ob sie sich gern im urbanen Raum aufhalten. Kopenhagen zum Beispiel verfolgt konsequent eine Politik, die die Bewohner einlädt, zu Fuß zu gehen. Ganz allgemein halten sich dort mehr Leute im öffentlichen Raum auf als in anderen Städten. Für mich ist das ein Zeichen, dass man es dort richtig macht. Ich kann Ihnen eine kleine Anekdote aus Vietnam erzählen, wo ich vor Kurzem war. In der dänischen Botschaft sprach mich eine vietnamesische Dame an, die gerade aus Kopenhagen zurückgekehrt war und meinte, dass wir doch sicher einen Babyboom hätten. Ich sagte, nein, im Gegenteil, die Geburtenrate sinkt, in zweihundert Jahren gibt es wahrscheinlich keine Dänen mehr. Dann ging mir auf, dass sie in Kopenhagen einfach ungewöhnlich viele Kinder auf den Straßen gesehen hatte. In Hanoi ist das anders. Dort halten sich die Kinder nicht im Freien auf, weil es für sie zu gefährlich ist, zu laut und die Luft zu ungesund. Meine Devise lautet, dass eine Stadt, in der viele Kinder und alte Leute zu sehen sind, eine gute Stadt ist.
Wie lange hat es gedauert, Kopenhagen, das stark vom Autoverkehr geprägt war, in eine Stadt zu verwandeln, in der Fußgänger und Fahrradfahrer das Bild beherrschen?
Kopenhagen hat schon Anfang der sechziger Jahre mit diesem Transformationsprozess begonnen. Damals wurde die Haupteinkaufsstraße in eine Fußgängerstraße umgewandelt, nicht zuletzt unter dem Eindruck des autogerechten Wiederaufbaus in Deutschland. Diese autofreie Straße war ein großer Erfolg – sehr zur Überraschung von Politik, Verwaltung und Handel. Einige Jahre später haben wir dann begonnen, systematisch zu untersuchen, wie Einwohner ihre Stadt nutzen. Wir haben dokumentiert, wie viele Leute sich zu welchen Zeiten im urbanen Raum aufhielten und wie zufrieden sie mit ihrem Leben waren. Das hatte eine immense Wirkung auf die weitere Stadtplanung. Der damalige Bürgermeister sagte, ohne diese Untersuchung hätte die Politik wahrscheinlich nie den Mut gehabt, Kopenhagen konsequent zu einer Fußgänger- und Radfahrerstadt zu entwickeln.