Am Mittwoch legt Bundespräsident Joachim Gauck den Grundstein für den Wiederaufbau der Hauptstadtresidenz der Hohenzollern. Zwanzig Jahre lang ist über das Projekt gestritten worden. Wir stellen die Positionen für und gegen das Stadtschloss dar.

Berlin - Sieben Bagger gleichzeitig kämpfen in der tiefen Baugrube gegen die Sandberge. An gewaltigen Kranarmen schweben Stahlstreben wie filigrane Spaghettibündel über den Platz. Ameisenhafte Bauarbeiter dirigieren sie nach einem undurchschaubaren Plan. „Dort wird gerade die Fundamentplatte für das Schloss gegossen“, erklärt ein Mitarbeiter des Fördervereins Berliner Schloss das Bagger- und Kranballett, das draußen vor dem Fenster der Infobox Unter den Linden aufgeführt wird. „Da drüben, sehen Sie, da kommt einmal die Schlosskuppel hin. Und der U-Bahn-Tunnel wird in 22 Meter Tiefe drunter weggebohrt, das berührt uns hier gar nicht. Der neue Bahnhof entsteht unter der Spree“. Sieht aus, als sei Stuttgart 21 nach Berlin verlegt worden.

 

Und mittendrin in dem Wimmelbild ist ein einzelnes Menschlein damit beschäftigt, aus roten Ziegelsteinen den Grundstein aufzumauern. Am heutigen Mittwoch kommt der Bundespräsident Joachim Gauck zur offiziellen, feierlichen Grundsteinlegung für das neue Berliner Schloss. Seit einem Jahr schon wird am Fundament gebaut: 3000 Eichenpfähle, die das alte Hohenzollernschloss einst im morastigen Untergrund aufrecht hielten, mussten gezogen, neue Betonpfähle dafür in den Boden gerammt werden. Man sei voll im Zeitplan, versichert die Stiftung Berliner Schloss – Humboldt-Forum, seit 2009 die Bauherrin des Großprojekts.

In der Berliner Öffentlichkeit ist es seltsam ruhig um diese Baustelle geworden. Der jahrelange Streit zwischen Schlossfans und Schlossgegnern, Anhängern des preußischen Barock, Liebhabern von Erich Honeckers Palast der Republik, also der Zwischennutzung zu DDR-Zeiten, und Befürwortern einer ganz neuen, zeitgenös-sischen Architektur an dieser Stelle scheint abgehakt. Nachdem der Bundestag 2002, 2003 und 2007 für den Wiederaufbau der Schlossfassade mit modernem Inhalt gestimmt hatte, ermattete die Streitlust der Kritiker. Derzeit bietet das Projekt kaum neuen Diskussionsanreiz, weil es – anders als der neue Berliner Großflughafen oder die Sanierung der Staatsoper – keine Negativschlagzeilen produziert. In der Berliner Wahrnehmung ist die Baustelle eine unter vielen, man arrangiert sich, und damit gut.

Es fehlen noch viele Millionen

Auf Enthusiasmus trifft der Besucher in der ersten Etage der futuristischen Humboldt-Infobox, wo die Spendensammler des Fördervereins Berliner Schloss jeden Ankömmling sofort in ein Gespräch verwickeln. Einer der älteren Herren bedient das Schlossmodell mit den Schubladen. Alle einzelnen Etagen des künftigen Humboldt-Forums lassen sich herausziehen und die Grundrisse der geplanten Bibliothek, des Veranstaltungsforums und der ethnologischen Museen betrachten. Nebenan steht der Spendenautomat. Eine Spendenuhr zeigt an: Es fehlen noch stattliche 53,5 Millionen von jenen 80 Millionen Euro, die der Förderverein für die historische Fassade zugesagt hat. Der Schlossverein sieht das naturgemäß optimistisch. Er sammelt seit nunmehr zwanzig Jahren nach dem von Antoine de Saint-Exupéry ausgeliehenen Motto: „Wenn Du ein Schiff bauen willst, /so trommle nicht Leute zusammen, / um Holz zu beschaffen, / Werkzeuge vorzubereiten, / Aufgaben zu vergeben / und die Arbeit einzu-teilen, / sondern wecke in Ihnen die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer!“

Der Vereinsgeschäftsführer Wilhelm von Boddien rechnet vor, dass im gleichen Baustadium der Dresdner Frauenkirche erheblich weniger Spenden zugesagt gewesen seien: „Wir sind deshalb davon überzeugt, dass wir bis 2019 mit großem Einsatz unser Spendenziel erreichen. Erfahrungsgemäß kommen mehr als zwei Drittel der Spenden erst zusammen, wenn der Bau in seiner ganzen Schönheit sichtbar wird, also im letzten Drittel der Bauzeit.“

In jenen beiden Etagen der Infobox indes, wo die künftigen Nutzer für ihr Humboldt-Forum werben, sieht es gähnend leer aus. Die Ausstellungsmodule über den Froschhandel in Afrika, Vertriebswege des chinesischen Porzellans und die Seidenstraße sind keine Publikumsmagneten. Oder liegt es nur am sonnigen Kaiserwetter um die ehemalige Kaiserresidenz? Eine Miniausstellung der Humboldt-Universität über die Megastadt Dhaka befindet sich gerade im Aufbau. So recht klar ist noch nicht, wie die geplanten ethnologischen Ausstellungen die hochgeschraubten Erwartungen an ein „Museum des 21. Jahrhunderts“ befriedigen sollen. Um die Ausstellungsmacher auf erfrischende Ideen zu bringen, finanziert die Kulturstiftung des Bundes bis 2015 ein „Humboldt-Lab“ am bisherigen Museumsstandort in Berlin-Dahlem, wo Kuratoren und Künstler gemeinsam spielerische Präsentationsformen von Museumsobjekten testen können.

Ein beeindruckender Kraftakt

Mit dem Fahrstuhl geht es nun hinauf zur Aussichtsplattform der Humboldt-Box. Die Fahrkabine ist innen rundum mit Zitaten des Weltreisenden Alexander von Humboldt betextet: „Wohlstand ist, wenn man mit Geld, das man nicht hat, Dinge kauft, die man nicht braucht, um damit Leute zu beeindrucken, die man nicht mag.“ 590 Millionen Euro darf das Humboldt-Forum kosten, besagt der sogenannte „Kostendeckel“. Davon zahlt der Bund 478 Millionen, das Land Berlin 32 Millionen, der Rest muss durch Spenden zusammenkommen. Ein beeindruckender Kraftakt, um die schlimmste Leerstelle im historischen Stadtgrundriss Berlins zu füllen. Seine Legitimation aber bezieht der Bau daraus, dass die Schlosshülle einen öffentlichen Ort umschließen soll, ein Kulturzentrum für alle, vor allem aber für den Dialog mit den außereuropäischen Kulturen. Erst diese Idee, die im Jahr 2000 Klaus-Dieter Lehmann, damals Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, in die Diskussion einspeiste, ebnete den Weg zum demokratischen Kompromiss.

Den Staat kostet das Kulturschloss etwa so viel wie zwanzig Kilometer neue Autobahn, vom Euro Hawk ganz zu schweigen. Ein internationales Kulturzentrum mitten in der Hauptstadt ist eine sichere Geldanlage mit garantiertem PR-Erfolg, nicht nur für Berlin, sondern für das ganze Land. In sechs Jahren soll das Humboldt-Forum fertig sein: Es bleibt noch viel Zeit, auch danach, die barocke Bonbonniere mit begeisternden Inszenierungen zu füllen. Der Panoramablick von oben auf die wimmelnde Baustelle ist jetzt schon den Besuch wert.

Pro: Das Ende der Nachkriegszeit, von Tilman Krause

Die kann man nicht für den Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses sein? Hätte etwa die DDR das letzte Wort haben sollen, was die Gestaltung der deutschen Hauptstadt angeht? Sie hat mit ihrer Preußen-Austreibung, der sich eine verblendete Linke im Westen des Landes lange Zeit anschloss, den architektonischen und städtebaulichen Mittelpunkt Berlins auf dem Gewissen, indem sie 1950 das Gebäude sprengte. Es trotz Kriegsschäden schon damals wieder aufzubauen wäre ein Leichtes gewesen. Die Ideologie hat es zu Fall gebracht.

Das Berliner Stadtschloss gehört zu Berlin wie das (gleichfalls rekonstruierte) Neue Schloss zu Stuttgart, wie die Residenz zu München, wie der Louvre zu Paris. Will Deutschland ewig weiter auf seinem unseligen Sonderweg beharren und als einziges Land in Westeuropa seine feudalen Strukturen leugnen? Es gehört zu den deutschen Seltsamkeiten, dass man schon dankbar sein muss, dass sich der negative Nationalismus, auf den sich die Antihaltung zum Schloss reduzieren lässt, nicht durchgesetzt hat. Die ganze Vorgeschichte dessen, was heute mit der Grundsteinlegung beginnt, ist so unwürdig, dass man sie so schnell wie möglich vergessen sollte.

Schauen wir also nach vor. Freuen wir uns, dass in dieser Stadt endlich die vielleicht am stärksten schmerzende klaffende Wunde geschlossen wird. Freuen wir uns, dass ein markantes Gebäude, ein Meilenstein der barocken Architektur wiederersteht. Um eine pure Rekonstruktion handelt es sich dabei nicht, denn die mittelalterlichen Elemente, die das in Jahrhunderten gewachsene Berliner Residenzschloss bis zu seiner Zerstörung aufwies, sollen nicht wieder errichtet werden. Trotzdem: erst wenn es eines Tages wieder dasteht, wird die Nachkriegszeit endgültig vorüber sein. Glück auf!

Autor: Tilman Krause ist verantwortlicher Redakteur im Feuilleton der Tageszeitung „Die Welt“.

Kontra: „Modern geht anders“, von Tim Schleider

Ein letztes Mal und aus Anlass der Grundsteinlegung zu Protokoll: mir will es partout nicht einleuchten, dass dieses Bauprojekt mit dem Titel „Berliner Schloss“ ein überzeugendes Zeichen deutschen Selbst- und Geschichtsbewusstseins sein soll. Also die Errichtung eines Gebäudes, das eigentlich durch und durch modern ist, weil es nämlich modernen Zwecken dient und den Menschen hier und heute, beziehungsweise künftig und in Berlin von Nutzen sein soll, als Zeugnis des jungen 21. Jahrhunderts für hoffentlich alle kommenden Zeiten – das sich aber nach außen hin wie ein Make-up eine dünne barocke Fassade zulegt. Jedenfalls nach drei Seiten. Weil zur vierten Seite, zur Spree hin, gab es noch nie Barock. Also darf der Bau da plötzlich auch äußerlich modern sein.

Nein, das ist nicht selbstbewusst. Das ist Politarchitektur im Geiste von Disneyland. Und geschichtsbewusst ist es übrigens auch nicht. Die Bauherren und Baumeister der Barockzeit selbst wären niemals auf die Idee gekommen, im Stile längst verflossener Tage zu planen. Kaum eine Zeit riss rigoroser die bereits bestehende Baukunst ab wie eben der Barock, nur um sich selbst in Schlössern und Kirchen ordentlich in Szene setzen zu können. Und wir glauben 300 Jahre später, ins Zentrum der Hauptstadt unserer Demokratie nichts wirklich Eigenes, Zeitgemäßes setzen zu können. Welch eine Kleingeisterei!

Wie gesagt: dies schreiben wir hier ein letztes Mal – und dann nimmermehr, denn die Gremien der Demokratie haben entschieden. Heute wird der Grundstein gelegt. Debatte beendet. Und was einst im Inneren des Pseudobarock geschehen soll, ein Austausch der Kulturen am Treffpunkt der Bürger dieser Welt, das ist zweifellos ein sehr würdiger, wichtiger Inhalt. Wenn dieser Inhalt lebendige Gestalt annehmen sollte, dann nehmen wir sie hin: die schlechte, weil unzeitgemäße Verpackung.

Autor: Tim Schleider leitet das StZ-Kulturressort.