Der Möbelhersteller Vitra hat sein Firmengelände um einen Bau des japanischen Büros Saana erweitert. Das Gebäude repräsentiert einen neuen Typus von Industriearchitektur.

Weil am Rhein - Erste Frühlingstage bescherten Südbaden endlich die Baumblüte. Aber als das neue Lager- und Produktionsgebäude des Möbelproduzenten Vitra in Weil am Rhein vorgestellt wurde, hingen grauweiße Regenwolken über dem Land. Schaute man an seinen gleißend weißen, gewellten Fassaden entlang nach oben, ging das Gebäude der japanischen Architekten Kazuyo Sejima und Ryue Nishizawa (Sanaa Architekten) nahtlos in den Himmel über. Eine Chimäre? Auf dem Firmengelände des Unternehmens darf ein neuer Typus des Industriebaus gefeiert werden.

 

In Weil wird seit 1934 mit Mobiliar Innenraumgeschichte geschrieben – mit Klassikern oder neu und aufwendig entwickelten Tischen, Stühlen, Wohn- und Bürokonzepten. Seit 1981 wird hier aber auch die Avantgarde des Industriebaus vorangetrieben. Damals waren die Produktionsstätten von einem Feuer vernichtet worden. Dem Werk der amerikanischen Architekten und Designer Charles und Ray Eames verpflichtet, hatte sich der Fabrikant Rolf Fehlbaum für den Neubeginn einen passenden Architekten gesucht: den Engländer Nicholas Grimshaw.

Das Firmengelände wuchs in rechtwinkliger Anordnung Halle um Halle, und Grimshaws Architektur gab den Ton für die Corporate Identity an, bis Fehlbaum den Architekten Frank O. Gehry kennenlernte. Dieses Enfant terrible der Architektur faszinierte ihn mit unkonventionellen Entwurfstrategien und Raumerlebnissen, und so lud er ihn gleich nach Deutschland ein. 1989 konnte mit dem Vitra Design Museum Gehrys erster Bau in Europa eröffnet werden. 1997 folgte Gehrys Guggenheim Museum in Bilbao, das eine Zeitenwende auch der Stadtplanung einleitete: Der spektakuläre Kultursolitär als Keimling einer Stadtquartiersaufwertung führte weltweit zu einer Reihe ähnlicher Architekturexperimente. Rolf Fehlbaum, ein Spürhund neuer Architekturentwicklungen, bietet Architekturideen aus aller Welt in Weil am Rhein eine Art Zwischenheimat. Nach Gehry bauten hier Tadao Ando, Zaha Hadid, Alvaro Siza, Herzog und De Meuron und nun Kazuyo Sejima. Alle sind sie mit dem Pritzkerpreis, einer Art Nobelpreis der Architektur, ausgezeichnet worden.

Zierlich, aber hartnäckig

2005 zeichnete sich nun ab, dass Vitra ein neues Lager- und Montagegebäude brauchte. Fehlbaum nahm Kontakt zu der japanischen Architektin Kazuyo Sejima vom Büro Saana auf, das in Europa durch das Gebäude der Zollverein-Designschule in Essen bekannt geworden war. Sejimas jüngst eröffnete Louvre-Dépendance im französischen Lens lässt in ihrem federleichten, transparenten und hellen Erscheinungsbild nur andeutungsweise erahnen, wie hartnäckig die zierliche Japanerin ihre Vorstellungen durchzusetzen weiß. Für den Neubau in Weil am Rhein brach sie resolut mit der bisherigen Campusstruktur. Im Grundriss ist die Halle rund, wenn auch nicht korrekt kreisförmig. Ein schneeweißer Vorhang aus Plexiglas umgibt die Betonaußenwand des eingeschossigen Gebäudes, mit dem Vitra näher an die Wohngebiete des Ortes rückt. Die klassische „Curtain-Wall“ – eine Glasfassade, die vor ein Stahl- oder Stahlbetonskelett gehängt wird und als Errungenschaft der Moderne gilt – kehrte Sejima ins Gegenteil: Ihr Plexiglasvorhang bekleidet die massive Hallenaußenwand, in der Öffnungen nur für die Lkws hineingesetzt sind.

Mit ihrem „Vorhang“ inszeniert Sejima die Gebäudefassade als eine Innenwand des Außenraums – der einfach schöner werden sollte. Alles Tageslicht kommt über das Dach in die immerhin 20 000 Quadratmeter große Halle hinein. Zum Vergleich: über gerade mal ein Viertel dieser Fläche verfügt beispielsweise die gesamte Stuttgarter Staatsgalerie.

Die Halle ist nicht öffentlich; dass die Industriearchitektur auf einmal „schön“ werden soll, kommt hier in erster Linie der Belegschaft zugute. Und auch, weil Architektur zu besseren Lebens- und Arbeitsverhältnissen beitragen muss, braucht es solche Bauherren wie Vitra. Auch wenn man als Besucher in Weil am Rhein die Halle nur von ferne anschauen kann – der Weg lohnt sich, denn bis zum 11. August ist hier auch noch die wunderbare Ausstellung zum Werk des Architekten Louis Kahn (1901– 74) zu sehen (vgl. StZ vom 6. März 2013).