Wohnhäuser im Bauhaus-Stil aus den Jahren 1930 bis 1933 in Stuttgart von Oscar Bloch und Ernst Guggenheimer. Bilder von den Architekten und Bauten in der Bildergalerie. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski
Von der Bauhaus-Villa bis zur neuen Synagoge: Das jüdische Architekturbüro Bloch und Guggenheimer aus Stuttgart trotzte so gut es ging dem Naziterror. Der Spaziergang führt zu wichtigen Bauten der Architekten.
Die Kreuzung an der feinen Hauptmannsreute auf der Stuttgarter Halbhöhe ist ein architektonisch und politisch eminent wichtiger Ort. Terror des Nationalsozialismus ebenso wie architektonischer Fortschritt – und rückwärtsgewandte Borniertheit – sind da in Stein und Glas gehauen zu betrachten. Nur wenige Meter weiter, und das ist die gute Nachricht, sind aber auch geglückte Bauten zu bestaunen, die aus der Nachkriegszeit stammen.
Das Spannende: Alle Gebäude, die hier gemeint sind, stammen von dem selben Architekturbüro. Dieser Architekturspaziergang widmet sich also den Bauten der jüdischen Architekten Oscar Bloch (1881–1937) und Ernst Guggenheimer (1880–1973) aus Stuttgart.
Spaziergang von der Doggenburg in die Innenstadt
Das angesehene Stuttgarter Architektenduo hatte jahrelang in seiner Heimatstadt Villen, ein jüdisches Waisenhaus (das Gebäude in Esslingen machte die noch jungen Architekten bekannt), Schwesternheime entworfen, bis die Nationalsozialisten ihnen das Arbeiten verboten und ihnen nach dem Leben trachteten. Der gut vier Kilometer lange Architektur-Spaziergang führt zu acht wichtigen Bauten der Architekten.
Das ist die Route des Architekturspaziergangs von Bloch + Guggenheimer Foto: STZN-Grafik/Locke, Lange
Über ihr Schaffen ist bereits ein höchst lesenswertes Buch erschienen und was man liest und sieht, lässt einen staunen, traurig und wütend werden. Bis 1938 entstanden 68 Projekte, von denen 16 in Fachzeitschriften publiziert wurden „und so das Ansehen der Architekten förderten“, wie der Architekt und Autor des Buches, Dietrich W. Schmidt, in „Bloch & Guggenheimer. Ein jüdisches Architekturbüro in Stuttgart“ schreibt.
Beide Architekten haben in Stuttgart studiert, Oscar Bloch stammte aus einer Schweizer Familie, der Vater handelte mit Seide, 1883 zogen die Blochs nach Stuttgart. Sein Studienkollege Ernst Guggenheimer stammt aus einer jüdischen Textilhändler-Familie aus Bayrisch-Schwaben und wurde 1880 in Stuttgart geboren.
Imposante Villa auf der Lenzhalde
Wenige Zeit nach dem Studium an der Technischen Hochschule Stuttgart schlossen sich die zwei Architekten 1910 zusammen. Einer ihrer ersten großen Aufträge in Stuttgart war 1915 der Bau eines „Einfamilienhauses“ auf der Lenzhalde 83.
Heute ist in der Villa auf der Lenzhalde 83 eine Kanzlei daheim. Foto: Max Kovalenko/Max Kovalenko
Es ist eine neoklassizistische Villa – mit 27 Meter langer Kegelbahn – für den Fabrikanten Albert Levi. 260 Quadratmeter Wohnfläche hat das herrschaftliche Gebäude, beeindruckt mit Säulen und Pilastern, streng symmetrischer Fassadengestaltung und einem mächtigen Walmdach. Heute wohnt keine Familie mehr in dem denkmalgeschützten Gebäude, es ist längst eine Kanzlei dort eingezogen.
Haus am Herdweg 103
Zeitsprung. Das nächste Gebäude entstand 40 Jahre später und wurde von Ernst Guggenheimer alleine entworfen. Oscar Bloch war 1937 nach einer Blinddarmoperation in Stuttgart gestorben, danach musste das Büro aufgelöst werden, weil Guggenheimer als jüdischer Mitbürger im NS-Staat nicht mehr als Architekt arbeiten durfte.
Bilder stellen sich automatisch ein, wenn man in dem Buch über das Leben der beiden liest: Ein Architekt, der nach 1933 praktisch nicht mehr arbeiten kann, nur noch einen Job als Friedhofsgärtner findet und womöglich beim Schuften am Grab seines ehemaligen Kollegen Bloch auf dem Pragfriedhof vorbei kommt, inne hält, weitergeht, gehen muss.
Dem Transport nach Theresienstadt entging Guggenheimer knapp, weil ihn ein SS-Arzt wegen Krankheit als transportunfähig bezeichnet hatte. Danach tauchte er unter und wurde, so Schmidt „von drei Schwestern in Untertürkheim versteckt“. Kurz zog er zu seiner Familie ins Tannheimer Tal, kehrte aber 1945 nach Stuttgart zurück, eröffnete ein Architekturbüro.
Haus am Herdweg 99. Foto: Max Kovalenko/Max Kovalenko
Zurück zum Herdweg – dort entstanden in den 1950ern gleich zwei bemerkenswerte Häuser, das Haus mit der Nummer 99 entstand auf einem Grundstück, das restituierter Besitz jüdischer Emigranten war, für die Guggenheimer als Bevollmächtigter gearbeitet hatte.
Und das Haus Nummer 103: 1955 entwarf Guggenheimer mit seinem neuen Partner Helmut Voigt ein – soweit die Bepflanzung im Garten es zulässt – sehenswertes Haus, beeinflusst vom weiterentwickelten Bauhaus-Stil der 50er Jahre amerikanischer Prägung.
Haus am Herdweg 103 von 1955. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko
Flachdach, Fensterband unterm Dach, Eckfenster. Doch im Bauamt waren die Ressentiments gegen Flachdächer noch nicht verflogen, seit es Anfang des neuen Jahrtausends noch einmal umgebaut und aufgestockt wurde (Architekt: Thomas Tafel), „kommt die Gestalt des Hauses nun der ursprünglichen Dynamik des Guggenheimer’schen Entwurfs nahe“, schreibt Schmidt ganz richtig.
Landhaus in der Hauptmannsreute
Der Spaziergang führt weiter bergab und in der Zeit wieder zurück zur Jahrhundertwende: Einige Meter weiter unterhalb des Herdwegs finden sich in der Hauptmannsreute 74 und 76 schicke Landhäuser im leicht historistischen Stil mit Erkern und Schindeln.
Nachdem das noch junge Büro diese ersten Aufträge von Kaufleuten für Häuser entworfen hatte, planten sie im Jahr 1911 direkt daneben eines, bei dem sie selbst Geld in die Hand nahmen und auch als Bauherren auftraten.
Landhaus in der Hauptmannsreute 78 aus dem Jahr 1911. Foto: Max Kovalenko/Max Kovalenko
Das heute von einer Immobilienfirma bewohnte, strahlend weiße Haus mit der Nummer 78 ist eine etwas schlichtere, weniger landhausartige Villa, dennoch stattlich mit Satteldach, Erker und Rundbogen und, besonders hübsch, einem kleinen Dachfenster zur Straßenseite hin. Dort wohnten bis auch Angehörige der Familie Bloch, 1919 dann hat das Büro es verkauft.
Nun geht es weiter zu der architektonisch interessanten Kreuzung. Neben den Landhäusern finden sich nur wenige Jahre später gebaute Häuser im modernen Bauhaus-Stil mit Flachdach.
Und kurz danach solche, bei denen Flachdächer schon wieder abgelehnt wurden – mit der Wahl der Nationalsozialisten 1933 war es sofort vorbei mit fortschrittlichem Bauen, Wohnen mit viel Luft und Licht.
Die zwei Architekten, die auch in Künstlerkreisen verkehrten, hatten offensichtlich Gefallen an einem neuen Baustil gefunden, wie in der Straße zu sehen ist, die nach dem schwäbischen Mundartdichter Flaischlen benannt wurde: dem Bauhaus, so wie er auf dem Killesberg in der Weißenhofsiedlung zu finden ist; gerade in Oscar Blochs Familie gab es viele Fans.
Architekt Richard Döcker, der auch Bauleiter der Weißenhofsiedlung 1927 war, hatte nun eben auf dieser Halbhöhe eine Mini-Weißenhofsiedlung initiiert, etwas einfachere und erschwinglichere Häuser sollten es sein.
Bauhaus Ensemble in der Hauptmannsreute-C Foto: Lichtgut/Leif Piechowski
Bloch & Guggenheimer entwarfen von 1930 bis 1933 einige dieser funktionalistischen Flachdachschönheiten, die zum Teil heute unter Denkmalschutz stehen. Die Häuser Nummer 3+5, hat der Buchautor recherchiert, wurden von jüdischen Buchhändlern gekauft, sie konnten emigrieren. Das Ehepaar Selma und Gottfried Gumbel wohnte im Haus Nummer 7 und hat den Holocaust nicht überlebt, so ist auf der Stolperstein-Inititative-Homepage zu lesen, sie wurden 1944 in Theresienstadt ermordet.
Haus Krieg - Neues Bauen unter NS-Vorzeichen im Wilhelm-Busch-Weg 9
Wie eilig die Stuttgarter Ämter die bauhauskritischen Vorgaben nach 1933 umsetzten, zeigt sich im Wilhelm-Busch-Weg, der an der besagten Kreuzung auch abgeht.
Haus im Wilhelm-Busch-Weg. Foto: Tomo Pavlovic/TP
Da hatten Bloch & Guggenheimer für das Wohnhaus Nummer 9 im Wilhelm-Busch-Weg (damals „Privatstraße Krieg“ genannt) für die Kaufleute Gotthilf Krieg und Wilhelm Esche 1931 ein Flachdachhaus geplant, dann wechselten die Bauherren. Sie und die Genehmigungsbehörde wünschten sich 1933 einen konventionelleren Grundriss – und ein geneigtes Dach.
Bauhaus für alle
Weiter geht’s tiefer in den Stuttgarter Westen. Dass die Architekten nach 1933 überhaupt noch Bauanträge durchbekamen, liegt auch daran, dass Oscar Bloch Schweizer war und Anträge unter seinem Namen eingereicht wurden.
Mietshäuser in der Feuerleinstraße 2-4, bezugsfertig waren sie 1936. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski
So auch bei den Mietshäusern Feuerleinstraße 2-4 der jüdischen Bauherren Philipp Weil und Louis Ullmann, die in der Kornbergstraße 44 eine Strickwarenfabrik betrieben. Die Gebäude entstanden 1936 mit vertikalen Fensterbändern und funktionaler Aufteilung und mit für damals komfortabel geltendem Bad und getrenntem WC.
Die Bauhaus-Elemente sind nach zahlreichen Umbauten nur mit Fantasie und scharfem Auge erkennbar. Doch auch damals war schon kein Flachdach mehr erlaubt, sondern ein 35-Grad-Walmdach vorgeschrieben. Am Rande der Eiernest-Siedlung im Stuttgarter Süden, wo die Architekten Ende der 1920er ebenfalls Mietshäuser entworfen hatten, hatte das Amt noch Flachdächer erlaubt.
Das jüdische Schwesternwohnheim
Bis es zur vorletzten Station in der Dillmannstraße geht, ist eine Pause drin, denn von der Feuerleinstraße ist es nicht mehr weit zum Hölderlinplatz, wenn die Schlange nicht zu lang ist, gibt es eine Brezel beim Bäcker Bosch, es lohnt auch einen Abstecher zum französischen Feinkostladen Chez Ginette in der Kornbergstraße 50 (direkt neben der Kornbergstraße 44, wo die Bauherren des Mietshauses bis 1938 ihre Fabrik hatten).
Hinter Grün versteckt: Das ehemalige jüdische Schwesternwohnheim in der Dillmannstraße 19. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski
In Dillmannstraße 19 nun findet sich ein ehemaliges jüdisches Schwesternwohnheim, das die Architekten 1913/14 entworfen hatten, mit symmetrisch angeordneten Fenstern, vorgewölbtem Mittelteil zur Straße und Walmdach. Heute von Bäumen geschützt, finden sich Schilder medizinischer Einrichtungen an der Fassade.
Die neue Synagoge
Gen Stadtmitte geht’s jetzt, in die Hospitalstraße 36. Die alte Synagoge wurde 1938 von den Nationalsozialisten verbrannt, Ernst Guggenheimer und andere gezwungen, die Trümmer zu beseitigen. Der Architekt erhielt nun aber – einige Jahre nachdem die Nationalsozialisten von den Alliierten besiegt worden waren – den Auftrag, auf den alten Fundamenten eine neue Synagoge zu planen, gemeinsam mit seinem Mitarbeiter Hans Jauß.
Die neue Synagoge in Stuttgart wurde 1952 eingeweiht. Foto: Lichtgut/Julian Rettig
Schlicht, flaches Dach, mit prägnanten vertikal angeordneten Fenstern, Vorhof mit Brunnen, seitliche Vorbauten. 1951 wurde der Grundstein gelegt, 1952 mit Staatsgästen aus aller Welt eingeweiht.
Ernst Guggenheimer lebte bis zu seinem Tod am 12. September 1973, hochgeachtet und 1954 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet, in Stuttgart. Nicht nur in Tagen wie diesen, wo sich die Gewaltverbrechen gegen jüdische Mitbürger wieder jähren, ist es lohnenswert, das schlichte, würdevolle Gebäude zu betrachten. Dass es heute aufmerksamer geschützt werden muss denn je, gibt zu denken.
Info
Länge Der Spaziergang ist 4,3 Kilometer lang.
An- und Abfahrt Der 43er Bus hält an der Haltestelle Viktor-Köchl-Weg, man kann aber auch schon an der Haltestelle Doggenburg aussteigen und hinunterlaufen zur Lenzhalde 83. Am Endpunkt in der Hospitalstraße ist man mitten in der Stadt und vom Rotebühlplatz aus fahren U- und S-Bahnen in diverse Richtungen.
Einkehren Bäckerei Bosch, Schwabstraße 104, Feinkostladen Chez Ginette, Kornbergstraße 50.
Geeignet für Geschichtsbewusste mit Sinn für Architektur.
Weiterlesen Das sorgfältig recherchierte Buch „Bloch & Guggenheimer. Ein jüdisches Architekturbüroin Stuttgart“ von Dietrich W. Schmidt ist im Verlag Regionalkultur in Stuttgart erschienen. Eine Veröffentlichung des Archivs der Stadt Stuttgart, herausgegeben von Roland Müller. Das Buch enthält detailreiche Beschreibungen der Bauten von Bloch & Guggenheimer und widmet sich den Biografien der Architekten. Lesenswert ist auch das Vorwort von Esther Walther, der Enkelin von Oscar Bloch, in dem sie über die Hintergründe zur Entstehung des Buches berichtet.