Mit Penne und Pappe für die Zukunft


Boris Rüther beschäftigt sich hier seit drei Monaten mit der schmutzigsten Ort der Stadt: der Kreuzung am Neckartor, die seit Jahren die bundesweiten Schadstoffstatistiken anführt. Rüthers Biobausatz kommt aus einer Nudelpackung. Mit Penne hat er in seiner Pappversion für das Neckartor des Jahres 2050 die Fenster seiner Fassade nachempfunden. Was in diesem realen Modell des 24-Jährigen noch einer Oberstufenarbeit aus dem Kunstunterricht ähnelt, sieht in seinen Computeranimationen schon fast wie ein Wettbewerbsbeitrag aus.

Die geraden Häuserwände in der Neckarstraße sind verschwunden. Teile der Fassaden wölben sich bauchig dem Straßenraum entgegen. Sie sind bedeckt von einer Oberfläche mit einer haarförmigen Struktur, die wie ein Weizenfeld im Wind wogt. Boris Rüther hat die Vorbilder für seine Arbeit im Meer und in der Arktis gefunden. "Korallen wachsen in die Richtung ihrer Nahrung", erzählt der Student.

"Sie ernähren sich von mikroskopisch kleinen Organismen." Als sich Boris Rüther länger mit den Korallen beschäftigte, kam er vom Plankton auf den Feinstaub und entwickelte eine Gebäudehülle für die Häuser am Neckartor, die sich "vom Dreck ernährt". Die Fassade beult sich dorthin am stärksten aus, wo die Verschmutzung besonders stark ist.

Biowaschgang für die Staublunge


Das Haus entgiftet dabei seine Umwelt: Der Staub dringt in die Fassade ein, wird gefiltert und durch Wasser ausgewaschen. Es wäre ein Biowaschgang für die Staublunge der Stadt. Zudem wären die Häuser wohltemperiert: Die Haarstruktur an der Fassade hat sich Boris Rüther bei den Eisbären abgeschaut: Wenn sich der Wind in den künstlichen Fasern verfängt, wird die Luft darin eingeschlossen, sie erwärmt sich und isoliert das Haus im Winter.

All diese Ideen sind noch reine Zukunftsmusik. Ein Spiel mit den Möglichkeiten. "Die Baumaterialien werden in 40 Jahren ganz anders sein als die heutigen", sagt Tobias Walliser und hat der Kreativität seiner Studenten bei deren Biobauten deshalb eine lange Leine gelassen. Erlaubt ist alles, was bei Tieren und Pflanzen funktioniert - und der Mensch noch nicht nachempfunden hat.

Bodenständig ist nur der Arbeitsraum in der Kunstakademie: In der Ecke stapeln sich leere Getränkeflaschen, unter den Schreibtischen liegen Rucksäcke. Neben den Bildschirmen türmen sich Styropormodelle, Tesafilm und Zeichenblöcke. Der Club der jungen Visionäre pflegt das kreative Chaos - und eine Vorliebe für Überlebenskünstler aus der Natur.