Der Mensch lechzt nach mehr Natur in der Stadt – erst recht in der Pandemie. Wie begrünte Dächer und Fassaden den Städten zugutekommen, ist im Deutschen Architekturmuseum zu bestaunen.

Kultur: Ulla Hanselmann (uh)

Frankfurt - Acht Kilometer Hecken umhüllen das Büro- und Geschäftshaus Kö-Bogen II in Düsseldorf. In den 35 000 Hainbuchen leben Insekten und Vögel. Die grüne Haut nutzt aber auch den Menschen, weil die Pflanzen Feinstaub und CO2 binden, Sauerstoff produzieren und die Luft kühlen – die klimageplagte, zunehmend überhitzte Stadt muss weniger schwitzen.

 

Beispiele aus aller Welt

Häuser in grüne Kleider hüllen, wie es Ingenhoven Architects am Rhein gemacht haben, Kräuter und Sträucher auf Betonwänden und Dächern wuchern lassen: was das bringt, wie das geht, wie viel es kostet (oftmals weniger, als Kritiker behaupten, wenn es klug gemacht ist) und wie fantastisch das zum Teil aussehen kann, das zeigen die Schau „Einfach Grün – Greening the City“ im Deutschen Architekturmuseum (DAM) in Frankfurt und der begleitende Katalog (304 Seiten, 19 Euro) mit Beispielen aus aller Welt.

Skifahren auf der Müllverbrennungsanlage

In Kopenhagen trägt eine Müllverbrennungsanlage einen grünen Bergrücken, auf dem sommers wie winters Ski gefahren und gewandert wird. In Paris haben Architekten die Balkone des neunstöckigen Flower Tower mit 380 Bambus-Töpfen bestückt – der nach oben wachsende grüne Vorhang bietet den Bewohnern Schatten, Sichtschutz und Abkühlung. Im zypriotischen Nikosia lässt der Architekt Jean Nouvel Blattwerk wie zufällig aus Fassadenöffnungen heraussprießen; in der Mega-City Singapur ranken sich aus Trögen Kletterpflanzen über die Haut des Oasia Downtown Hotel. Der vertikale urbane Garten senkt die Oberflächentemperatur des 27-stöckigen Turms auf 25 Grad – gegenüber 55 Grad in einem der benachbarten Hochhäuser.

Ikone: Bosco Verticale in Mailand

Als Ikone der Fassadenbegrünung gelten die wunderbar wuchernden Wohntürme Bosco Verticale in Mailand: Die Rotbuchen, Baum-Haseln, Purpur-Weiden, Granatäpfel, Olivenbäume und Magnolien, die neben vielen anderen Baumarten, Bodendeckern und Sträuchern seit sechs Jahren auf den Terrassen und Balkonen gedeihen, bilden einen einzigartigen, sich mit den Jahreszeiten wandelnden vertikalen Dschungel. Der gestapelte Hektar Grün ist keine Deko-Spielerei, sondern architektonisches Gestaltungsmittel und wirksame Klimatechnik, die nicht nur den Bewohnern, sondern auch der verpesteten Mailänder Stadtluft zugutekommt.

Die Inspiration für den Architekten Stefano Boeri war der Romanheld aus dem „Baron auf den Bäumen“: Von Natur umgeben zu sein brachte dem jungen Cosimo vor allem eines: einen „Perspektivwechsel“.

Wo, wann und wie

„Einfach Grün – Greening the City“. Deutsches Architekturmuseum (DAM), Frankfurt am Main, Schaumainkai 43. Bis 11. Juli. Geöffnet Di, Do–So 10–18 Uhr, Mi 10–20 Uhr. Informationen zum Besuch unter www.dam-online.de/besuch/info. Das begleitende praxis- und serviceorientierte „Handbuch für Gebäudegrün“, herausgegeben von Hilde Strobl, Peter Cachola Schmal und Rudi Scheuermann, 304 Seiten, kostet 19 Euro.